Die Ostsee lebt

Fischer in europäischen Gewässern ordnen ihren frühmorgendlichen Fang. Statt die Flotte mit fast 1 Milliarde an Subventionen zu stützen, investiert die EU Geld in die Erforschung ihrer Fischbestände
Kabeljau, Hering und Scholle profitieren von strengen wissenschaftlichen Fangquoten. Aber nicht alle Bestände haben sich erholt.

Rund acht Kilo Fisch essen Herr und Frau Österreicher im Jahr. Zu Silvester kommen Karpfen, Lachs, Hering, Thunfisch und Meeresfrüchte auf den Teller. Dass die Fischgründe nicht unerschöpflich sind, hat sich zwar mittlerweile herumgesprochen, aber dass es sich lohnt auf Zertifikate für nachhaltige Fischerei zu achten, ist neu.

Die Ostsee lebt
A sole is measured to check if it is within the legal size aboard the trawler 'Ville de Pornic' in the Atlantic Ocean off western France early May 28, 2008. Many of Europe's professional fishermen are protesting soaring fuel prices which they say makes their profession no longer financially worthwhile. Picture taken early May 28, 2008. REUTERS/Stephane Mahe (FRANCE)
Für Fischliebhaber hat die Umweltschutzorganisation WWF eine gute Nachricht: Einige europäische Bestände haben sich aufgrund schonender Nutzung erholt. Kabeljau, Scholle und Hering aus der Ostsee gehören in diese Gruppe. „Wir gehen davon aus, dass die Ostsee das erste europäische Meer ist, das nachhaltig befischt werden kann“, zitiert der Spiegel Christopher Zimmermann, den Leiter des Thünen-Instituts für Ostsee-Fischerei. In der Nordsee geht es Hering und Scholle wieder gut.

Neue Norm

Die Anrainerstaaten der Ostsee haben sich schon vor Jahren zur nachhaltigen Fischerei entschlossen, um die Zahl der Fische langfristig hoch zu halten. Fangquoten werden nach wissenschaftlichen Kriterien festgelegt. Der Beifang, der knapp ein Viertel des von der EU-Flotte gefangenen Fisches ausmacht, wird auf die Quote angerechnet. Subventionen für Fisch-Trawler wurden gestrichen, stattdessen wird Geld für die Kontrolle der Fischer und die Erforschung der Fischschwärme bereit gestellt. EU-Fischer müssen sich auch außerhalb Europas an die zugeteilten Quoten halten und können nicht mehr die Gewässer vor den Küsten Afrikas ausbeuten. Bis 2015, spätestens aber 2020 sollen alle europäischen Gewässer nach dem Vorbild der Ostsee befischt werden, sagt die deutsche EU-Parlamentarierin Ulrike Rodust, die in Brüssel die Reform der Ostsee-Fischerei gestaltet hat. Anreiz für die Fischer: Geht es den Beständen wieder besser, lässt sich auch mehr fangen, argumentiert sie.

„Der Konsument merkt allmählich, dass es sich auszahlt nachhaltig gemanagten Fisch zu kaufen“, meint WWF-Fischereisprecherin Simone Niedermüller. Zur Orientierung wurde für Wildfang das MSC-Zertifikat geschaffen, kurz für „Marine Stewardship Council“, etwa für Hering aus dem Nordostatlantik. Für Aquakultur-Fisch gibt es das ASC-Gütesiegel, die englische Abkürzung von „Aquaculture Stewardship Council“, zum Beispiel für den Pangasius.

Nicht für alle Fische gibt es Qualitätsstandards. Erklärung: Die Bestandsgröße ist nur ein Kriterium für ein MSC- oder ASC-Siegel. Die ökologische Folgen bestimmter Fangtechnik und auch die Menge an Beifang, also von gefangenen Fischen, auf die es der Fischtrawler gar nicht abgesehen hatte, sind weitere Maßeinheiten für nachhaltige europäische Fischerei.

Alte Sorgen

Umweltschutzagenturen wie WWF oder Greenpeace geben zusätzliche Empfehlungen ab und jährlich aktualisierte Fischratgeber heraus (siehe unten). Die nötigen Informationen für den kritischen Konsumenten sind vorhanden. Ein Beispiel: Die Mittelmeer-Bestände sind zu 80 Prozent überfischt. Griechenland ist der größte Exporteur für Goldbrasse (Dorade). Wildbestände und Aquakulturen werden nur schlecht kontrolliert, daher raten Umweltschützer, nur Bio-Goldbrassen zu kaufen.

Freilich ist längst nicht alles gut. Aal und Lachs sind in der Ostsee stark überfischt, in der Nordsee wird die Lage für Kabeljau, Seelachs, Aal und Dornhai brenzlig. „Das Glas ist halb voll oder halb leer, je nachdem wie man es sehen will“, sagt Niedermüller. Bei einigen Beständen gäbe es sogar starke Verschiebungen ins Negative, etwa beim Seeteufel.
Die bekannten Fischfangzahlen berücksichtigen den illegalen Fang nicht. Manche Experten gehen von bis zu 26 Millionen zusätzlichen Tonnen Fisch und Meeresfrüchten pro Jahr aus.

Das alljährlich wiederkehrende Nebeneinander von Weihnachtsgans und Weihnachtskarpfen lässt sich leicht damit erklären, dass die schmackhaftesten Karpfen aus von Gänsen besiedelten Teichen stammen. Das erläutert der Kochbuchautor Gerd Wolfgang Sievers in seinem Standardwerk „Genussland Österreich(Leopold Stocker Verlag, 19,90 €). In der k. k. Monarchie sei es üblich gewesen, Karpfen in Gänseteichen zu züchten.

In vielen Haushalten ist der Karpfen, gebacken auf Erdäpfelsalat, Bestandteil des Weihnachts- und Silvesterabends. Zum einen, weil das Fleisch in der kalten Jahreszeit am wohlschmeckendsten ist. Zum anderen, weil es eine traditionelle Fastenspeise ist. Im Grunde gilt das Fastengebot am Heiligen Abend noch.

Ohne Geschlecht

Die Beliebtheit von Spiegelkarpfen und Karausche hat theologische Wurzeln. Lange galt die irrige Annahme, der Karpfen wäre geschlechtslos und dem Grund des Gewässers entsprungen – eine Metapher auf die jungfräuliche Empfängnis Marias. Garniert mit dem Aberglauben, dass der Karpfenrogen – zu Weihnachten oder Neujahr gegessen – Glück bringe. Waldviertler Karpfen wird seit dem Mittelalter gezüchtet. Vor allem die Klöster Zwettl und Geras gelten als Begründer der Karpfenzucht. Durch die vegetarische Ernährung sind Karpfen problemlos in der Haltung, im rauen Klima dauert die Aufzucht allerdings zwei bis drei Jahre länger als anderswo.

60 Prozent der Speisefischbestände weltweit sind bis an die Grenzen genutzt, 30 Prozent sind laut Greenpeace überfischt. Der aktuelle Fischratgeber empfiehlt an erster Stelle Karpfen, der guten Gewissens genossen werden kann, vor allem aus Bio-Teichzuchten in Österreich, Deutschland und Tschechien. Beim Lachs gilt es genau hinzuschauen, die Umweltschützer plädieren für Pazifischen Lachs aus dem Nordostpazifik (Golf von Alaska) und dem Nordwestpazifik (Iturup, Sachalin). Gegen Hering spricht grundsätzlich nichts, jedoch gibt es Ausnahmen. Verzichten sollte man auf Hering aus dem Nordostatlantik (Finnischer, nördlicher Bottnischer, Rigaer Meeresbusen, zentrale Ostsee, keltische See, Porcupine Bank) und dem Nordwestatlantik (Bay of Fundy, Golf von St. Lorenz, wegen der Frühjahrslaicher, Nova Scotia). Thunfisch ist ein Sorgenkind, von dem dringend abgeraten wird. 3,8 Millionen Tonnen werden weltweit jährlich aus dem Meer gezogen. Empfehlenswerte Alternativen sind Skipjack/Bonito aus dem Pazifik („pole & line“, mit Ruten und Leinen gefangen) und Weißer Thunfisch aus dem Pazifik. Außerdem bitte nicht kaufen: Makrele, Zander, Rotbarsch, Sardinelle, Hoki, Snapper, Aal, Meeresfrüchte.

Tipp: wwf.at/de/fischfuehrer

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