Urbane Utopien

Urbane Utopien
Digitale Technologien mit Millionen von Sensoren bestimmen die Stadt von morgen. Michael Horowitz über die total vernetzte Smart City – Traum oder Albtraum?

Die ganze Erde wird eine unendlich kontinuierliche Stadt, ein einziges Gebäude, warnte Architekt Hans Hollein. Vor genau 50 Jahren. Heute lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in stickigen Städten. In 50 Jahren sollen es bereits rund 70 Prozent der Menschheit sein. Historische, europäische Metropolen wie Berlin, London oder Paris setzen schon heute vor allem auf totale digitale Technologie, um die ständig wachsende Bevölkerung aufnehmen zu können. Die Städte der Zukunft sollen effizienter, nachhaltiger und lebenswerter werden. Berlins neuer Bürgermeister Michael Müller will dem deutschen Musterschüler-Prinzip gerecht werden und erhebt für seine Stadt sogar den Anspruch, d i e Smart City Europas zu werden. Klingt gut, Smart City. Doch kaum ein Zukunftsthema polarisiert derart wie die urbanen Ballungsräume von morgen. Schon heute überzieht eine immer dickere Datenschicht unsere Umwelt, doch unser Leben in den coolen, hyper-rationalen Smart Cities der nächsten Jahrzehnte wird sich noch viel radikaler geändert haben, alles ist dann total vernetzt.

Millionen von Sensoren beobachten das urbane Leben und uns Menschen – wie Statisten – in der gesamten städtischen Infrastruktur. Die Daten werden ausgewertet und an einen Zentralrechner gesendet, der dadurch den Großteil der städtischen Dienste so effizient wie möglich steuern kann. Für viele ist dieses Modell der neuen Städte ein Traum. Andere sehen darin seelenlose Orte, die Orwells vielzitierten Albtraum Realität werden lassen.

Bis jetzt geben wir meist selbst persönliche Daten freiwillig in sozialen Netzen preis, doch gibt es bereits Geräte, die unser Verhalten steuern: Acure, ein in Japan gängiger Getränkeautomat mit versteckter Kamera erkennt Alter und Geschlecht des Durstigen und bietet ihm auf einem Touchscreen eine entsprechende Selektion von Erfrischungen an. Die französische Firma Quividi misst bereits – unter anderem für Coca Cola, McDonald’s und VW – auf mehr als 2.500 Werbeflächen in 35 Ländern per Gesichtserkennung, wer sich die Reklame ansieht und wer unberührt daran vorbeizieht. Bald werden unsere Städte voller solcher intelligenter Geräte sein, die wissen, was wir wollen und wohin wir unsere Schritte als nächstes lenken … Skeptiker warnen vor einer zentralen Macht, einer Überwachungsgesellschaft, die in den Smart Cities von morgen jedes Detail unseres Lebens kontrollieren, aber dadurch natürlich das urbane Leben verbessern und vereinfachen wird. Kameras und Sensoren analysieren ständig Verkehr und Parkplätze, die Bürger werden mittels App über die aktuelle Lage informiert. Intelligente Straßenbeleuchtung erkennt, ob sich Personen oder Autos auf der Straße befinden – wenn nicht, wird das Licht gedimmt. Und Wettersensoren, die in der ganzen Smart City angebracht sind, warnen vor Unwetter. China will schon in den kommenden Jahren mehr als 100 Millionen Landbewohner in umweltfreundliche und ressourcenschonende Städte locken. Wie nach Sino-Singapore Tianjin Eco-City, 150 Kilometer südöstlich von Peking. Mehr als 30 Milliarden Euro werden gemeinsam mit Singapur in die Entwicklung der asiatischen Muster-Öko-Stadt investiert, die in rund zehn Jahren bevölkert sein wird. Verständlich, wenn man in Peking, wie im vergangenen Herbst bei Smog-Alarm, nur mehr röcheln kann, Kinder und Alte nicht vor die Tür gehen dürfen und Autobahnen wegen schlechter Sicht gesperrt werden mussten.

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