Fenster ins Leben

Fenster ins Leben
Handys von morgen. Michael Horowitz über Innovationen, Smartphone-Sklaven und die Liebe zwischen Mensch und Maschine.

Schon heute sind viele von uns im Netz gefangen, täglich mehrere Stunden in ihre Smartphones versunken und der Selfie-Sucht ausgeliefert. Für manche Menschen ist der Handy-Bildschirm das einzige Fenster ins Leben. Nirgendwo mehr als in Japan wird Liebe im Netz gepflegt: Über LovePlus bucht man für rund 120 Euro interaktive Comicgirls namens Manaka, Nene oder Rinko, um Dating-Simulation, virtuelle Liebe auszuleben. Manchmal entwickelt sich eine enge Bindung zu den als Schulmädchen verkleideten Online-Geliebten, die, für eine kleine Gebühr, auch SMS und Mails an ihre Besitzer schreiben. Eine andere Entwicklung ist in Japan besorgniserregender: Die Staatsbahn warnt, immer mehr Menschen fallen von den Bahnsteigen auf die Gleise, weil sie in ihre Smartphones vertieft sind. 2012 waren es bereits 3.500, ein Mann kam ums Leben.

In Südkorea, der Heimat der drei Branchenriesen Samsung, LG und Pantech, besitzen bereits mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ein Smartphone und 90 Prozent aller Haushalte Breitband-Internet. Und ein Viertel der Südkoreaner unter 18 gilt als dramatisch suchtgefährdet, als Sklaven ihrer Smartphones: Die Regierung hat inzwischen 140 Internet-Suchtzentren – militärisch geführte Entziehungslager – für Jugendliche eingerichtet.

Studenten bekommen eine Gruppenbestrafung im militärisch geführten Qide Education Center in Peking. Durch die raue Behandlung im Bootcamp sollen die jungen Menschen ihre Internetsucht überwinden.

Dennoch: Südkorea gibt weltweit am meisten für die Weiterentwicklung des schnellsten mobilen Internets aus: Mehr als eine Milliarde Euro. Das Netz der fünften Generation – 5G – soll bereits in etwas mehr als zwei Jahren als Testversion verfügbar sein und Ende 2020 in Smartphones integriert in den Handel kommen. Möglicherweise in einem iPhone 10 oder Galaxy S9. Die Netzgeneration 2020+ wird ungeahnte Möglichkeiten bieten. 5G wird tausendmal rasanter als der bisher beste Standard 4G sein. Wer sich heute in der schnellsten Variante und unter optimalen Bedingungen einen Film von einem Gigabyte Größe auf das Smartphone lädt, muss mehr als eine, oft viele Minuten warten. Mit 5G dauert es eine Sekunde. Nur noch eine Millisekunde wird es in fünf Jahren dauern, bis eine Webseite auf dem Handy-Display zu sehen ist. Dadurch wird nicht nur das mobile Surfen beschleunigt, sondern auch der Ablauf interaktiver Online-Spiele, bei denen eine extrem schnelle Reaktion gefordert ist. Sogar dann, wenn der Player mit mehr als 500 km/h in der Bahn unterwegs ist: Das robuste 5G-Netz wird auch dann Daten übertragen, wenn man in atemraubendem Tempo in den Hochgeschwindigkeitszügen von morgen durchs Land rast. Doch schon bevor der neue Mobilfunk-Standard Realität ist, werden Innovationen unsere mobilen Begleiter weiter verbessern. Smartphones kann man bald zu einem Armreifen verbiegen, 3D-Bildschirme mit einer dynamischen Perspektive werden scheinbar greifbare Hologramme bieten und kleine Beamer, die im Handy integriert sind, können Videos auf die Fläche vor dem Nutzer projizieren. Das Smartphone von morgen ersetzt den Haustorschlüssel und fungiert als Blutdruckmesser. Und winzige Riechsensoren werden erkennen, ob Lebensmittel im Supermarkt noch genießbar sind. Im Handy integrierte Barometer werden Positionen auf fünf Zentimeter genau erfassen, Wasser, Dampf, Sand und Staub in Zukunft kein Problem mehr sein – durch eine wenige Nanometer dünne abweisende Schicht als Schutz für das Handy. Und jeder Blick auf das Display wird auf den Millimeter genau erfasst, selbst die geringste Augenbewegung. Dadurch kann man unauffällig die Kamera auslösen, Anrufe annehmen oder Figuren durch ein Spiel lenken. Und auch die Interaktion zwischen Mensch und Computer wird immer realistischer. Forscher das „Hasso-Plattner-Instituts“ in Potsdam haben bereits ein System präsentiert, das über Spannungen am Unterarm Befehle an das Smartphone weiterleitet. Vice versa kann das Gerät aber auch die Muskulatur des Menschen ansteuern. Wird es bald körperliche Reaktionen auf die Aktionen eines Handys geben? Neue Technologien könnten schon bald Science-Fiction-Filme wie Her und die intensive emotionale Beziehung zwischen Mensch und bewussten Computern Realität werden lassen. Ray Kurzweil, 19-facher Ehrendoktor und wissenschaftlicher Google-Vordenker, (Foto) ist jedenfalls überzeugt davon, dass bereits in weniger als 15 Jahren eine Art Liebe zwischen Mensch und Maschine möglich sein wird …

Kommentare