Nicht jeder Fisch ein guter Fang
Frisch geräucherter Heilbutt ist ein kulinarisches Ereignis." Walter Hoch isst, wovon er spricht. Seit er in den 1990er-Jahren am Campingplatz von Usedom auf den Geschmack gekommen ist, sucht er auch im Supermarkt in Wien nach frischem Heilbutt.
Herrn Hoch ist der Appetit allerdings ein bisserl vergangen. Und das hat nichts mit dem Angebot im Geschäft zu tun. "Ich kaufe frischen Fisch." Im Fisch-Einkaufsratgeber der Naturschutzorganisation WWF steht der Heilbutt aber unter der Rubrik "Lieber nicht!". Der Heilbutt wird mit Grundschleppnetzen gefangen, eine Methode, die den Meeresboden auf Jahre hinaus ruiniert. "Das trifft auch auf die beiden MSC-zertifizierten Heilbuttfischereien zu", kritisiert die Meeresbiologin von Greenpeace, Antje Helms.
MSC ist ein Gütesiegel für Wildfang, das Logo zeigt einen weißen Fisch auf blauem Grund mit dem Schriftzug "Marine Stewardship Council" (Fische und Meeresfrüchte aus zertifizierter nachhaltiger Fischerei). Das Gütesiegel habe zwar das "Raubrittertum in der Fischerei" beendet, sagt der Meeresbiologe der Universität Wien, Gerhard Herndl, biete aber keine 100-prozentige Sicherheit. Unter Umweltschützern ist MSC umstritten. Vor allem der Fang mit Grundschleppnetzen, die mit Kufen über den Meeresboden geführt werden, wird von Greenpeace abgelehnt.
Schweinswal im Netz MSC-Sprecherin Gerlinde Geltinger hält dagegen, dass jede Fischerei vor der Vergabe des Siegels genauestens geprüft werde, "und es gibt Fälle, in denen das Grundschleppnetz durchaus nachhaltig sein kann, und sogar verträglicher als andere Fangmethoden". Ein Beispiel dafür: Die dänische Dorsch-Fischerei mit Grundschleppnetzen ist seit April 2011 durch MSC zertifiziert. Die Dorsch-Fischerei mit Stellnetzen nicht. Begründung: In der östlichen Ostsee lebe eine kleine Population von Schweinswalen, deren Bestand rückläufig. Die Wale verfangen sich in den Netzen und ersticken.
Für Helms sind Fälle wie dieser kein Beweis für die Verlässlichkeit des Gütesiegels. Niemand könne kontrollieren, ob ein Netz in der vorgeschriebenen Höhe durchs Wasser gezogen werde. Und selbst wenn, ergänzt Herndl, werden hochwachsende Gemeinschaften von bodenlebenden Organismen in Mitleidenschaft gezogen. Der Wissenschaftler betont, dass der sogenannte „Beifang (unbeabsichtigt im Netz mitgefangene Meereslebewesen) nicht nur aus Fischen besteht. "In Bodenschleppnetzen verfangen sich auch Schwämme und Seescheiden, die hinterher weggeworfen werden."
Scholle mit Siegel
KURIER-Leserin Christine Schleritzko hat ein Problem mit ihrem erklärten Lieblingsfisch. "Ich kaufe Scholle, will aber, dass der Bestand nicht gefährdet ist." Sie steht vor dem Problem, dass Umweltschützer von Scholle abraten, der Fisch im Supermarktregal aber als nachhaltig angepriesen wird. Herndl rät zu Scholle aus der Nordsee (siehe Interview), aber mehr noch zu Fischen aus heimischen Teichwirtschaften.
Walter Hoch hat sich entschieden. Heilbutt kommt ab sofort seltener auf den Tisch. "Ich bin der Meinung, dass jeder Einzelne zählt. Daher ziehe ich, nach meinen Möglichkeiten, die Konsequenzen."
Interview: "Dem Raubrittertum ein Ende gesetzt“
Der Meeresbiologe Gerhard Herndl ist Tiefseeforscher und Wittgenstein-Preisträger 2011. Zwölf Jahre erforschte er unter anderem die Nordsee.
KURIER: Herr Professor Herndl, kann man heute noch guten Gewissens Scholle essen?
Gerhard Herndl: Wenn Sie aus der Nordsee kommt, ja. Dort wurden Ruhezonen eingerichtet, in denen mehrere Jahre lang nicht gefischt werden darf, damit sich die Meeresfauna erholen kann. Trotz Protesten der Fischer werden diese Zonen von Ländern wie Dänemark, Deutschland und den Niederlanden kontrolliert. Das funktioniert. In früheren Zeiten wurde der Boden der küstennahen Meere mit Grundschleppnetzen mehrmals pro Jahr umgeackert. Man weiß von Studien in der Nordsee, dass es sehr lange dauert, bis sich der Meeresboden regeneriert.
Was halten Sie vom MSC?
Grundsätzlich begrüße ich die Initiative, weil sie dem Wildwuchs, der bis vor ca. 20 Jahren geherrscht hat, ein Ende gesetzt hat. Das war Raubrittertum. Die Hochseefischerei gehört aber nicht zertifiziert, sondern verboten. Unter anderem, weil die Tiefseefische langsamer wachsen und mehr Schadstoffe in ihrem Körper akkumulieren als die Fische der Küstengewässern.
Lexikon
Baumkurre Das Schleppnetz wird von einer Querstange, der "Baumkurre", offen gehalten und gleitet auf Kufen über den Meeresboden. Zwischen den Kufen hängen Eisenketten, die am Boden lebende Fische aufscheuchen und ins Netz treiben. Kritisiert wird die hohe Beifangquote, für 1 Tonne Shrimps werden bis zu 15 Tonnen andere Meereslebewesen entsorgt.
Stellnetz Die Netze sind mit Gewichten fest im Boden verankert. Scholle, Seezunge und Kabeljau werden so gefangen, ungewollt auch Schweinswale.
Grundschleppnetz Das Fangnetz wird über den Meeresboden geschleppt und wühlt ihn auf.
Kommentare