Geht's euch brausen
Früher war alles anders. Endlich ist dieser Satz auch einmal geschrieben. Und wann, wenn nicht jetzt, genau hier, wäre diese kleine große Wahrheit besser untergebracht. Denn einst waren die Wiener Wannen- und Brausebäder das Flaggschiff der städtischen Badeanstalten. Hunderte Menschen standen täglich an den Kassen Schlange, drängten sich bis in die ehrwürdigen k.u.k.-Stiegenhäuser, warteten geduldig darauf, ihre streng bemessene Zeit in einer modernen Dusche genießen zu dürfen. Und dieses „Einst“ ist keineswegs so alt, wie es vielleicht klingt. „Wie ich ein Kind war, bin ich mit meiner Oma ein Mal in der Woche hierher gekommen“, sagt Silvia. „Und hab’s wirklich geliebt.“ Silvia arbeitet im Brause- und Saunabad Hermanngasse im 7. Bezirk. Ihre Kindheit, das war in den 1960er/70er-Jahren. „Na jo“, sagt Herr Erwin, ihr Kollege, der bald in Pension geht, „eigentlich war bis in die 80er-, 90er-Jahr’ recht viel los. Richtig nachg’lassen hat’s erst in die letzten Jahr, im neuen Jahrtausend quasi.“ Und die Statistik gibt ihm durchaus recht. Auch wenn die Zahl der Besuche von knapp 4,8 Millionen in den 1950ern bis Ende der 90er-Jahre auf 200.000 fiel. Weniger, natürlich, aber das gute alte Tröpferlbad war auch da durchaus noch gefragt.
Heute sind es in der Hermanngasse überschaubare 30 Kunden pro Woche, die die Duschmöglichkeit nutzen, von Donnerstagmittag bis Samstagabend ist Betrieb, sechs Brausebäder gibt’s noch in der Stadt, mehr los ist in der Sauna, dem zweiten Standbein, das sich inzwischen alle bis auf eines der alten Bäder zugelegt haben.
„Oba schauen S’ da“, sagt die zweite Frau Silvia des Hauses, die für die Brausen im ersten Stock zuständig ist, und zeigt mir die Einträge in einem alten handgeschriebenen Protokollheft, „vor zehn Jahr waren’s noch über 100.“ Wo sind die Besucher hin? „Na ja, die alten Stammgäst werden weniger, so ist des Leben.“Es ist Donnerstag, 12 Uhr, eine Einzeldusche ist bereits besetzt. Herr H., Amtsgehilfe im nebenan liegenden Bezirksamt, gönnt sich seine wöchentliche „Mittagsbrause“. Eine Stunde kostet 2,30 Euro, wer bei der Intimpflege Gesellschaft nicht scheut, kann um 1,70 Euro in die Gemeinschaftsbrause. Dafür darf man sich eine ganze Stunde lang austoben. Was die Kosten, wenn man die derzeitigen Wasser- und Gaspreise berücksichtigt, doch sehr gering erscheinen lässt.
Aber: Was macht man eine geschlagene Stunde in der Dusche? Bitte?!
Die zweite Silvia, Herrin der Brausen, hebt eine Braue: „Duschen halt? Des is ja net so lang, Haare waschen, fönen, eincremen …“ – „Ich creme nicht.“ – „Ja, ihr Männer habt’s an andern Faltenwurf“, sagt sie mit einem Zwinkern. Herr H. cremt offensichtlich schon, erst um Punkt eins schlurft er mit seiner Aktentasche aus dem Brausenbereich. „Außerdem ham wir hier auch einen Herrn, der zwei Stunden auf einmal nimmt“, sagt Silvia. „Und wir haben im Einsiedler-Bad einen g’habt, der immer gleich drei Stunden geduscht hat“, setzt Lilly, die eigentlich für die Sauna zuständig ist, noch eins drauf. Na Bumm, ich werd ab jetzt sehr viel früher aufstehen …
Erwin geht und putzt die Brause, die Herr H. benutzt hat. Eine halbe Stunde dauert es, bis sie wieder einsatzbereit ist. Auf Hygiene wird Wert gelegt, immer wieder gibt es unangekündigte „Abklatschtests“, mit denen Magistratsbeamte die Duschen auf Keime untersuchen. Übertriebene Eile ist heute nicht nötig, der Andrang hält sich in Grenzen. „Um die Zeit sitzen viele noch im Park. Oder beim Arzt“, erklärt Silvia II, die Brausen-Herrin.
Und wie sehen ihre durchschnittlichen Kunden aus? „Ganz normale Leut“, sagen alle. Einige sind natürlich schon älter, Menschen, die ihr ganzes Leben in einer Wohnung ohne Bad gewohnt haben, und jetzt nicht mehr umbauen wollen. Aber immer wieder kommen auch ein paar Studenten. Temporär die meisten, bis sie etwas Ordentliches gefunden haben, oder wenn’s Probleme mit der Altbauinstallation gibt. „Einmal ist ein ganzer Bus kommen, weil im Studentenheim die Gastherme ausg’fallen ist – na da war was los“, erinnert sich Erwin.
Dazu kommen Bautrupps vom Land, die hier den Zementstaub abwaschen, bevor sie nach einer harten Woche zu ihren Familien heimfahren, ein Beamter vom Ministerium, ein feiner Herr, der in seiner Wohnung im fünften Stock einfach zu wenig Wasserdruck hat, um genussvoll duschen zu können. Der Herr G., von dem sich keiner „etwas gedacht hätte“, bis er sich offiziell von ihnen verabschiedete, weil er eine Entziehungskur antreten wollte. „Nach sechs Wochen ist er wieder ’kommen“, sagt Silvia von den Brausen, „und hat uns erklärt, dass er eigentlich scho die ganze Zeit obdachlos war. Dann ham wir ihm Adressen und Kontakte zsamgsucht – und er hat wieder a Wohnung kriegt.“
Heute kommt Herr G. nicht mehr. Dafür die verwitwete Kürschnersgattin mit den schönen Pelzen, aber ohne Dusche, eine ehemalige Sängerin, die unter dem herabprasselnden Wasser, nicht immer zur Freude aller Anwesenden, vergangene Momente stimmlicher Höhepunkte wieder aufleben lässt – und einige Menschen, denen es so geht wie Frau W., die um halb zwei gleich zwei Stunden in der Gemeinschaftsbrause bucht. „Ich hab schon eine Wanne z’haus ...“, sagt sie fast ein wenig entschuldigend, „aber ich tu mir einfach schon so schwer beim Rein- und Raussteigen. Da komm ich lieber hier her.“
Einmal hat Silvia II ein junges Pärchen gemeinsam in einer Einzelkabine erwischt. Silvia I nickt verständnisvoll: „Bei mir amal in der Sauna, zwei Frauen ...“ – „Was, echt?“ – „Na, frage nicht ...“ – „Und?“ – „Außeg’schmissen.“ Silvia II nickt. „Ja eh, bei mir warn amal zwei Herren, die ham nach dem ,Extraraum’ g’fragt.“ – „Nach was?!“ – „Na, einem EXTRA-Raum halt.“ – „Und?“ – „Na, pfui, hab i g’sagt, ham wir net.“
Eher unübliche Ausnahmen aus dem Lager der erotischen Nervenkitzelevents. Das Zeug zum echten Klassiker hat dagegen Herr W., ein gut gelaunter, rosiger Mann im frühen Pensionsalter, der um 15 Uhr kommt und nur deshalb ins Tröpferlbad geht, weil er beim Duschen so pritschelt und sich die Keppelei der Gattin ersparen will. Auch so kann man für Harmonie in der Ehe sorgen, ohne unmännliche Kompromisse eingehen zu müssen. Wohin Herr W. allerdings geht, wenn er mal muss, werden wir wohl nie erfahren …
Die Lieblingsgäste der beiden Silvias aus der Hermanngasse? „Der kleine türkische Herr, der immer in die Kabine 9 geht. Der ist sooo freundlich“, sagt Silvia I. „Ja, aber der Schauspieler, der grad seinen 74. g’feiert hat, der ist auch unglaublich höflich. Und der spricht so schön“, sagt Silvia II. Er hat angeblich sogar einmal bei Elfriede Ott gelernt, aber für den ganz großen Durchbruch hat“s dann doch nie gereicht. Und natürlich, da sind sich beide einig, der Hannes, der so lang bei seiner Mutter in der Hasengasse gewohnt hat. Er hat immer Bilder für die Damen gemalt, die auch heute noch in den Gängen des Brausebads hängen. Jetzt lebt er in einer betreuten WG, mit Dusche. Aber alle paar Monate kommt er auf Besuch. Und immer, wenn die Silvias Süßigkeiten geschenkt bekommen, heben sie was davon auf, weil der Hannes so gern nascht. „Ein Badegast hat mich sogar besucht, als ich vor vier Jahren im Krankenhaus gelegen bin. Das hat mich schon gerührt“, sagt Silvia II.
Um 17 Uhr kommt, mit Aktentasche, zu den Rippen hochgezogener Breitkordhose und Trenchcoat, der Mann, der so gerne ausgiebig duscht. Zwei Stunden. „Und um sieben schimpft er dann a bissl, weil wir schon zusperren“, sagt Silvia II., die Herrin der Brausen. „Aber des macht nix. Ich bin gern da.“
Vielleicht ja auch deshalb, weil sie schon als Kind, so wie ihre Namenskollegin, mit ihrer Oma immer ins Tröpferlbad gegangen ist. „Wissen S’“, sagt sie, während sie um 19.30 Uhr, die Duschen zum letzten Mal für diesen Tag putzt, „da hat’s diese kleinen grünen Flascherln geben, mit Fichtennadelduft. Dazu des viele heiße Wasser, so lang man will – da hat man das halt richtig genossen.“
Es muss eine ganz eigene Stimmung gewesen sein, im alten Tröpferlbad, wie’s Pirron und Knapp damals in den 1950ern besungen haben. Eine ganz spezielle „Wiener Stimmung“. Und ein bissl was davon kann man auch heut noch spüren. Schön, dass es zumindest noch ein paar von ihnen gibt: die klassischen Wiener Brausebäder.
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