Witzigmanns Welt: Birne
Mein erstes Rendezvous mit der
Birne war eine herbe Enttäuschung. Es war in meinem Geburtsort Hohenems. Wieder einmal zu Besuch bei der Vorarlberger Verwandtschaft kraxelte ich heimlich als kleiner Bub auf einen Birnbaum und pflückte mir ein besonders schönes Exemplar. Voller Vorfreude biss ich hinein und erlebte einen geschmacklichen Supergau. Holzig und säuerlich-bitter.
Was ich nicht wusste: Diese Birnen dienten ausschließlich zur Mostherstellung.
Schon immer wurde die Birne gerne in Verbindung mit Desserts verwendet. Denken Sie nur an die berühmte "Poire belle Hélène" (= Birne, pochiert auf Vanilleeis an heißer Schokoladensauce, bestreut mit kandierten Veilchen). Kreiert wurde dieser Nachspeisenklassiker 1864 vom französischen Meisterkoch Auguste Escoffier. Anlass war die Aufführung der umjubelten Operette "Die schöne Helena" von Jacques Offenbach in Paris.
Einen anderen Birnen-Klassiker lernte ich bei meinem Lehrmeister
Roger Verger kennen, Chefkoch im Drei-Sterne-Restaurant "Le Moulin des Mougins": Birne mit Spinat. Denn die Birne ist auch in der salzigen Variante ein Highlight. Sautiert in Butter, harmoniert sie perfekt zu Schwein, Wild oder Ente. Und nicht zu vergessen - das kulinarische Traumpaar Birne und Käse (z. B. Roquefort oder Cantal).
Besonders stolz bin ich auf meinen Restaurant Aubergine-Klassiker "Birne mit Holunder und schwarzen Nüssen". Diese Kombination ist eine Hommage an das Holunder-Gelee meiner Mutter und gleichzeitig ein Paradebeispiel für meine damaligen Bestrebungen Ende der Siebziger, Nouvelle Cuisine mit regionaler Küche zu verbinden. Da es Birnen mittlerweile das ganze Jahr über zu kaufen gibt, lassen sie sich wunderbar mit saisonalen Produkten "verwursten". Probieren Sie jetzt im Herbst doch mal einen Crumble (= englischer Streuselkuchen) von Birnen, Aprikosen und Muskat-Weintrauben.
Zum Schluss noch ein Tipp: Reife Birnen schnell aufessen! Die einzige Birne, die Sie länger aufbewahren können, ist der Williams-Brand - zum Beispiel aus der Schnapsbrennerei Rochelt. Im Gegensatz zum herkömmlichen Birnensaft, der unter Sportlern als idealer Durstlöscher gilt, sollten Sie diese hochprozentige Flüssigkeit aber bitte nur in Maßen genießen - und damit meine ich nicht die Bierkrüge vom Münchner Oktoberfest.
Aus: FREIZEIT-Kurier vom 10.10.
Eckart Witzigmann widmet sich in seiner Kolummne im FREIZEIT-Kurier dem ganz (un)gewöhnlichen Küchen-Alltag.
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