Bits, Bytes & Bohemiens

Plakat des extravaganten Künstlers Toulouse-Lautrec. In Zukunft kommen wir seinem Leben und dem anderer Künstler virtuell sehr nahe
Cancan, virtuelle Königinnen und Datenhandschuhe. Michael Horowitz über einen Museumsbesuch der Zukunft.

Wenn meine Enkel Nelly und Romy, David und Philipp in 20, 30 Jahren mit ihren Kindern ein Museum besuchen, überreichen ihnen freundliche Roboter 3D-Brillen, hauchdünne Datenhandschuhe und mitdenkende Navigationsgeräte in der Größe eines heutigen Smartphones. Denn diese Helfer werden in Zukunft mit der Datenbank des Museums und den interaktiven Exponaten in Verbindung stehen.

Besucht man eine Toulouse-Lautrec-Ausstellung, werden im Museum von morgen neben den Bildern an der Wand interaktive Exponate zu sehen sein, dank der Brille das Paris des Fin de Siècle. Mit Hilfe von Bits und Bytes wird das Leben des malenden Bohémiens, der das ausschweifende Pariser Nachtleben um 1900 auf seinen Bildern dokumentiert hat, nachvollziehbar: Die Reise im Kopf geht etwa nach Albi, wo Henri de Toulouse-Lautrec als Sohn einer alten französischen Adelsfamilie geboren wurde. So lässt sich auch das Leben in der südfranzösischen Provinz erahnen – fern der Belle-Époque-Eskapaden von Paris. Man bekommt die Entwicklung des extravaganten Künstlers nachgezeichnet: von einem Treppensturz im elterlichen Schloss, bei dem Toulouse-Lautrec sich beide Beine brach, so dass er bis zu seinem frühen Tod mit 36 Jahren kleinwüchsig blieb, bis zu seiner Leidenschaft für Esprit und Ausgelassenheit der Halbwelt von Paris. Varietés, das Moulin Rouge und die Bordelle des Montmartre wurden zu seiner zweiten Heimat.

In einer Ausstellung zum 150. Todestag des Malers im Jahre 2051 mit dem möglichen Titel Toulouse-Lautrec – Ein Leben zwischen Cancan, Cabarets und Champagner wird man im Museum mittels der Datenhandschuhe auch den Silberknauf des Toulouse-Lautrec-Spazierstocks oder die Seiden-Strumpfbänder der Cancan-Tänzerinnen fühlen können.

Besucht man zu dieser Zeit auch die ägyptisch-orientalische Sammlung des Kunsthistorischen Museums mit Zehntausenden weltweit einzigartigen Objekten, wird man mit Hilfe von Brille und Datenhandschuhen eine faszinierend lange Spanne von fast 4.500 Jahren live erleben können. Götterfiguren, virtuelle Königinnen, die sich aus ihren Sarkophagen erheben, werden dann mit den Museumsbesuchern kommunizieren. Etwa im „Center for Living Memory“ in Kairo: Ich bin Nefertari, die königliche Gemahlin des Pharaos Ramses II., ich habe ihm vier Töchter und fünf Söhne geboren, spricht sie würdevoll und antwortet sogar geduldig auf Fragen des Publikums – nach den Lebensumständen vor 3.300 Jahren und ihrer Vormachtstellung im Harem des Königs Ramses II. Das Eindrucksvollste im Museum des Jahres 2050 wird aber weiterhin das einzigartige Erlebnis sein, ein reales Objekt, das Tausende Jahre überlebt hat, zu bewundern. Oder den Gemälden, Lithografien, Plakaten des Pariser Malerfürsten ganz nah sein zu dürfen ...

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