Kochen ohne große Show
In zweiter Linie haben die Franzosen einen Kopf – Descartes, Diderot, Camus. In erster Linie haben die Franzosen aber einen Bauch – Escoffier, Bocuse, Frechon.
Eric Frechon ist einer der höchstdekorierten Köche des Landes und wirkt in einer der besten Adressen von Paris.
Auch Paris hat einen Bauch – für viele Reisende heißt diese Mitte "Le Bristol". Die Geschichte des Hotels beginnt 1758, heute gehört das Fünf-Sterne-Haus zur "Oetker Collection", einer exklusiven "Privatsammlung" von Luxushotels in Deutschland, Frankreich und nun auch Marokko.
In einem Glaskobel unter den Festsälen, inmitten von Nirosta und seinen Küchenbrigaden überblickt Frechon das Geschehen. Ein Meister seines Faches, dessen Küche ohne große Show bestehen kann. Das überzeugt auch Nicolas Sarkozy – er gehört zu den Stammgästen von Frechon. Noch.
Im Hintergrund der Kommandozentrale von Frechon Hunderte Kochbücher, fast ausnahmslos französische Publikationen, wie es sich für einen Franzosen gehört. Fast paradox, dass einer der Hauptbotschafter der klassischen französischen Haut Cuisine die einfache Küche propagiert. Aber es funktioniert, er interpretiert sie immer wieder neu, extrem reduziert. Und souverän. Manche seiner Gerichte sind Klassiker.
KURIER: Im März 2009 bekamen Sie den dritten Michelin-Stern. Was war Ihr erster Gedanke?
Eric Frechon: Ich bin so glücklich! Der zweite Gedanke: An die Arbeit.
In Österreich wird die Haubenküche derzeit von einem regionalen Gedanken beherrscht. Hat Spitzenküche ohne Luxus wie Gänseleber ihre Berechtigung?
Auf jeden Fall. In Frankreich gibt es diese Bewegung schon lange. Wir aber leben in Paris – die Metropole, die ganz Frankreich repräsentiert. Daher holen wir uns für unsere Küche das Beste aus jeder Region.
Kennen Sie österreichische Küche? Falls ja, mögen Sie sie?
Nein, keine Ahnung. Gibt es überhaupt eine österreichische Küche? (lacht)
Welche kulinarischen Trends kommen auf uns zu?
Trends sind ja nicht unbedingt erstrebenswert. Warum müssen wir immer etwas Neuem nachjagen, wenn wir mit dem, was wir jetzt auf die Teller bringen, gute Arbeit leisten und die Gäste es schätzen? Wichtig ist, den Mut zu haben, sich zurückzunehmen – bei mir kommen nie mehr als drei Geschmäcker auf den Teller.
In Ihrem Restaurant kostet ein Menü ohne Weinbegleitung 280 Euro. Ist es heute möglich, ein Luxusrestaurant zu betreiben, ohne wirtschaftliche Stütze eines renommierten Hotelbetriebs?
Völlig unmöglich. Sehen Sie sich einmal an, wie viel Personal hier herumrennt – in der Küche wie im Service. Unser Wareneinsatz ist enorm, im Keller liegen mehr als 60.000 Flaschen Wein – das kann man sich alleine nicht leisten. Und es ist auch nicht einfach, bei dem Risiko die Nerven zu behalten und kreativ zu sein.
Warum gibt es heute so viele Fernsehköche?
Die Nachfrage ist groß, die Eitelkeit der Kollegen mindestens ebenso.
Die wichtigsten Fähigkeiten eines erfolgreichen Kochs?
Kreativ, streng bis rücksichtslos, großzügig.
Interessante Kombination.
Nur so kann es funktionieren. Das klingt jetzt nicht besonders sympathisch, aber so ist die Realität. Ich denke zum Beispiel beim Kochen nicht daran, wem dieses Gericht besonders gefallen könnte. Ich denke nicht an den Gast, sondern nur an mich. Ich koche, was mir schmeckt und gefällt und hoffe, dass es dem Gast genauso geht. Aber glauben Sie mir: Ich setze mich selbst genug unter Druck.
Wie sieht das Restaurant der Zukunft aus?
Es kann nur mit einem Konzept funktionieren – einfache Küche aus perfekten Zutaten. Was sich im Gegensatz zu meiner Lehrzeit geändert hat: Essen muss bekömmlich sein. Man muss Butter und Obers stark reduzieren und anders auf den Geschmack kommen. Eine Herausforderung für uns Köche, aber es geht.
Sie hatten ein Restaurant und haben es zugunsten des "Epicure" aufgegeben?
Es war frustrierend, weil ich nicht so kreativ sein konnte, wie ich wollte. Ich hatte weder die Produkte noch das Personal noch das Geld, um meine Ideen umzusetzen. Die Entscheidung, ins "Le Bristol" zu gehen, war nicht schwierig.
Was würden Sie heute einem jungen Koch raten?
Keine Leidenschaft – kein Erfolg.
Infos
Hotel Le Bristol Paris, 112, Rue du Faubourg Saint Honoré, 75008 Paris, Tel.: +33 1 53 43 43 00.
Martina und Karl Hohenlohe sind Herausgeber des GaultMillau. Der Gourmetführer ist um 33 € im Buchhandel oder bei www.gaultmillau.at erhältlich
Kochkünstler: Konsequent puristisch
Pur
Eric Frechon wurde 1963 in Corbie geboren und führt seit 1999 das Restaurant "Epicure" im Hotel Bristol. Im Laufe seiner Karriere kochte er in Häusern wie dem "Taillevent" und dem "Les Ambassadeurs" in Paris. Seine Küche zeichnet sich durch konsequent puristischen Stil aus, was meist zu hochkonzentrierten Geschmackserlebnissen führt. Alles ist auf ein Hauptprodukt abgestimmt, es finden sich nie mehr als drei Komponenten auf dem Teller.
Eine Wucht
Wir starteten mit Radieschengelee und Mousse von Radieschenblättern, samt knuspriger Garnele mit Mayonnaise, Ananaschip und schwarzem Pfeffer. Es folgte Frechons Interpretation von Makkaroni – gefüllt mit Artischocken und schwarzen Trüffeln, überbacken mit Parmesan – eine Wucht. Ein Highlight: Schollenfilet gefüllt mit Morcheln, dazu grüner Spargel und eine Sauce aus reduziertem Morchelfond und Obers – technisch perfekt.
Bistronomie: Französische Spitzenküche trifft Wirtshaus
Das Konzept ist bestechend einfach: Haut Cuisine im Bistro. Und es geht auf, denn anspruchsvolle Küche in legerem Ambiente steht seit Langem in der Poleposition auf den Wunschlisten junger Gourmets sowie Genießern mit Schwellenangst. Der Pionier der Bewegung heißt Yves Bamdeborde, der mit seinem "Comptoir du Relais" schon in den 1990er-Jahren so manchem Luxustempel das Fürchten lehrte. Die urbanen Landgasthäuser mit der Küche von Jungtalenten bekommen laufend Nachwuchs, hier die interessantesten:
Agapé Substance
Kaum ein Restaurant hat in den letzten zwölf Monaten für soviel Aufregung gesorgt, wie diese Miniatur in St. Germain. 2011 eröffnet, wurde es in kürzester Zeit zu einem der großen Must-be-Lokale der Stadt. Man sitzt an einer langen Tafel und schaut dem Team beim Kochen zu, Spiegel an den Wänden und an der Decke geben dem Ganzen etwas Surreales, die Küche von David Toutain stellt sich als stimmig experimentell heraus. Hier spürt (und schmeckt) man Lebensfreude – Seeigel im Kaffeeschaum, Pfahlmuscheln mit Mangold und Blauschimmelkäse, lauwarme Maiscreme mit pochiertem Ei und schockgefrostetem Mais. Und: das kleinste und modernste Techno-Klo der Welt. Carte-Blanche-Menü 99 € bis 129 € (ca. 20 Gänge), Biowein-Begleitung ca. 70 €.
Agapé Substance, 66 Rue Mazarine, 75006 Paris, www.agapesubstance.com
Frenchie
Gregory Marchand arbeitete u.a. in Jamie Olivers "Fifteen". Das Bistro ist winzig und bietet frische Marktküche: geräucherte Makrele mit Spargel, Zitrone; Gnudi (nackte Ravioli) mit Eierschwammerln, Erbsen und wildem Spinat; baskischer Schweinebrust mit Rüben; Noisette-Tarte mit Erdbeeren. Reservierungen mindestens zwei Monate im Voraus! Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise (oder Käse) 38 €.
Frenchie, 5–6, Rue du Nil, 75002 Paris, www.frenchie-restaurant.com
Le Chateaubriand
Der Baske Inaki Aizpitarte war u.a. Steinmetz. Der Autodidakt bietet ein 45-€- Fünf-Gang-Menü. Flambierte Tagliatelle mit wilden Pilzen, Tarte Tatin von der Gänseleber mit karamellisierter Mango, Piccata vom Kalbsrücken mit Morcheln und Foie Gras.
Le Chateaubriand, 125, Rue de Tocqueville, 75017 Paris, www.lechateaubriand.fr
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