Wie Kamele zur mobilen Bibliothek mutierten

Dromedare brachten Nomaden Bücher
Die großen Bibliotheken der Welt – sie sind mehr als Lesesäle mit Regalen. Sie sind Orte, die Wissen speichern, aber auch Sehnsucht. Nach Ruhe, nach Macht, nach Ordnung im Chaos der Menschheit.
Die vielleicht berühmteste von allen stand in Alexandria. Gegründet im 3. Jahrhundert v. Chr. soll sie bis zu 700.000 Schriftrollen besessen haben – ein gigantisches Archiv des antiken Wissens, in dem sich Homer neben babylonischen Sternenkarten fand. Heute fasziniert sie vor allem durch ihr Verschwinden: geplündert und zerstört. Was blieb, ist die Vorstellung, wie großartig sie heute noch wäre.
Wo ist die Bibliothek vom schrecklichen Iwan?
Jahrhunderte später tauchte in Russland ähnliches auf. Oder auch nicht: die Bibliothek von Iwan dem Schrecklichen. Er soll, so zumindest die Legende, seltene Manuskripte besessen und dann versteckt haben. Schatzsucher suchen noch immer, Historiker bezweifeln, dass sie je existierte.
Nicht weniger als ein Hauch von Mythos umweht viele noch existierende Bibliotheken – vom Vatikan bis zum Stift Admont. Daneben gibt es jedoch auch Büchereien, die ganz anders funktionieren: Sie sind unscheinbar, schräg und überraschend. Solchen Orten widmet sich der neue Lonely-Planet-Bildband Bücherschätze, der am 14. Oktober erscheint. Darin blättert man nicht so sehr durch Seiten über marmorne Lesesäle, sondern vielmehr durch Seiten über Kühlschränke in Neuseeland, mobile Panzer-Bibliotheken in Argentinien oder Baumstämme in Idaho, die nicht wachsen, sondern Romane bereithalten.
Flughafen Baku, Aserbaidschan
Am Flughafen von Baku wartet im Terminal mehr als Duty-Free-Shops, überteuertes Essen und muffige Reisende: nämlich eine Bibliothek. Untergebracht in einem hausgroßen, holzverkleideten „Kokon“ des türkischen Designstudios Autoban bietet sie zwei Stockwerke voller Bücher, verbunden durch eine Wendeltreppe. Der Bestand stammt vom Flughafen und von Reisenden, die spenden. Kostenlos, gemütlich und perfekt, um sinnlose Wartezeit in wertvolle Lesezeit zu verwandeln.

Kloster Sakya, Tibet
Auf 4.267 Metern Höhe birgt das buddhistische Kloster Sakya eine spektakuläre Bibliothek: Eine einzige Bücherwand von 60 Metern Länge und 11 Metern Höhe, voll mit zehntausenden Manuskripten, manche davon fast 1000 Jahre alt. Diese Schätze in Tibetisch, Sanskrit, Chinesisch und Mongolisch überstanden selbst die Kulturrevolution. Bis heute ist jedoch nur rund ein Fünftel digitalisiert – der Rest wartet darauf, erforscht, gehoben und erzählt zu werden.

Die Bücher im Kloster überstanden sogar die Kulturrevolution.
Katharinenkloster auf dem Sinai, Ägypten
Am Berg Sinai in Ägypten thront das Katharinenkloster, dessen Bibliothek seit dem 6. Jahrhundert ein Hort heiliger Schriften ist. Der byzantinische Herrscher Justinian ließ es dort errichten, wo sich Gott Moses in einem brennenden Dornbusch offenbart haben soll.
Nach dem Vatikan beherbergt sie die größte Sammlung frühchristlicher Manuskripte, darunter ein Bibelmanuskript aus dem 4. Jahrhundert. Ein riesiges Hotelprojekt auf dem Sinai könnte dem Kloster gefährlich werden.

Imposant, doch durch ein Hotelprojekt bedroht.
Kamelbibliothek, Kenia
In Kenia brachte eine „Kamelbibliothek“ vom Dorf Garissa aus Bücher mitten in die afrikanische Wüste. Drei Kamele schleppten 400 Bände, Zelt und Ausrüstung. Ein kleines Team aus Treibern und Bibliothekaren tingelte vier Tage pro Woche zu Nomaden und versorgte 3.500 Leserinnen und Leser mit Lesestoff. Am Ende war das Projekt zu teuer – die Kamele wurden aus dem Dienst entlassen und durch Motorräder ersetzt.

Teylers Museum Haarlem, Niederlande
Das Teylers Museum in Haarlem ist das älteste der Niederlande. Neben Ölgemälden oder Edelsteine beherbergt es, was die wenigsten wissen, eine Bibliothek. Sie ist so umfangreich, dass sie gern als „Internet des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet wird. In hohen Mahagoni-Regalen lagern hier mehr als 125.000 Bände aus den Bereichen Botanik und Geowissenschaften. Licht fällt nur durch Oberlichter herein. Zutritt haben allerdings nur Forscher – oder Besucher im Rahmen einer Führung.

Ganz schön - und etwas dunkel, diese Museumsbibliothek
Telefonzelle, England
Im Jahr 2009 wurde einer klassischen roten K6-Telefonzelle in Westbury-sub-Mendip neues Leben eingehaucht: Nachdem das Bibliotheksmobil gestrichen wurde, dient sie seither als Mini-Bibliothek. Nachbarn bestückten die Regale und die kleine Zelle avancierte zum Vorbild für über 150 ähnliche Mini-Bibliotheken in ganz England. Sogar Queen Camilla konnte dem Charme der umgebauten Telefonzellen nicht widerstehen und besuchte einige persönlich. Inzwischen stehen auch in Wiener Telefonzellen Bücher bereit.

Die Telefonzelle mit Büchern fand viele Nachahmer rund um den Globus.
Buchtipp: Bücherschätze. Die ungewöhnlichsten Bibliotheken der Welt, MairDuMont, ca. 25 Euro. Erscheint am 14.10.2025
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