Grüne Revolution

Grüne Revolution
Urbane Landwirtschaft im Wolkenkratzer. Michael Horowitz über vertikalen Gemüseanbau. Und Gärtner, die nie wieder von Rückenschmerzen geplagt werden.

Im Jahr 2050 leben fast zehn Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Wie viele werden dann noch satt? Schon heute hungern rund 870 Millionen Menschen. Während die Weltbevölkerung stetig weiterwächst, werden die Ackerflächen aufgrund der dramatisch steigenden Urbanisierung immer weniger. In 30, 35 Jahren leben 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Gemessen an der aktuellen Produktivität der Landwirtschaft wäre etwa die Hälfte der Fläche Südamerikas zusätzlich nötig, um all diese Menschen zu ernähren. Vor genau 100 Jahren hatte ein amerikanischer Geologe eine Idee, um das weltweite Ernährungsproblem zu lösen: Vertical Farming nannte G. E. Bailey die revolutionäre Methode, Flächen für die Nahrungsmittelproduktion zu maximieren. Mit Ackerbau in Wolkenkratzern. Mittels eines vertikalen Landwirtschaftssystems sollte der Hunger in der Welt bekämpft werden. Unabhängig von Missernten und steigenden Grundpreisen könnte man dann sogar zehn Milliarden Menschen ernähren. Unter Gewächshausbedingungen sollten auf Bauernhöfen mitten in der Großstadt ganzjährig Früchte, Gemüse, essbare Pilze und Algen produziert, Sonnenlicht sollte durch rote und blaue Leuchtdioden ersetzt werden. Allerdings mit immensen Energiekosten: Wollte man den Weizenertrag der USA ein Jahr durch Vertical Farming ersetzen, würde allein für die Beleuchtung acht Mal so viel Elektrizität benötigt, wie alle US-Kraftwerke während eines Jahres produzieren.

Doch weltweit glauben viele weiterhin an die Vision der urbanen Landwirtschaft, in mehr als einem Dutzend Großprojekte funktioniert das Konzept – zumindest ansatzweise – schon heute. In den Niederlanden gibt es seit einiger Zeit bereits Nahrung aus einer Vertical Farm zu kaufen. In der historischen Festungsstadt Den Bosch baut die Firma PlantLab drei Stockwerke unter der Erde Bohnen, Erdbeeren und Gurken, aber auch Rosen an. Man ist von den Jahreszeiten unabhängig und braucht Hagel oder Sturm nicht zu fürchten. Angebaut wird völlig ohne Sonnenlicht – trotzdem mit mindestens dem dreifachen Ertrag eines herkömmlichen Gewächshauses. Und man verbraucht bis zu 90 Prozent weniger Wasser als ein gewöhnlicher Landwirtschaftsbetrieb. In Wien diskutierten im Oktober des vergangenen Jahres beim Austrian Innovation Forum Ökologen wie Dickson Despommier von der Universität Columbia über die nächste landwirtschaftliche Revolution. Für nachhaltige Städte, die den -Verbrauch senken möchten, sei die Vertical Farming-Vision in Zukunft unerlässlich – auch in Wien sollte man sich bald Gedanken machen, meinte Despommier. Allerdings rät er dazu, vorerst klein anzufangen, mit Pilotprojekten, um aus Fehlern zu lernen. In einem Großprojekt könnte dann Gemüse für rund 20.000 Menschen angebaut werden. „Bei zwei Millionen Menschen in Wien wären das 100 Wolkenkratzer, die man für die Gemüsezucht reservieren müsste …“, rechnete der Wissenschaftler vor. In Japan werden bereits fast zehn Millionen Salatköpfe pro Jahr in einem vertikalen Glashaus produziert, in Singapur erntet man in Türmen, die sechs Meter hoch sind, bereits täglich bis zu einer Tonne Blattsalat, Pak Choi und Spinat. Auch in Südkorea, wo der größte Teil der Nahrungsmittel importiert werden muss, beschäftigt man sich mit der grünen Revolution. Und im Vertical Farming Labor in Suwon sorgt man sich über Smog, Klimaveränderung und die Gefahr steigender Naturkatastrophen: „Wir müssen vorbereitet sein, um die Nahrungs-Apokalypse abzuwenden“, meint der koreanische Laborleiter. Bereits vor mehr als 50 Jahren präsentierte Ing. Othmar Ruthner im Kampf gegen die archaischen Methoden des Ackerbaus mit ungeheurer Platz- und Arbeitsverschwendung auf der WIG 64, der Gartenschau im Wiener Donaupark, das Modell eines mehr als 40 Meter hohen vollautomatischen Gemüse-Gewächsturms aus Glas, in dem Salat- und Paradeiserbeete mittels eines Paternostersystems rotieren. Nur ein einziger Gärtner für die Bewässerung wäre erforderlich. Im Fließbandtempo (1,4 Meter/Minute) ziehen die Beete an seinem Kommandostand vorbei. Mit einer handlichen Stiel-Brause pflegt der Gärtner gemütlich das Pflanzengut. Und hat nie wieder Rückenschmerzen

Kommentare