Vor vier Jahren wollten Oliver und Alexandra Kaminek ihr Leben ändern. Sie revitalisierten den großelterlichen Bauernhof in Wien-Stammersdorf. Damals ahnten sie, wie hart so ein Traum sein würde. Heute wissen sie es.
Oliver will kein Bobowinzer sein. Der Weinkeller, in dem er steht, ist ebenso abgegriffen wie seine Kleidung. Wo bei Neo-Winzern oft schicke Accessoires stehen, hat Oliver Kaminek alte Geräte. Neu sind nur die Flaschen, seine Jungfernlese ruht gerade. "Wenn man im Garten Weinhelfer hat und die Trauben fremd abpressen lässt, kann man gleich im Büro sitzen und sich seinen Wein machen lassen. Das brauche ich nicht." Er mag eher alte Maschinen. Wie er sie repariert, hat er aus Büchern gelernt. "Das kann jeder, wenn er es will. Und muss." Ein seltenes Lächeln im Gesicht des ernst wirkenden Neobauern. Er zeigt auf den alten Traktor: "Der hat den Elektronik-Schnickschnack nicht, der fahrt einfach."
Oliver und Alexandra Kaminek sind Aussteiger. Sie verwirklichten ihren Traum vom eigenen Hof, ohne zu leugnen, dass der Boden der Realität hart und lehmig ist. Und akzeptieren, dass sich dabei Schmutz unter den Fingernägeln sammelt. Die beiden 41-Jährigen kennen einander seit der Matura, haben damals aber kaum miteinander geredet. Danach kletterte Ali, wie sich Alexandra nennt, von BWL-Studium zu Post-Graduate und Marketing-Karriere. Oliver studierte Horn und dann in Liverpool "Sound Technology", tourte fast 20 Jahre als Tonmeister durch die Welt. Als er in Neuseeland lebte, begann sein Ärger über die industrialisierte Landwirtschaft.
Wieder in Wien wollte er den Weingarten aussetzen, der seit dem Tod des Großvaters vor 25 Jahren brachlag. Auf einer Party 2011 traf er Ali, die schon länger den Umstieg suchte: "Ich hatte eine Trainerausbildung im Bereich Ernährung gemacht, wollte Körper, Luft, Nahrung." Oliver erzählte seine Geschichte, die beiden schmusten und verabredeten sich zum Weingarten-Aussetzen. Ein paar Monate später zog Ali ins Bauernhaus, bald kam Sohn Anatol zur Welt.
Schwein haben
Die Stammersdorfer Altbauern haben die Kamineks gleich akzeptiert. Weil sie die Landwirtschaftsschule nachgemacht haben. Vor allem aber, weil Oliver bis zum 12. Lebensjahr auf dem Bauernhof seiner Großeltern aufgewachsen war. Deshalb weiß er, wie die Mangalitzaschweine zu schlachten sind, die bei Kamineks im Dreck wühlen dürfen. Ali streichelt ein Ferkel und fragt, ohne eine Antwort zu wollen: "Wusstest du, dass Eber den Säuen die Eierstöcke massieren, um Lust zu machen?" Oliver bleibt ernsthaft: "Verkaufen dürfen wir das Fleisch nicht. Dazu bräuchten wir Schlachtpapiere und ich stresse diese glücklichen Schweine sicher nicht mit dem Schlachthof." Bei den Sulmtaler Hühnern der beiden dürfen auch die Hähne alt und groß werden und zwei Hennen dürfen derzeit in Ruhe brüten. Auch wenn man dadurch zu weniger Eiern kommt.
Romantik hat ihren Preis, auch wenn sie mit Realismus gespickt ist. Oliver steht im Innenhof des alten Bauernhauses, zwischen einem Hänger voller Erdäpfel und einem dahinrottenden Holzhaufen. Es sieht chaotisch aus. "Alis Eltern sagen manchmal, wir würden es gerne mal fertig haben, damit es schön ist. Aber ein Bauernhof wird nie fertig." Man müsse das ausblenden, Oliver ist bemüht gelassen: "Es ist immer was zu tun, man muss einfach immer mit der Arbeit anfangen. Wir sind vom Büro gewohnt, eine Liste zu machen, zu priorisieren, abzuarbeiten. Aber wenn es heute regnet und warm wird, explodiert alles und wir müssen raus auf das Feld." Er schaut auf die Arbeit, die im Hof liegt. "Wenn ich die Arbeit immer nur begutachte und nachdenke, werd’ ich nur depressiv."
Im Folientunnel wirkt alles aufgeräumt, jedes Pflänzchen steht in der Reihe. Ali zieht jedes Gemüse selber vor. Mittlerweile funktioniert das gut. "Wir haben Abhofverkauf, stehen auf zwei Biomärkten und sind im regionalen Bioladen. Auch Food-Coops haben wir schon." Produktion und Absatz halten sich die Waage, was überbleibt, wird verkocht. "In guten Monaten mache ich bis zu 1000 Euro Umsatz mit Gemüse. Das ist ein Betrag, der für uns Relevanz hat." Und bei zehn bis 15 Eiern am Tag, "kommt in einer Woche auch etwas zusammen".
Luxus des Verzichts
Neben Gemüse und Wein verdienen die Kamineks mit dem Seminarraum im Winzerhofund der Teilnahme an "Schule am Bauernhof". Alis Schwester bietet Kochworkshops an. Es gehe ihnen ja auch um ein ganzheitliches Erleben und Weitergeben ihrer Philosophie. Immer in Abwägung, dabei ihren Traum nicht zu verlieren. Ali: "Die Schul-Workshops hatten wir bis zu fünf Mal pro Woche, immer 160 bis 350 Euro verdient, da geht finanziell etwas weiter. Aber wir haben es reduziert, weil der Betrieb leidet."
Das wollen die Kamineks am wenigsten. Denn die Verwirklichung eines solchen Traums funktioniere nur, wenn man sich komplett darauf einlässt. "Wir können nicht mehr drei Mal in der Woche essen gehen. Aber wir wollen auch nicht mehr. Je mehr ich früher verdient habe, desto höher waren die Kompensationszahlungen – Massagen, Flüge, Wellness, teure Restaurants." Das Gefühl zu verzichten haben sie nicht, obwohl die Küche schon etwas schäbig sei. Oliver lächelt: "Der Luxus liegt darin, auf einem Landstrich zu stehen und in allen vier Richtungen Land zu sehen, das mir gehört. Und das wir gestalten können."
Der Kurs beginnt nicht in der Küche, sondern auf dem Feld. Andrea Buhl, Schwester von Alexandra Kaminek, veranstaltet unter dem Titel "Kocherei" Kurse auf dem Biohof Nummer 5, die damit beginnen, dass die Gruppe frisches Gemüse erntet: "Es melden sich immer mehr, die genau das tun wollen. Das Rausgehen in den Garten, zu sehen, was ist frisch, was kann man machen." Die Rezepte für die Termine macht Buhl deswegen auch erst zwei Wochen vor dem Event. "Ich weiß davor nicht, was reif sein wird." So sehe echte regionale Bioküche eben aus, man lebt mit der Zeit und der Natur, genau das wolle sie vermitteln.
Das trifft den Zeitgeist. "Das Gesamterlebnis ist Menschen wichtig, man steht auf gute Lebensmittel, die aus der Umgebung sind. Danach geht es um das Kochen mit ein Leuten, die das auch schätzen. Erst dann um gutes Essen." Oft seien die Teilnehmer so interessiert an der Entstehung der Produkte, dass man zu viel Zeit auf dem Feld verbringt. Das gestylte Jutesäckchen mit Aufschrift und die Zierdeckchen auf den Einkochgläsern, die man mitbekommt, sind der Präsentation geschuldet. "Es ist immer ein Rezept zum Einkochen dabei, weil ich das sehr wichtig finde, wenn man Lebensmittel nicht vergeuden will." Buhl bekam Kochen und Interesse daran zu Hause vermittelt und wurde über Kurse zur "sehr guten und vielfältigen Köchin".
Neben angebotenen Terminen (der nächste: 10. 8.; Schwerpunkt Paradeiser, Rind, Obst im Glas; Kosten 85 € p.P., Info: wein.nummer5.at/kocherei) bietet Buhl im Winzerhof Termine für Gruppen und Firmen ab 5 Personen an. Der Preis variiert nach den Zutaten, beinhaltet aber Verpflegung den ganzen Tag. "Letztens haben wir auch die neuen Weine verkostet. Direkt aus dem Keller."
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