Wo ist wirklich Weihnachten? Eine literarische Reise
Stress oder Besinnlichkeit? Der Advent bietet alle Möglichkeiten, die Frage ist nur, welchen Weg wir wählen. Eine Route zum Weihnachtsglück geben Lyriker und Autoren – die "freizeit" begibt sich auf ihre Spuren.
Jeder Schritt hinterlässt eine Spur im frischen Schnee. In der weißen Decke, die sich über die Landschaft gelegt hat, die alle Kanten und Felsen weich zeichnet, Wiesen, Wälder und Hänge bedeckt.
Tief ist der Schnee und so kalt, dass er unter den Sohlen knirscht. In den flüchtig kurzen Nachmittagsstunden, in denen die Sonne sich längst wieder hinter den Bergrücken versteckt, nimmt er langsam eine bläuliche Farbe an. Ganz zart zuerst, dann immer dunkler, während man dem Licht, das durchs Fenster des kleinen Bauernhäuschens scheint, entgegenstapft. Es leuchtet so einladend warm, dass man die Kälte, die einem in die Wangen beißt, geradezu genießt. Weil man weiß: In der Hütte brennt schon das Feuer im Kamin, die Familie wartet mit Glühwein und Maroni, und die Luft schwingt in einer entspannten Aufgeregtheit. Bald ist Weihnachten.
Ist man jemals selbst so durch den Schnee gestapft? Vielleicht ist das gar nicht nötig, um genau dieses Gefühl zu kennen. Vielleicht scheint das erleuchtete Fenster in einem Altbau in der Stadt, einem Wohnhaus im Vorort, im Gemeindebau oder in einer Villa. Vielleicht kennt man die Bilder nur aus Filmen und Erzählungen, spürt sie aber nichtsdestoweniger deutlich.Allein Peter Rosegger, der große steirische Heimatdichter, der immerhin drei Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen war, hat viele dieser „Erinnerungen“ regelrecht in uns eingepflanzt. „Waldheimat“, die Erzählungen, die seine Kindheit in Alpl im Mürztal beschreiben, sind auch knapp 150 Jahre später noch faszinierend und in ihrer reduzierten Klarheit beinahe greifbar.
Der durch wenige Fußgeher ausgetretene Pfad war holprig im tiefen Schnee, und es ist nicht immer leicht, nach den Fußstapfen unserer Vorderen zu wandeln, wenn diese zu lange Beine gehabt haben. Noch nicht dreihundert Schritte war ich gegangen, so lag ich im Schnee, und die Laterne, hingeschleudert, war ausgelöscht. Ich suchte mich langsam zusammen, und dann schaute ich die wunderschöne Nacht an, schreibt Rosegger, der als Elfjähriger von den Eltern geschickt wird, um in der nächsten Ortschaft die nötigen Zutaten fürs Weihnachtsfest zu kaufen. Um fünf Uhr früh, es sind fast 13 km bis Langenwang, den Ort, wo er hin muss.
Ein paar Groschen Freude
Woraus die „Christtagsfreude“ bestand, die er holen sollte? Zwei Maßel Semmelmehl und zwei Pfund Rindschmalz, und um zwei Groschen Salz, dazu noch Germ um einen Groschen, Weinbeerln um fünf Kreuzer, Zucker um 5 Groschen, Safran um zwei Groschen und Neugewürz um zwei Kreuzer.
Nach vielen Mühen und einigen Gefahren, die seinen bescheidenen Schatz bedrohen, stapft er in der Dämmerung durch den tiefen Schnee aufs Haus der Eltern zu. Der Bub ist todmüde, aber glücklich, denn er weiß, er hat alles, was er braucht. Die Herrenleut da in Langenwang haben so was alle Tag, das ist nichts, aber wir haben es im Jahr einmal und kommen mit unverdorbenem Magen dazu, das ist was!, erinnerte sich Rosegger Jahrzehnte später.
Noch einige Zeit später war es im Salzburgischen Karl Heinrich Waggerl, der wie kein zweiter Weihnachtsatmosphäre beschrieb – und prägte.
Der Lehrer aus Bad Gastein, nach seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg überzeugter Pazifist, seinem Intellekt entsprechend ebenso überzeugter Atheist, wurde in den 1950ern und 1960ern quasi zur Verkörperung des Advents. Weil man spüren konnte, wie sehr er das Fest selbst, die Idee der Weihnacht und des Advents liebte, Gottesfürchtigkeit hin oder her.
Film- und Theater-Größen wie Heinz Rühmann und Hans-Joachim Kulenkampff, Josef Meinrad und natürlich Waggerl selbst, interpretierten die Werke, die bei aller Beschaulichkeit voll weisem Witz und milder Ironie sind. Wie denn ein Nebendarsteller der ehrwürdigen Geschichte sich gefühlt haben mag, der Esel etwa, fragt Waggerl in einer Erzählung. Was dem Jesuskind im Stall zu Bethlehem wohl das erste Lächeln entlockt hat? Und wie still die Vorweihnachtszeit im Hause Waggerl einst wirklich war ...
Der Ruf des lieben alten Märchenonkels wird dem Mann, der das Salzburger Adventsingen entscheidend mitgeprägt hat, dennoch nicht gerecht. „Die eigentlich dichterischen Bücher in unserer Literatur werden immer seltener, aber die von Waggerl gehören zu ihnen“, schrieb immerhin Hermann Hesse über ihn. Und Waggerl, ganz schnörkellos und ohne Schrulligkeit über den Advent: In den Nächten vor Weihnachten / tritt man gerne einmal vor die Türe / und steht alleine unter dem Himmel / nur um zu spüren, wie still es ist / wie alles den Atem anhält um auf das Wunder zu warten.
Ein Fest für Kinder?
Ebenfalls mit viel Witz und im Gegensatz zu den zuvor genannten Dichtern gänzlich ohne Bindung zu alpinen Traditionen war der Dresdner Erich Kästner. Und schrieb mit „Das fliegende Klassenzimmer“ doch einen der beliebtesten „modernen“ Weihnachtsromane im deutschsprachigen Raum. Damals lebte er freilich schon in München, war gern und viel in Salzburg zu Gast, und bezog zur Inspiration im tiefen Oberbayern nahe der österreichischen Grenze und vor allem mit Blick auf die Zugspitze Quartier.
Die großen Kinder-Dramen spielen sich in einer nicht näher benannten bayerischen Stadt vor dem herannahenden Weihnachtsfest ab, fast unbemerkt von den Erwachsenen, die ihren Blick für die sogenannten kleinen Dinge verloren haben. Angst vor dem Verlassenwerden, vor dem Versagen, der Wunsch nach Anerkennung – alles, was Kinder damals wie heute quält und beschäftigt. Am Ende siegt die Freundschaft und das Vertrauen. Und damit auch der Geist der Weihnacht.
Aber natürlich wird auch in der Großstadt Weihnachten gefeiert. Und der Advent hat auch seine besinnlichen Momente. Manchmal zumindest. Mit dem ihr eigenen Humor und ihrer großen Beobachtungsgabe beschrieb ihn die unvergessene Christine Nöstlinger. Ebenfalls aus Kindersicht, ja, aber wie Kästner mit einem Ansatz, der auch uns Erwachsenen nahegehen sollte. Gerade zu Weihnachten.Bei der weisen Frau aus Hernals ist alles Stadt, und die Kinder wissen, dass der Nikolaus der Herr Sokol, der Hausmeister ist. Und das Christkind? Das rennt müde und matt / durch die Stadt, / kommt nicht zum Verschnaufen, / muss eine Hose für mich kaufen. / Bin leider kürzer als breit, / und so braucht’s halt viel Zeit, / bis es eine Hose findet, die mir passt. / Hoffe, dass’s mich deswegen nicht hasst!
Bei Erfolgsautorin und Buchhändlerin Petra Hartlieb steht auch die Stadt im Mittelpunkt. Und eine wundervolle Buchhandlung, um die sich ein Erzählband der Schriftstellerin mit vorweihnachtlichen Beobachtungen und Begegnungen der Geschäftsinhaberin, in denen man sich doch verblüffend oft wiederfindet. Bitte, da war ein Buch im Fernsehen. Von so einem Arzt. Es war grün ...
Wien im Wandel
So stimmig wie stimmungsvoll auch die Beschreibung der leider allzu oft typischen weihnachtlichen Einkaufsstraße. Es ist natürlich wieder einmal kein Schnee in Sicht, aber sie ist geschmückt, die mehr oder weniger geschmacklose Straßenbeleuchtung bewegt sich im Föhnwind hin und her, die Ladenbesitzer schauen sehnsüchtig in den Himmel und drehen die Heizung ein wenig runter. Die Geschäftsleute wünschen sich Schnee und keine Föhnwärme. Sie brauchen ihn. Sonst denkt niemand an Weihnachten und niemand hat Lust, Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Wenn er dann kommt und das jüngste Kind beim Aus-dem-Haus-Gehen bis zur Brust im Schnee versinkt, ist es utopisch irgendein Geschäft um neun Uhr aufzuschließen. Ein typischer und jedes Jahr wieder überraschender Wintereinbruch sorgt für andächtigen Stillstand, Straßenbahn- und Busbetrieb werden eingestellt, die Kinder werden auf Schlitten gepackt und kommen zu spät in den Kindergarten oder in die Schule, aber niemand macht Stress, es ist egal, wenn man zu spät kommt, die ganze Stadt ist wie verzaubert, alle bewegen sich langsam, niemand scheint es eilig zu haben ...
Was ist Advent, wenn nicht das? Egal ob auf dem Land oder in der Stadt. In ihrem international bekanntesten Roman beschreibt Hartlieb das Leben des Dienstmädchens Marie nach der vorletzten Jahrhundertwende. Womit wir beinahe wieder am Ausgangspunkt dieser weihnachtlichen Winterreise sind.
In Währing arbeitet Marie bei Herrn Dr. Schnitzler. Wie sie die Welt des großbürgerlichen, intellektuellen Wien sieht, ist faszinierend mitzuerleben. Gegen Ende des Buches erlebt sie ihr erstes Weihnachten im herrschaftlichen Haus: Als Marie hinter Heinrich und Lilly ins Wohnzimmer trat, fühlte sie sich, als wäre sie selbst das Kind und das Christkind käme zu ihr ... Der Baum ragte bis zur Zimmerdecke, er glitzerte und glänzte und war über und über geschmückt mit kleinen, flackernden Kerzen. Unter dem Baum stand ein großes, weiß lackiertes Schaukelpferd und Marie musste Lili an der Hand festhalten, damit die Kleine sich nicht gleich daraufstürzte. Doktor Schnitzler rief Heini zu sich, und die beiden spielten zusammen Klavier. Die Gäste waren hingerissen. Dann endlich durften die Kinder ihre Päckchen aufmachen, und Marie zog sich zurück.
Was für eine fast übermenschliche Prüfung an Selbstbeherrschung und Geduld für die Kinder früher! Unglaublich. Aber vielleicht gehörte ja gerade das dazu, um die Geschenke zu etwas ganz Besonderem zu machen. Marie bekam übrigens auch etwas geschenkt. Was, wird an dieser Stelle aber nicht verraten.
Und alle Bücher gibt's auch online: z.B. bei hartliebs.at
Kommentare