Zielsicher: Besuch bei Wiens Basketball-Nachwuchs
"Da schau – und sie nennen ihn the Austrian Hammer“, sagt Karim zu seinem Freund Constantin. Die beiden Achtjährigen sitzen in einer Umkleidekabine der Stadthalle und sehen sich ein Video an. Von Jakob Pöltl, dem ersten und bisher einzigen Österreicher, der es in die amerikanische NBA, die beste Basketball-Liga der Welt geschafft hat. Der 2,13-Meter-Mann lässt locker einen Gegner von sich ab prallen und steigt dann hoch, um den Ball mit nur einer Hand wuchtig durch den 3,05 Meter hohen Ring des Basketball-Korbs donnern. „Sattes Dunking“, sagt Konstantin beeindruckt.
Wenig später sind die beiden mit etwa 15 weiteren Kindern oben in der Halle A, die vom Sound unermüdlich gedribbelter Bälle und dem Quietschen bunter Air Jordans auf hellbraunem Parkett erfüllt ist. Trainingszeit des Basketballvereins 87. Die Stöpseln der U10 sind gerade mal 1,40 m groß. Und auch wenn der Korb „nur“ 2,60 m über dem Boden hängt, ist der Ring für sie in unerreichbarer Ferne. Trotzdem trainieren die Buben und Mädchen konzentriert und mit Einsatz Korbleger, Pässe, Blocks, Handwechsel und Crossovers. Wer deckt wen? Wie laufe ich mich frei? Wohin bei Ballbesitz? Fragen, die mit großem Ernst geklärt werden. „Mannschaftssport ist wichtig für Kinder. Sie lernen im Team zusammenzuarbeiten, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Ahmet. Seine Töchter Nisa und Leyla haben gemeinsam mit ihrer Freundin Zeynep im September begonnen, Basketball zu spielen. Mein Sohn ist der Jakob-Pöltl-Fan Karim. Wir sind Spielereltern. Zwei bis drei Mal in der Woche zum Training in verschiedenen Turnhallen, an vielen Wochenenden gibt’s Turniere. „Ist aber auch schön“, sagt Ahmet, „du siehst, wie deine Kinder Spaß haben, sich bemühen – und weiterentwickeln.“ Wir sind praktisch die einzigen Eltern im Verein, die selbst nie Basketball gespielt haben. Ahmet kommt vom Fußball. Er liebt Beşiktaş Istanbul. Ich komme vom Lieblingssport Winston Churchills. Dem mit dem großen „No“ davor.
Wir sehen zu, wie Trainerin Katharina, selbst ehemalige Bundesligaspielerin, die Kids durch die Halle sprinten lässt. Mit Ball. 20 Mal. Ahmet grinst: „Das Training ist großartig. Unglaublich, wie sich meine Mädchen körperlich in nur fünf Monaten verbessert haben.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. In den fast fünf Jahren, die ich Karim schon von einem Fußballplatz zum anderen gekarrt habe, konnte ich kaum ein ähnlich gut strukturiertes Training beobachten. „Na ja, beim Fußball kannst ja auch im Spiel immer wieder ein bissl Pause machen“, sagt Ahmet und zwinkert, „beim Basketball funktioniert das nicht. Da geht’s hin und her. Dauernd!“
Im Gegensatz zu den USA, aber auch südeuropäischen Ländern wie Kroatien, Italien, Spanien, Griechenland und Serbien ist Basketball in Österreich noch immer eine Randsportart. Eine überschaubare Anzahl von Idealisten hält das Werkel am Laufen. Rechtsanwalt Christian, als Student selbst begeisterter Basketballer, will demnächst seine erste Trainerprüfung machen, um Coach Katharina besser unterstützen zu können. „Schau“, sagt er, „wichtig ist, dass die Kinder Erfahrungen machen. Dass sie körperlich fit bleiben – und lernen, was ein Team stark macht. Wenn ich da helfen kann, ist das doch eine gute Sache.“ Es gibt kaum Eltern, die von einer Weltstar-Karriere für ihr Kind träumen. Der Ferrari, den ein Fußballprofi a la Alaba seinem Vater mit dem ersten lukrativen Profivertrag spendiert, hängt hier niemandem wie eine unerreichbare Karotte vor der Nase. Entsprechend entspannt und beschimpfungsfrei bleibt die Stimmung auf den Rängen auch bei den Turnieren. Obwohl es unten auf dem Feld ordentlich intensiv wird. Basketball ein körperloses Spiel? Von wegen.
Schon bei einem U10-Match sieht man, wofür die Großen wie US-Superstar LeBron James ihre Muckis brauchen. Christians Tochter, Carmen die Kämpferin, nimmt furchtlos jeden Zweikampf an. Lenny der Zauberer wird von zwei Gegnern in die Zange genommen. Paulina die Strategin treibt das Spiel nach vorne, Armin der Unaufhaltbare tankt sich ein ums andere Mal auf der rechten Seite durch und punktet mit lässigen Korblegern. Seine Mutter Alisa hat es in den USA bis in die höchste College-Liga geschafft, hält seit den 1990ern einige Rekorde an der Universität von Memphis. Sein Bruder Nordin zählt zu den besten Nachwuchsspielern des Landes, wurde mit der U14 Vizemeister und ist jetzt mit der U16 auf Titelkurs. Sind hier doch die nächsten Karrieren im Ausmaß eines Jakob Pöltl in Sicht?
Mit Matteo Duerschmied ist derzeit ein weiterer junger Wiener immerhin auf dem Sprung in ein US-College. „Wenn Basketball dir ein Studium in den USA ermöglicht, ist das natürlich eine tolle Sache“, sagt Armins Papa Faris, „da würde kaum jemand Nein sagen. Du spielst auf höchstem Niveau – und bekommst eine akademische Ausbildung. Profi werden dann aber auch von den College-Spielern nur die Wenigsten. Armins Mutter hat sich damals bewusst für ihren Beruf und gegen eine Profi-Karriere entschieden ...“
Nisa hat ihren ersten Korb in einem Match geworfen. Sie strahlt. Will sie Basketball-Profi werden? „Ja natürlich“, lacht sie. Und: „Nein, nicht wirklich. Ich möchte Basketball spielen und studieren. Und dann Mathematik-Professorin werden.“ – „Na gut, dann werd ich halt auch Lehrerin. Oder vielleicht doch Sängerin?“, sagt ihre kleine Schwester Leyla. „Also ich könnte ja alles werden, Sängerin, Schauspielerin und so. Aber ich werde Ärztin, da bin ich mir sicher“, ruft ihre Freundin Zeynep dazwischen. Constantin könnte sich auch was als Sanitäter vorstellen. Oder doch etwas mit Tanz? Immerhin macht er auch Capoeira. Er ist sich noch nicht ganz sicher ...
Die Perspektive, dass aus einem Spiel mehr wird als „nur“ ein Spiel, hat Jakob Pöltl eröffnet. Sie wurde allerdings noch nicht zur fixen Idee. Die Eltern wollen ihre Kinder nicht zu Sportmillionären machen. Die Kinder sehen sich nicht als zukünftige Superstars. Sie wollen ganz einfach drei Mal die Woche Spaß haben. Und genau so soll es sein.
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