Zukunftsserie: City 3.0

Zukunftsserie: City 3.0
Wir bewegen uns mit Schwebebahnen auf Stelzen oder unterirdisch, Gebäude versorgen sich selbst mit Energie und Autos als Statussymbol sind längst Vergangenheit. Michael Horowitz über die Städte von Morgen.

Mehr als fünf Milliarden Stunden verbringen US-Bürger jährlich im Auto. Das entspricht fast fünf Urlaubstagen pro Person. An die zwei Milliarden Gallonen Treibstoff werden in Staus verschwendet und einer von 120 Amerikanern ist pro Jahr in einen Verkehrsunfall verwickelt, der ihn verletzt – oder tötet. Eine US-Durchschnittsfamilie gibt für Autos inklusive aller Nebenkosten bereits mehr aus als für Essen oder Gesundheit. Andererseits steht das veraltete Infrastrukturnetz aus der Eisenhower-Ära gefährlich nahe am Kollaps. Ein menschenwürdiges Leben in Städten wird in den nächsten Jahrzehnten immer mehr auf dem Prüfstand stehen. Um das Mobilitätsproblem in den Metropolen der Zukunft zu lösen, arbeiten Städteplaner weltweit in Urban Think Tanks fieberhaft an intelligenten Lösungen. Das Konzept „Shareway 2030“ des amerikanischen Architektenteams „Höweler + Yoon“ will das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz mit dem eigenen Auto beenden – auf einem 750 Kilometer langen Städteband von Boston über New York, Philadelphia bis Washington. Fast 55 Millionen Menschen leben dort. Der amerikanische Traum soll neu erfunden werden: Statt Eigentum baut man auf Mitgliedschaft. Die Nachkriegsidylle vom Einfamilienhaus mit Vorgarten, der Garage für zwei Autos und Doris Day-Frauerln, die abends schon mit dem Martini-Cocktail auf den Ehemann warten, ist längst ausgeträumt, Sharing das Zauberwort von heute. Teilen – nicht nur Autos, sondern auch Wohnungen und Häuser. Die Zeit, als das Auto noch ein wichtiges Statussymbol war, als man sich freute, dass der Nachbar vor Neid erblasst, wenn man das erste Mal mit dem neuen Auto um die Ecke biegt, ist – vor allem bei Jüngeren – längst vorbei. Für ein Drittel der 18- bis 25-Jährigen Deutschen ist ein eigenes Auto unwichtig, 80 Prozent geben in der Jugendtrendstudie „Timescout“ an, dass in Städten Autos sinnlos sind, der Anteil junger Menschen, die sich einen Neuwagen kaufen, hat sich binnen eines Jahrzehnts halbiert. Wie werden wir uns in den nächsten zehn, zwanzig Jahren in den Städten fortbewegen?

Wenn es nach den Siegern eines der höchstdotierten Architekturwettbewerbe der Welt – vom Audi-Konzern finanziert – geht, wird es in den Großstädten in Straßen eingebaute Sensoren geben, die den Verkehrsfluss steuern. Und das sogenannte Bundle, mit einer Schwebebahn als mobiler Hauptschlagader. Auf Stelzen über den Autobahnen. Das fast lautlose und umweltschonende Verkehrsmittel wird sowohl Städte als auch Vororte verbinden. Für die letzten paar Kilometer nach Hause stehen winzige Elektro-Autos an den Bahnhöfen. Auf frei werdenden Flächen wird Obst und Gemüse angebaut. Die verbleibenden Straßen haben statt Asphalt eine Tripanel-Oberfläche, die sich der Tageszeit und der gewünschten Nutzung anpassen kann. Einmal ist die Straße eine Autobahn, dann ein Radweg – oder eine Jogging-Strecke mit Sonnenkollektoren. In Megacitys wie Mumbai, Sao Paulo oder New York werden 2030 voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung leben. Auch in Europa sind dann Städte mit 20 bis 30 Millionen Bewohnern zu kaum lebenswerten Gebilden verschmolzen. Durch Smog, Stress und Lärm wird das Leben in den Städten eher zum Über-Leben. Umso wichtiger ist es, dass Konzepte für die Stadt von Morgen bereits heute erprobt werden. In Hammarby Sjöstad, einer völlig neu entwickelten Seestadt in den Schären von Stockholm, begann man vor kurzem mit einem Großversuch, bei dem die gesamte Müllentsorgung in unterirdischen Kanälen stattfindet. Gebäude, die sich selbst mit Energie versorgen, sind bereits geplant. Im ehrgeizigen, 22 Milliarden Dollar teuren, Stadtbauprojekt Masdar baut Ölscheich Muammad bin Zayid Al Nahyan 30 Kilometer östlich von Abu Dhabi bereits an einer sechs Quadratkilometer großen emissionsfreien Stadt. So soll die komplette Wasserversorgung durch solarbetriebene Entsalzungsanlagen erzielt werden. Durch konsequentes Recycling wird frühestens 2025 die erste Öko-Stadt der Welt vollständig durch erneuerbare Energien versorgt werden und nahezu abfallfrei sein. Man bewegt sich dann nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad – für den Transport über längere Strecken soll ein elektrisch betriebenes, unterirdisches Transportsystem dienen. Das Leben, die Atmosphäre der Städte in 20, 30 Jahren wird sich radikal verändern. New York wird nicht mehr New York sein. Dann wird Woody Allen wahrscheinlich auch nicht mehr leben. Aber man wird sich an seinen Satz erinnern … natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur, wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt und wie lange hat sie offen.

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