Mit dem Pferd von Baustelle zu Baustelle
Auf den Mann war Verlass! "Baudesaster wie bei den Flughäfen Wien-Schwechat oder Berlin-Brandenburg hätte es unter seiner Führung sicher nicht gegeben“, sagt Huberta Weigl mit einem Schmunzeln. "Wer ein Projekt in seine Hände gelegt hat, konnte sicher sein, dass technisch und zeitlich alles im Plan blieb und auch mit den finanziellen Mitteln sorgsam umgegangen wurde. Jakob Prandtauer war äußerst verlässlich.“
Wohl nur wenige Wissenschaftler kennen Jakob Prandtauer (1660-1726), der Barockbaumeister und Architekt in Personalunion war, so gut wie die Wiener Kunsthistorikerin. Seit 20 Jahren beschäftigt sie sich mit dem gebürtigen Stanzer, der Monumentalbauten wie die Klosteranlagen Melk, St. Florian, Kremsmünster, Herzogenburg, die Basilika Sonntagberg sowie etliche Kirchen wie die Wallfahrtskirche Christkindl realisiert hat.
Tiroler Ausnahmekönner
Weigl hat einst ihre Dissertation über Prandtauer geschrieben. Seither ist sie an ihm drangeblieben, hat nahezu zwei Jahrzehnte aus Begeisterung für den "Tiroler Ausnahmekönner“ in unzähligen Archiven und Klosterbibliotheken dem Leben und Werk des Stanzers nachgespürt. Demnächst erscheint ihre monumentale Monografie über Prandtauer, den viele wohl "nur“ als Kirchen- und Klosterbaumeister kennen. Doch das ist nur ein Teil seines breiten Schaffens.
Der Allrounder
Tatsächlich war Jakob Prandtauer unglaublich vielseitig. Er baute Wohnhäuser für Bürger, Repräsentationsbauten für Adelige, jede Menge Wirtschaftsgebäude. In Krems gibt es sogar eine Kaserne von ihm, heute eine Wohnhausanlage. Darüber hinaus hat er Brücken über Donau, Erlauf, Pielach, Ybbs und Traisen geplant.
"Auch wenn nur eine einzige einst in Holzbauweise realisiert wurde, ist das doch ein Beleg vom großen technischen Know-how des Jakob Prandtauer. Man kann ihn mit Fug und Recht als Allrounder bezeichnen“, sagt die Wissenschaftlerin und listet in ihrem zweibändigen Werk beachtliche 138 Bauprojekte des Meisters auf. Wie hat der Mann all das bloß geschafft? Weigl: "Man muss Prandtauer als Großunternehmer sehen, der unheimlich gut organisiert gewesen sein muss. Fachlich top war er sowieso.“ Der Mann hat seinen Job eben von der Pike auf gelernt.
1677, also mit 17 Jahren, beginnt er eine Maurerlehre bei Georg Asam in Schnann in Tirol und schließt diese 1680 ab. Dann verliert sich seine Spur. Für zwölf Jahre verschwindet er völlig von der Bildfläche – ohne den geringsten Hinweis, wo er die Jahre über gewesen ist.
Weigl vermutet, dass er sich als Saisonarbeiter in Deutschland verdingt hat. Das war üblich. "Scharenweise sind Handwerker dazumal in Richtung Norden gezogen, haben das Jahr über auf Baustellen im Ausland gearbeitet und sind erst wieder zu Martini, also im November, heimgekommen." Bei Prandtauer dürfte es ähnlich gewesen sein. Zuhause in Stanz wartete die Familie mit der Mutter – der Vater war schon früh gestorben – und sieben Schwestern.
Wahlheimat St. Pölten
Wieder fassbar wird Prandtauer 1692 in St. Pölten. "Er kauft ein Haus in der Klostergasse, lebt dort fortan mit seiner Frau und baut von hier aus sein Baugeschäft auf“, erzählt Huberta Weigl. St. Pölten war freilich kein Zufall.
Vermutlich durch die Verbindung mit Christian Alexander Oedtl, ebenfalls Tiroler und damals bereits ein renommierter Baumeister in Wien, kommt Prandtauer in Kontakt mit dem Abt des Augustiner Chorherrenstifts St. Pölten. Der hatte sich just zu dem Zeitpunkt mit dem städtischen Baumeister zerstritten. Gut für Prandtauer, der prompt als neuer Kloster-Baumeister engagiert wird, wenngleich er bis dahin lediglich durch kleinere Bauprojekte wie Wiederaufbauten, etwa des Augustiner-Chorherrenstifts St. Andrä an der Traisen aufgefallen ist. Und dann gleich eine so gewaltige Aufgabe.
"Man muss sich Klöster damals als große architektonische Kosmen vorstellen. Dazu gehörten oft mehrere Pfarren, Zehent- und Lesehöfe, Schüttkästen, Wallfahrtskirchen und noch vieles mehr. Bei all diesen Trabanten, die ein Kloster flankierten, gab es jede Menge Arbeit. Wenn nicht neu- oder umgebaut wurde, zu reparieren war immer etwas. Das potenzierte das Oeuvre des Jakob Prandtauer ungemein“, sagt Huberta Weigl. Und das nicht nur in St. Pölten.
Lebensaufgabe Melk
1702 übernimmt Prandtauer die Klosteranlage Melk und beginnt zunächst mit dem Neubau der Stiftskirche. Die Baustelle wird zu seiner Lebensaufgabe, zusätzlich zu all den weiteren, die ab 1708 auf ihn zukommen. "Damals stirbt mit Carlo Antonio Carlone einer der wichtigsten Baumeister der Zeit. Prandtauer übernimmt dessen Baustellen, darunter die Klöster St. Florian, Garsten, Kremsmünster, später kommt noch Dürnstein dazu.“ Damit ist Prandtauer am Zenit und omnipräsent.
Barocker Baustellenalltag
In jüngeren Jahren reitet Prandtauer in regelmäßigen Abständen von Baustelle zu Baustelle, später kommt er per Kutsche. Aus Rechnungen kann man ersehen, wie sehr er sich selbst über kleinste Details Gedanken gemacht hat. "Das ging so weit, dass er etwa darüber exakte schriftliche Anweisungen gab, wie das Hanfseil beschaffen sein musste, mit dem die Glocke in der Stiftskirche Melk aufgezogen werden soll." Ein schönes Indiz für die große Kompetenz Prandtauers, für die er auch von seinen Auftraggebern geschätzt wurde.
Die Baumeister des Barock
Lucas von Hildebrandt (1668-1745), kaiserlicher Hofingenieur in Wien, realisierte die schönsten Barockpalais und - schlösser des Landes, darunter Schloss Belvedere und das Stadtpalais des Prinzen Eugen.
Franz Beer Edler von Bleichten
Der Vorarlberger Franz Beer (1660-1726) baute viele Sakralbauten, viele davon mit Doppelturmfassaden. Eine der schönsten: die Klosterkirche von Obermarchtal, die er im Alter von nur 20 Jahren realisierte.
Peter Thumb
Als Sohn des Vorarlberger Baumeisters Michael Thumb schlug auch Peter Thumb (1681-1766) diese Laufbahn ein. Zu seinen Hauptreferenzen zählt die Wallfahrtskirche Birnau und die Stiftsbibliothek St. Gallen.
Balthasar Neumann
Balthasar Neumann (1687-1753) wurde in der Fürstbischöflich-würzburgischen Armee in Geometrie, Architektur, Festungsbau ausgebildet. 1720 wurde ihm die Planung des Würzburger Residenz übertragen. Auch Pläne zur Umgestaltung der Wiener Hofburg sind von ihm erhalten.
Nikolaus Pacassi
Nikolaus Pacassi (1716-1790) war vorerst Unterhofbaumeister am Hof Maria Theresias, die ihm den Umbau von Schloss Hetzendorf übertrug. Auch bei der Vollendung von Schloss Schönbrunn hatte er wichtige Bauaufgaben inne. 1749 wurde er von zum Zweiten Hofarchitekten ernannt.
Die große architektonische Handschrift Prandtauers ist voll dem Barock verpflichtet, "wobei er es", wie Weigl betont, "meisterhaft verstanden hat, die Pläne jener Klosterbauten, die er von Carlone übernommen hat, modern zu modifizieren, ohne Stilbrüche zu verursachen. Auch das macht ihn aus“.
Prandtauer war Unternehmer, Künstler, tougher Manager und immens fleißig. Bis zehn Jahre vor seinem Tod nimmt er wirklich jeden Auftrag an.
Rein praktisch kann man sich den Baustellenalltag so vorstellen: Gearbeitet wurde sechs Tage die Woche – vom Morgengrauen bis zur Dämmerung. Die Aufsicht vor Ort oblag dem Polier, der mit Prandtauer in schriftlichem Kontakt stand. Er selbst kam in regelmäßigen Abständen zu weiteren Besprechungen und Kontrollen.
Mit Kakao und Vanille "bezahlt"
Abgesehen von seinem Wissen als Baumeister und Architekt war Prandtauer zweifellos ein hervorragender Unternehmer, der es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht hat. Honorarnoten und Rechnungen belegen das. So hat Huberta Weigl herausgefunden, dass Prandtauer alleine für die Arbeit in Melk 300 Gulden pro Jahr kassierte.
"Ein stattliches Honorar. Aufgrund der vielen Baustellen, die er zeitweilig betreute, kam da im Jahr schon ein ansehnliches Sümmchen zusammen. Einmal haben wir auch Nachricht darüber, dass er, als der Rohbau der Stiftskirche Melk fertig war, 1.500 Gulden, also fünf Jahresgehälter, als Prämie erhalten hat. Ein anderes Mal wird er vom Melker Abt mit 24,5 Kilogramm Kakao und 75 Stangen Vanille bedacht.“ Damit liefert Prandtauer zudem auch das süßeste Bonmot zur österreichischen Architekturgeschichte.
Die Künstlermonografie mit Werkverzeichnis von Huberta Weigl wird zwei Bände umfassen und demnächst im Michael Imhof Verlag erscheinen. Sie beleuchtet zum ersten Mal das Leben und das gesamte Werk Prandtauers. Alle Bauten, darunter acht große Klosteranlagen, werden in Text und Bild vorgestellt.
Darüber hinaus gibt das Buch vielfältige und lebensnahe Einblicke in die Baupraxis der Barockzeit: Wann und warum hat sich der Tiroler Jakob Prandtauer gerade in St. Pölten niedergelassen? Wie hat er seine Bauprojekte abgewickelt? Wie oft war er auf seinen Baustellen? Wer hat die Arbeit der Handwerker vor Ort koordiniert? Wie lief die Kommunikation? Wie ist Prandtauer gereist? Wie viel hat er verdient? Wie hat er auf die oft eigenwilligen Wünsche seiner Auftraggeber reagiert? Welche Rolle spielte das Networking in der Barockzeit?
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