Der Mann, der das Noma erfand

Der Unternehmer Claus Meyer.
Als Kind ernährte er sich von Konserven, später erfand er das beste Restaurant der Welt. Ein Interview.

Er ist der Erfinder der New Nordic Cuisine – die Revolution der skandinavischen Küche, die mit dem Restaurant Noma als Epizentrum international Erfolge feiert. Das Interview mit Claus Meyer, dem Mastermind hinter dem gastronomischen Geniestreich, führte Martina Hohenlohe, Chefredakteurin von Gault&Millau.

KURIER: Wann haben Sie begriffen, dass Dänemark einen kulinarischen Wandel braucht?
Claus Meyer: Ich war 19, als ich als Au-pair nach Paris ging. Ich infizierte mich mit Hepatitis und man schickte mich zur Rehabilitation in die Gascogne. Dort wohnte ich bei Guy, einem Bäcker – übrigens ein halber Österreicher. Bis dahin ernährte ich mich von Lebensmitteln aus der Dose und war eines der drei dicksten Kinder des Landes. Guy hat mich geprägt. Nicht nur, was den Respekt vor Essen anbelangt, sondern für mein ganzes Leben. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich 14 war, meine Mutter wurde Alkoholikerin, meinen Vater sah ich nicht oft. Guy und seine Frau hatten sich immer einen Sohn gewünscht. Wir waren füreinander bestimmt.

Der Mann, der das Noma erfand
Koch Claus Meyer in Salzburg mit Martina Hohenlohe Bild: Walter Schweinöster
Warum backen Sie nicht nach wie vor Brote in Südfrankreich?
Ich hatte das Gefühl einer Erleuchtung: Ich wusste plötzlich, was ich mit meinem Leben machen möchte. Viele Jahre versuchte ich, die dänische Küche zu beeinflussen. Was ich in Frankreich gelernt habe, wollte ich kulinarisch umsetzen. Schwierig für jemanden, der alleine arbeitet, kein Geld hat und wenig Erfahrung. Ich begann mit 20, in Dänemark Studienkollegen mit selbst gekochtem Essen zu versorgen und stellte es mit dem Fahrrad zu. Guy sagte mir, ich brauche keine Gänseleber und italienischen Käse, um ein erfolgreiches Restaurant auf die Beine zu stellen. Ich solle lieber in meinen Garten schauen.

Und, was sahen Sie dort?
Ich sah Dinge, die ich nie im Fine-Dining-Restaurant angesiedelt hätte – Lauch, rote Rüben, Kohl. Ich dachte, wenn ich die letzte Mahlzeit meines Lebens vor mir hätte, würde ich keine Gänseleber essen wollen. Zuvor hat noch niemand das Köstliche an vermeintlich belanglosen Produkten auf hohem technischen Niveau herausgeholt. Sie sind zu billig, um in der Haute Cuisine respektiert zu werden. Ich dachte, wenn uns das gelingt, erhalten wir Aufmerksamkeit. Luxus definiert sich nicht durch Geld, sondern durch Qualität.

Es folgte eine Fernsehshow, Catering, Unternehmen für Schokolade, Kaffee, Essig, die Eröffnung des Noma mit Koch René Redzepi. Ein dänischer Traum?
Das Noma war unsere Plattform für die Vision, Dänemark kulinarisch zu revolutionieren. Wir sind damit fast gescheitert. In den ersten Monaten war es meist halb leer. Darauf hin gingen wir zu den Ministern, in deren Interesse unser Projekt fallen konnte: Tourismus, Gesundheit, Wirtschaft. Gemeinsam erarbeiteten wir ein Manifest, was die neue nordische Küche ausmachen sollte. Jeder wurde von Pioniergeist und Euphorie erfasst, dass etwas Großes entstehen könnte und arbeitete selbstständig in seinem Bereich. Dann ging alles schnell.

Sie haben wichtige Impulse in der Gastronomie gesetzt. Glauben Sie wirklich, dass die Dänen nun anders denken und essen?
Sicher gibt es noch viele, die ihr Erdäpfelpüree aus der Packung löffeln. Aber die Gruppe der Menschen, die regionales, hochqualitatives Essen zu Hause schätzen, wird immer größer.

Was ideologisch begann, hat sich als profitables Unternehmen herausgestellt. Ihr Fazit?
Man braucht nicht Geld, um etwas zu bewegen, sondern Wissen, Gespür und ein gutes Netzwerk. Das Geld kam von alleine, Firmen und Institutionen, die die Idee gut fanden, kamen auf uns zu.

Der Mann, der das Noma erfand
Noma
Kann man das Konzept auch in Österreich anwenden?
Der erste Schritt wäre, einen Zweck zu finden. Was wollen Sie transportieren? Es gehört mehr dazu, als ein Rezept, es braucht einen tieferen Sinn. Dieser muss jedem Österreicher aus dem Herzen sprechen. In unserem Fall war es, die Bauern zu fördern, ein Umdenken zu erreichen, lokale Produkte in den Mittelpunkt zu stellen und die Identität der dänischen Küche neu zu definieren.

Das machen unsere Gastronomen gut. Nur weiß international kaum jemand davon.
Dann müssen Sie mit Köchen, Presse, Politikern und der Industrie einen gemeinsamen Nenner finden. Wodurch definiert sich die österreichische Küche? Schüren Sie den Wunsch in mir, Österreich zu besuchen, weil es hier etwas gibt, was ich sonst nirgendwo bekomme.

Was wäre für Sie als potenzieller Gast reizvoll?
Ich war sieben Mal in Österreich. Jedes Mal fiel mir auf, dass man hier nicht Neuem hinterherjagt, sondern eine gewisse Langsamkeit lebt, eine Ruhe. Dies und die Tradition des Landes müsste Teil der touristischen DNA sein.

Als GaultMillau-Herausgeber hören wir oft, dass Haubenküche die breite Masse nicht interessiert. Zu teuer, zu steif, kein Spaß. Enden wir im Wirtshaus?
Nein. Aber die Haubengastronomie muss sich ändern. Essen muss zum unterhaltsamen Erlebnis für den Gast werden, es muss den Zeitgeist reflektieren. Im Noma ging es uns nie darum, privilegierte Menschen zu verwöhnen. Wir wollten ein Statement in Richtung Nachhaltigkeit geben. Es ist nicht wichtig, dass der Kellner ununterbrochen das Weinglas füllt. Das stresst viele Gäste. Schafft man ein Ambiente, das Spaß macht, das eine gewisse Lässigkeit oder gar Verrücktheit zulässt, in dem man auf verschiedenen Ebenen unterhalten wird, kommt die Frage nach der Zukunft der Haubengastronomie nicht auf.

Sie führen heute verschiedene erfolgreiche Unternehmen, mehr als 400 Menschen arbeiten für Sie. Was kommt als nächstes aus Ihrer Schmiede?
Ich ziehe im August mit meiner Familie nach New York City. Ein Investor beauftragte mich, in der Grand Central Station eine Food Hall mit neuer nordischer Küche aufzuziehen. Ich konnte nicht Nein sagen und freue mich darauf, das Projekt zu finalisieren. Wir arbeiten seit zwei Jahren daran, im Februar 2016 soll eröffnet werden. Wir werden wohl zwei Jahre dort bleiben. Was dann kommt, steht in den Sternen. Und jetzt hätte ich gerne einen österreichischen Kaffee, einen Cappuccino ohne Milch.

Das wird schwierig. Wie wäre es mit einem großen Braunen?
Wenn das nicht wortwörtlich zu verstehen ist, warum nicht?

Der 51-jährige Däne hat das "Noma" in Kopenhagen mitbegründet. Vier Mal wurde das Haus als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet.

Innovativer Unternehmer

Meyer überdenkt seit mehr als 20 Jahren Branchen, die mit der Gastronomie verwandt sind, neu – etwa die Agrikultur oder die Foodproduktion. Seine Koch- bücher sind Bestseller. Seine Fernsehshows haben die Wieder- entdeckung der nordischen Küche ausgelöst. Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass in der Wirtschaft Kreativität und Mut unabdingbar sind – in einer Zeit, die immer stärker von Zahlen und Maschinen beherrscht wird.Meyer will nicht nur die dänische Esskultur ändern, sondern die der Welt gleich mit. In Bolivien holt er mit der Melting Pot Foundation Jugendliche von der Straße in eine Kochschule in La Paz. Zudem hat er in den Anden ein Restaurant eröffnet. Das Konzept des Gustu in La Paz: Alle Zutaten müssen aus Bolivien stammen.

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