Warum 'Last Christmas' und Tannenduft uns zum Kaufen verleiten

++ THEMENBILD ++  ERSTER EINKAUFSSAMSTAG IM ADVENT
„Last Christmas“ & Lichterglanz: Eine Konsumentenpsychologin erklärt, wie Reize die vorweihnachtliche Kaufstimmung lenken.

Zusammenfassung

  • Multisensorische Reize wie Musik, Düfte und Dekorationen aktivieren im Advent starke Emotionen und beeinflussen das Kaufverhalten.
  • Nostalgie, vertraute Rituale und gezielte Inszenierungen steigern die emotionale Bindung zu Marken und erhöhen die Kaufbereitschaft.
  • Handel nutzt professionelle Sensorik, um Atmosphäre zu schaffen, wobei die Grenze zwischen Inszenierung und Manipulation schmal ist.

Der Advent ist eine Jahreszeit, die Emotionen im Rekordtempo weckt. Lichterglanz, vertraute Songs und Tannenduft wirken wie ein Schalter, der Erinnerungen und Stimmungen aktiviert. Das beeinflusst auch das Verhalten. Die Konsumentenpsychologin Univ.-Prof. Marion Garaus, Sigmund Freud Privatuniversität, erläutert, weshalb bestimmte Reize gerade in der Weihnachtszeit so effektiv sind, wie Nostalgie Kaufentscheidungen prägt und weshalb wir manchmal genau dann zugreifen, wenn „Last Christmas“ zum hundertsten Mal ertönt.

KURIER: Keine Jahreszeit ist so aufgeladen wie der Advent. Was passiert da psychologisch-emotional? 

Univ.-Prof. Marion Garaus: Wenn wir durch festlich geschmückte Geschäfte schlendern, reagiert unser Gehirn unmittelbar auf das Zusammenspiel aus Musik, Licht, Düften und Dekoration. Diese Elemente aktivieren gespeicherte Erwartungen, das sogenannte „Weihnachtsschema“. Warmes Licht, Tannenduft und bekannte Melodien vermitteln Sicherheit, Vertrautheit und Emotion. Wenn die Reize zusammenpassen, entsteht so genannte „Processing Fluency“. Heißt: Wir können Informationen leichter verarbeiten, fühlen uns wohl und verweilen länger. Fehlt diese Passung, entsteht ein kognitiver Bruch. Dann müssen wir aktiv nachdenken, warum sich etwas „nicht richtig“ anfühlt. Das kostet Energie und führt oft dazu, dass wir ein Geschäft rasch wieder verlassen.

Belohnen wir uns im Dezember besonders gern selbst?

Am Jahresende blicken viele auf stressige Monate zurück. Der Dezember bietet die perfekte Gelegenheit, sich für gemeisterte Herausforderungen zu belohnen. Das fällt unter den Fachbegriff „Instant gratification“ oder „Self-reward Shopping“. Der Kauf eines Produkts kann dabei als emotionaler Reset dienen – ein kleines Ritual, das Wohlbefinden erzeugt.

Wie wirkt Nostalgie auf unser Kaufverhalten?

Nostalgie ist eine der stärksten Emotionen überhaupt. Sie schafft Bindung, öffnet die Menschen für Botschaften und führt zu positiveren Bewertungen von Marken und Produkten. Weihnachten ist mit Kindheitserinnerungen und Ritualen verknüpft, die über Generationen weitergegeben werden. Marketing, das diese Gefühle anspricht, erzielt häufig höhere Aufmerksamkeit, bessere emotionale Verarbeitung und eine höhere Kaufbereitschaft. Nostalgie verstärkt unser Involvement – wir fühlen uns stärker angesprochen und reagieren positiver.

Kaufen wir weniger Dinge, sondern Stimmungen?

Ja. Der Konsum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert: Das Erlebnis ist wichtiger als das Produkt. Gerade im Advent erwarten Kunden nicht nur Waren, sondern Atmosphäre, Abwechslung und emotional ansprechende Reize. Kleine Überraschungen wie Livemusik, Duftinszenierungen oder interaktive Dekorationen machen einen Einkauf besonders. Solche Elemente bleiben im Gedächtnis und stärken die Beziehung zwischen Konsument und Marke nachhaltig.

Welche Rolle spielen Deko und Gerüche ?

Gerüche sind die stärksten Erinnerungsauslöser, weil sie direkt in jene Hirnregionen gelangen, die Emotionen steuern. Ein Hauch Vanille, Orange oder Tannennadel genügt, um starke Kindheitserinnerungen zu aktivieren. Sensorisches Marketing ist deshalb kein Trend, sondern ein zentraler Faktor. Das „Weber’sche Gesetz“ erklärt auch, warum Reize im Laufe der Jahre intensiver werden müssen: Wenn die Grundreize bereits stark sind, braucht es deutlichere Veränderungen, damit wir sie noch wahrnehmen. Deshalb wird Deko opulenter, Musik präsenter und Duftinszenierung noch raffinierter.

Vor allem Düfte wirken auf unbewusster Ebene.

Ja. Sie entfalten ihre Wirkung schon knapp unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle und beeinflussen Stimmung, Wohlbefinden und spätere Entscheidungen, ohne dass wir bewusst sagen könnten, was wir riechen. Darum werden Weihnachtsdüfte im Handel oft subtil eingesetzt – sie sollen emotional wirken, nicht zwingend auffallen.

Und was macht Weihnachtsmusik mit dem Verhalten?

Musik strukturiert unsere Wahrnehmung von Zeit. Passende Musik lässt uns länger verweilen, langsamer gehen und entspannter entscheiden. Studien zeigen, dass die Kombination aus Weihnachtsmusik und einem Duft – etwa Zimt oder Vanille – die Bewertung der Atmosphäre, der Produkte und sogar der Markenidentität verbessert. Diese multisensorische Abstimmung ist viel wirkungsvoller als einzelne Reize.

Weshalb funktioniert „Last Christmas“, trotzdem es viele nervt?

Weil unser Gehirn auf Vertrautheit programmiert ist. Der „Mere-Exposure“-Effekt erklärt, dass wiederholte Reize angenehmer wirken, selbst wenn wir sagen, sie seien nervig. „Last Christmas“ ist über Jahrzehnte emotional aufgeladen worden: Lichter, Familie, Rituale, Erinnerungen. Das Lied aktiviert automatisierte positive Assoziationen, die uns in Weihnachtsstimmung versetzen, auch wenn wir es vielleicht rational anders sehen.

Warum greifen diese Inszenierungen insgesamt so gut?

Es ist die Kombination aus Neuheit und Vertrautheit. Weihnachtsreize sind nicht alltäglich, aber sie sind vertraut genug, um schnell verarbeitet zu werden. Die Umweltpsychologie zeigt, dass eine Mischung aus erwarteten und leicht überraschenden Reizen besonders positiv wirkt. Wenn etwas zu vertraut ist, nehmen wir es kaum wahr; ist es zu neu, kann es irritieren. Das Gleichgewicht dazwischen sorgt für Wohlbefinden.

Werden bestimmte Reize gezielt kombiniert, um Gefühle zu erzeugen?

Ja. Klassische Musik wird häufig mit hochwertigen Produkten verbunden, Rock eher mit preisgünstigen. Farben beeinflussen ebenfalls die Stimmung: Blau und Grün beruhigen, Rot aktiviert. Die Forschung spricht hier vom „Optimal Arousal Level“: Menschen bevorzugen ein mittleres Aktivierungsniveau. Zu wenig Stimulation langweilt, zu viel überfordert.

Arbeitet der Handel dafür mit speziellen Firmen zusammen?

Sehr häufig. Sensorik- und Sounddesign-Agenturen optimieren Beleuchtung, Musikprogramme und Duftkonzepte. Bekannt ist etwa „Lush“ für seine intensiven Düfte. Supermärkte nutzen gezielt Brotgeruch, um Vertrautheit zu erzeugen, und platzieren Obst und Gemüse farblich ansprechend am Eingang. Das ist hochprofessionell und längst ein wichtiger Teil der Markenführung.

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Univ.-Prof. Marion Garaus, Sigmund Freud-Privatuniversität

Wie schmal ist die Grenze zwischen Inszenierung und Manipulation?

Sehr schmal. Solange Atmosphäre das Einkaufserlebnis bereichert, empfinden wir sie als angenehm. Problematisch wird es erst, wenn Reize dazu dienen sollen, uns zu Käufen zu bewegen, die wir sonst nicht tätigen würden. Sobald Konsumentinnen und Konsumenten Manipulation spüren, wirkt die Inszenierung nicht mehr. Im Gegenteil, sie kann sogar Ablehnung auslösen.

Was passiert, wenn das alles zu früh beginnt – etwa schon in den Monaten Oktober, November?

Dann kommt es zu folgendem Effekt: Wir gewöhnen uns, die Reize verlieren ihre Wirkung. Viele sind da noch nicht im „Weihnachtsschema“ Weihnachtliche Signale werden dann stärker ausgefiltert, weil sie nicht zur inneren Stimmung passen.

Wie genießt man die Vorweihnachtszeit, ohne überreizt zu werden?

Am besten, indem man Gedränge vermeidet. Zu viele Menschen sind ein großer Stressfaktor. Zu Stoßzeiten steigt die Reizdichte enorm, und Überforderung ist fast garantiert. Wer frühzeitig und entspannt einkauft, nimmt sensorische Reize positiver wahr und empfindet die Atmosphäre als stimmungsvoll statt überwältigend.

Und Ihr persönlicher Umgang mit Dauer-Glühwein-Duft und Jingle-Bells-Berieselung?

Ich genieße die Vorweihnachtszeit sehr. Meine Schmerzgrenze für Weihnachtsmusik ist ziemlich hoch – meine Familie fragt manchmal, ob ich es nicht übertreibe. Aber sobald die Vanillekipferl am Tisch stehen, ist meine Weihnachtsplaylist offiziell freigegeben.

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