Wolfram Pirchner über Panik

Wolfram Pirchner über Panik
Redegewandt, charmant, witzig: Wolfram Pirchner, 55, gilt als Sunny-Boy des ORF. Über seine Schattenseiten hat der Moderator jetzt ein Buch geschrieben. In der spricht er über das Gefühl, sterben zu müssen, seine Rückkehr ins Leben und warum es nicht egoistisch ist, sich selbst am wichtigsten zu sein.

freizeit: Wolfram, wie geht es dir?

Wolfram Pirchner: Danke der Nachfrage. Ausgezeichnet!

Ich frage so explizit, weil das nicht immer so war. Du hast viele Jahre unter Panikattacken gelitten. Kannst du noch mal erzählen, wie alles angefangen hat?

Das war während einer ZiB-Moderation, von einem Moment auf den anderen. Ich habe zu meiner damaligen ZiB-Kollegin Hannelore Veith gesagt, dass mir schlecht und schwindlig ist. Sie meinte: „Das wird der Kreislauf sein. Trink ein Glas Wasser, dann geht es wieder.“ Der Zustand hielt dann aber monatelang an.

Was hast du unternommen?

Ich habe mich zirka acht Mal durchchecken lassen. Dann wurde mir eröffnet, dass physisch zu 99 Prozent alles in Ordnung ist. Der Arzt hat mir erklärt, dass etwas mit der Seele nicht stimmt. Und ich habe gesagt: „Was heißt das jetzt? Dass ich einen Huscher habe?“ Er darauf: „Ja, das könnte man so sagen.“ Ich war 35 und sozusagen ein „Psycho“. Aber wer bitte ist schon ganz normal? Mittigkeit ist auch nicht erstrebenswert. Wir wissen aus der Medizin, was es bedeutet, wenn die Flatline am Monitor erscheint. Aus die Maus.

Welche Zustände hattest du?

Schwindel, Schweißausbrüche, Herzrasen, Beklemmungen. Ich habe mir damals Noten für meinen Gefühlszustand gegeben. In der Früh Nicht genügend, zu Mittag Genügend und abends wieder Nicht genügend. Es ging mir meistens schlecht. Eigentlich bin ich ein geselliger Mensch, aber damals konnte ich kaum noch unter Leute gehen. Das ging so weit, dass ich das Gefühl hatte, sterben zu müssen.

Du hast mir vor vielen Jahren einmal erzählt, dass dir eine Psychologin dann gesagt hat: „Dann sterben Sie eben. Aber mehr als sterben geht nicht.“

Ja, das stimmt – und das war ein tröstlicher Gedanke. Mehr als tot sein geht wirklich nicht. Man könnte höchstens noch Angst vor der Art des Sterbens haben. Die Psychologin hat mir auch recht provokant vor Augen geführt, was im Falle meines Todes passieren würde. Das hat mir die Angst endgültig genommen.

Was hat sie gesagt?

Sie hat mir erklärt, dass meine damalige Freundin sehr schnell einen Neuen finden würde und mein zu dem Zeitpunkt noch sehr kleiner Sohn meinen Tod nicht verstehen würde. „Ihre Eltern werden vermutlich traurig sein“, meinte sie. Dann noch ein, zwei Freunde. Aber der ORF würde sein Programm nicht einstellen und die Sonne würde auch nicht untergehen. Mit einem Satz: Es ist völlig wurscht, ob ich sterbe oder nicht!

Ziemlich brutal. Findest du nicht?

Das dachte ich mir auch. Da zahle ich gutes Geld und die erzählt mir solche Sachen. Ich habe dann aber verstanden, worum es ging. Die eigene Bedeutung und Bedeutungslosigkeit gegenüberzustellen ist schmerzhaft, aber auch erhellend. In Wahrheit wollte ich nur wissen, wer zu meinem Begräbnis kommt. Das hat mit der Tendenz, geliebt zu werden und unersetzlich sein zu wollen zu tun. Fast jeder trägt das in sich. Heute interessiert mich der Tod nicht mehr, sondern nur mehr das Leben.

Die Frage ist nur: Wie hast du es zurückbekommen? Von der dauernden Angst, zu sterben bis zur Lebensfreude ist es ein weiter Weg.

In der Erinnerung ist alles ein bisschen nebulos. Aber die Psychologin hat mir geholfen, meine Sichtweisen zu verändern. Ein Punkt war, dass ich in meinem Leben rigoros aufgeräumt habe. Das hat mit dem Aufräumen von Schubladen angefangen und beim Lösen von belastenden Kontakten aufgehört. Das mache ich bis heute. Am Jahresende lösche ich Nummern von Menschen, die ich das Jahr über nicht gesprochen habe und ich trenne mich von Dingen. Kleidung, die ich nicht anziehe. Das befreit ungemein.

Auch von Panikattacken?

Sie kommen ab und zu wieder. Wenn der Krug voll ist, meldet „es“ sich. Aber heute kann ich damit umgehen und habe keine Angst mehr. Der Punkt ist, dass Selbstheilung nicht funktioniert. Man braucht einen Therapeuten, der einem Werkzeuge in die Hand gibt. Wichtig ist, den Perfektionismus hinter sich zu lassen. Sie müssen hier nicht das perfekte Interview machen, Frau Reiter! Sie dürfen Fehler machen. Frauen sind generell perfektionistischer veranlagt als Männer.

Stimmt. Vom perfekten Interview bin ich eh noch meilenweit entfernt.

Scheiß drauf! Die permanenten Antreiber gehören hin und wieder durch Erlauber ersetzt. Kennst du das? Wenn draußen schönes Wetter ist und man das Gefühl hat, den Tag nützen zu müssen. Dabei würde man lieber auf der Couch liegen. Richtig wäre, zu sagen: Ich bleibe liegen, weil es mir taugt. Das ist eines von vielen Beispielen.

- Wolfram Pirchner

Man muss sich offenbar selbst am wichtigsten sein. So schreibst du es in deinem Buch „Keine Panik“. Kannst du verstehen, wenn das für manche Menschen nach Egoismus klingt?

Mir hat einmal wer sehr g’scheiter gesagt: „Stellen Sie sich in den Mittelpunkt des Lebens, aber nehmen Sie sich selbst nicht so wichtig.“ Das klingt nach einem Widerspruch. Einerseits soll ich mich nicht wichtig nehmen, andererseits in den Mittelpunkt stellen. Gemeint ist damit, dass ich der wichtigste Mensch in meinem Leben bin. Da geht es nicht darum, der tolle, strahlende Typ zu sein. Die Frage ist mehr: Wie gehe ich mit mir um? Welche Bilder und Worte führe ich mir den ganzen Tag zu? Es geht um Selbstliebe. Aber wenn es heißt: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ ist das völliger Unsinn.

Immerhin steht der Satz in der Bibel.

Nicht alles, was in der Bibel steht, ist gescheit. Aber ich würde mir wünschen, dass sich mein Buch ebenso gut verkauft. Abgesehen davon bin von Selbstliebe weit entfernt. Ich liebe mich nicht, aber ich werde mir von Woche zu Woche in kleinen Schritten sympathischer.

Toll, wenn man das über sich sagen kann.

Auch wenn es komisch klingt. Ich bin mir seit ungefähr eineinhalb Jahren auch im Fernsehen sympathisch. Das war vorher nie so, weder bei Nachrichtensendungen noch in Shows. Ich konnte mich oft gar nicht anschauen. Ich empfand mich irgendwie gelackt und aufgesetzt, auch wenn ich handwerklich gut war. Heute spiele ich nichts mehr vor. Deshalb könnte ich auch nie mehr eine Musik-Show moderieren. Glitzer und Glamour bin ich nicht. „Heute leben“, die Sendung, die so einen wunderbaren Titel hat und die ich moderiere, taugt mir dagegen sehr.

Man könnte also sagen: Du bist mehr Du geworden.

Ja, heute bin ich mehr innenorientiert und nicht so im Außen. Das Ergebnis jahrelanger Selbstreflexion. Ich habe gelernt, dass man nicht jedem sympathisch sein kann. Würde ich meinen Vorgesetzten vermitteln wollen, wie beliebt ich bin, könnte ich selbst auch 30-mal mit verstellter Stimme beim ORF-Kundendienst anrufen, und als Dr. Huber sagen, wie toll der Herr Pircher wieder war. Aber das ist lächerlich.

Wieso Pircher? Nennt man dich so?

Bald werde ich 56 Jahre alt und mache meinen Job seit 33 Jahren. Aber der Herr Pircher bin ich seit Jahren. Beim Einkauf im Supermarkt wird die sogenannte Prominenz sofort relativiert. Nach fünf Minuten sagt jemand: „Grüß Sie, Herr Pircher.“

Das kenne ich. Ich bin oft die Frau Reiterer, weil eine Kollegin von dir so heißt.

Man muss das mit Humor nehmen und darf sich selbst nicht zu ernst nehmen. Das gilt für jedes Alltagsproblem. Das Leben hat Highlights, aber auch Downlights. So muss man das sehen.

Das klingt alles sehr sortiert. Hast du nicht auch immer wieder Zweifel?

Natürlich, ich habe ja auch Emotionen. Aber ich versuche immer zu hinterfragen, was für mich Sinn macht. Damit geht es mir gleich besser. So bin ich auch draufgekommen, dass es nichts bringt, über andere Leute herzuziehen. Früher habe ich öfter mal getratscht. Wenn ich das heute tue, denke ich mir gleich: ‚Jetzt habe ich eine Viertelstunde damit verbracht, über den Pepi zu reden‘ und lasse es gleich bleiben.

Ich finde ja auch, dass man körperlich wahrnimmt, wenn man lästert. Man fühlt sich selbst nicht gut dabei.

Das ist ein weiser Satz. Man fühlt es, genau. Viele Menschen spüren ja nichts mehr und denken auch nicht darüber nach. Die hauen dann ihren Partner oder die Kinder. Aber wenn man selbstreflektierend unterwegs ist, ist jeder Tag eine neue Chance.

Welche Chance birgt der heutige Tag noch für dich?

Heute habe ich frei. Normalerweise, wenn meine Weiberleut' nicht zu Hause sind, denke ich mir, jetzt könnte ich mich ein bissl hinlegen. Aber ich werde jetzt doch lieber laufen gehen. Ich weiß, wie gut ich mich danach fühle. Und ich esse auch kein Schnitzel mit Erdäpfelsalat, obwohl mir das schmecken würde. Ich muss das auch tun – sonst ist ja alles nicht wahr, was ich so schreibe.

Na dann, auf zum Joggen. Danke für das Gespräch, Herr Pircher.

Bitte gerne, Frau Reiterer.

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