Wo die Erde kocht

Wo die Erde kocht
Die Möglichkeit einer Insel wie aus dem Geologielehrbuch. Unverhüllte Natur. Gewaltig bewegte Landschaft. Es dampft, zischt, sprüht, glüht – und blüht. Der Flug auf einen Mond mit Tieren und Menschen.
Von Ro Raftl

Wenn man keine Freunde hätte! Der eine entspannt so schön bei Island-Krimis mit den ermunternden Titeln „Todeshauch“, „Frostnacht“ und „Gletschergrab“ von Arnaldur Indriõason. Nicht fad liest man ein paar Thriller mehr von Yrsa Sigurðardóttir, „Geisterfjord“ etwa oder „Das glühende Grab“. Denkt erheitert an den Deutschlehrer, wie er auf den zwei Versionen der Edda geritten ist und alles Schaurigspannende bei Islands Götter- und Heldengesängen ausließ. Ach, und an die Handarbeitslehrerin mit ihren Gschichteln, dass isländische Frauen ständig stricken und unglaublich coole Strickclubs gründen ... Dann fällt der Freundin, die schon mit 15 nur diese frei dahingaloppierenden Island-Pferde reiten wollte, nix anderes ein, als einen Isländer zu heiraten. Groß, fesch, Techniker, okay, aber außerdem: sein Denken. So schnell, flexibel und unkonventionell und immer die logische Lösung parat.

So seien sie in Island, sagt sie: Binnen fünf Minuten konnten sich Hotellerie und Tourismusverband ohne Zaudern und Zögern über ein generelles Rauchverbot in Restaurants und Hotels einigen. Ebenso kurz und ernsthaft entschlossen hätten sie sich 2008 ihrer schweren Wirtschaftskrise gestellt: Unbarmherzig alle bösen Blasen aufgestochen und die Krise nicht nur durch schneidende Steuerlasten relativ rasch in den Griff bekommen.

Der dritte Freund schwört, nirgendwo seine Was-muss-ein-ganzer-Mann-können-Fantasien so hundertprozentig verwirklicht zu haben wie beim Lachsefischen, Holzhacken, Feuerschlagen in dem einschichtigen Blockhaus am Mývatn, dem Mückensee. Wiki, stärker als die stärksten Männer! Schlechtes Wetter ist kein Wanderhindernis für den Isländer, predigt er. Um nach einem guten Löffel Lebertran über Whale-Watching, Papageitaucher, Eiderenten und Naturwunder zu monologisieren, bisweilen auch Rätselvolles über Teufels Großmutter zu singen: Feuer, Eis, wabernder Schwefeldampf – und dann unversehens Sonnenglanz über einem Flecken knallrosa arktischer Weidenröschen!

Platt gewalzt, also Landkarte her: Dieser Mývatn liegt im Norden der eisigen Insel mit nur 320.137 Einwohnern auf rund 103.000 Quadratkilometern. Tja, und plötzlich trollt und elft man als eingefleischter Städter (mit einem Dreier in Handarbeiten) zwischen Geröllwüsten, Eisschollen, Gletscherzungen, dampfendem Schlammgeblubber und einem springenden Geysir umher. Wandert drei volle Stunden zwischen styroporlöchrigen Felsbizarrerien und feinpudrig staubenden Wasserfällen, über die sich Regenbogen spannen. Springt an breiten und schmalen Furten über bemooste Steine, quert weißwehende Wollgrasfelder, wartet viele Minuten geduldig, bis der neurotische Eistaucher, der scheu und solistisch einen ganzen Teich für sich alleine haben muss, weil er sonst aggressiv wird, sekundenlang seinen Kopf aus dem Wasser hebt. Sobald er Menschen sieht, taucht er sofort wieder ab. Man flucht übers Hatschenmüssen, friert selbst im Sommer, weil man jählings ohne Häuserzeilen dasteht, außerdem hat es auch Anfang August oft nur zwölf bis 15 Grad – und ist überwältigt. Naturarchitektur. So aufregend geformt, dass man auf griechische Säulen vergisst, so urgewaltig, dass man sich nichtig wie ein Aschenflankerl fühlt, so überraschend, dass man sofort bereit ist, an Trolle und Elfen zu glauben. „Na, ich glaub natürlich nicht daran“, sagt der aufgeklärte Isländer – „aber wer weiß ...“

Klarerweise trollt man nicht allein umher, sondern mit Hunderten Japanern, Franzosen, Spaniern, Russen und Deutschen. Der Ausbruch des Eyjafjallajökull (sprich: Eija-fjatla-jökytl) sei eine ziemlich gute PR gewesen, heißt es. Wie auch nicht? Nach einer Vulkanausbruchs-Doku braucht man keinen Horror-Blockbuster mehr. Das Red Rock Cinema in der heimelig-bunt-supersauberen Hauptstadt Reykjavík, das nur Vulkanfilme spielt, gehört einem Original, so schrullig wie die Figuren in den meisten Island-Krimis: Villi Knudsen hat im Jänner 1973 mit seinem Vater den Ausbruch der Vulkanspalten auf Heimaey, der größten der Westermännerinseln (Vestmannaeyjar) monatelang aus der Luft, vom Meer und (verbotenerweise) auch vor Ort gefilmt. Eine Dokumentation, die viel über das Wesen Islands erklärt:

Die 5.300 Einwohner des Fischereihafens wurden noch vor dem Ausbruch – mit dem allernötigsten Gepäck – in Sicherheit gebracht. Die glühenden Lavaströme aber, die sich wie Feuerbälle und schrundige Drachenzungen dem Hafen zuwälzten, begann man in einem effektiven Experiment erst mal mit Seewasser aus simplen Feuerwehrschläuchen abzukühlen, bis das Pumpenschiff Sandey, später die Amerikaner mit Megaschläuchen zuhilfe kamen. Nach fünf Monate dauerndem Lavafluss stand ein neuer Vulkan mit einem 200 Meter hohen Schlackenkegel da, der Eldfell.

Die Sicherheit des Hafens war durch einen 40 Meter hohen Lavawall verbessert worden, und: Keiner dachte daran, ängstlich aufzugeben. Nach einem halben Jahr Abwarten blühte der Aschenfriedhof von Heimaey nach und nach wieder auf; die hohen Temperaturen im Inneren der erstarrten Lavaströme wurden in vier Kraftwerken verwertet; die Aktion „Pompeji des Nordens“ begann ab 2005, die Häuser zu musealen Zwecken auszugraben. Wen das nicht spannt, muss sich vom „Glühenden Grab“ thrillern lassen: Yrsa Sigurõardóttir setzt genau bei der Ausgrabung an.

Keine Angst! Der normale Touri auf der Kneissl-Route „Faszinierendes Island“ wird echten Härten nicht ausgesetzt. Denen darf er im Bauernhof Glaumbaer im Skagaford nachspüren, wo eine Großfamilie mit ein paar Kindern, zehn, zwölf Knechten und Mägden in schmalen Kammern schlief, kochte, Gerät reparierte, Wolle spann, strickte, nähte, erzählte und sang. Ein perfektes Museum. Der Film von langen dunklen schneeigen stürmischen Wintern, Talgfunzeln, Essens- und Menschengestank spult sich im Kopf ab.

Im Juli, August allerdings muss man zur guten Nacht den Seitenvorhang zuziehen. Richtig dunkel wird es in Islands Sommern nie. Sonnenuntergänge dauern Stunden. Sie reißen das Herz auf, bis man alle Schnulzen abgesungen hat und sich daran gewöhnt. Derweil das tausendste Wolkenvideo aufnimmt, so plastisch-dramatisch die Formationen über dem Nordmeer. Himmelskino.

Und Hut ab! Der Architekt der wechselnden Kulissen zwischen Südost, Nord, Süd hatte meisterliche Fantasien: Schnee zu Meer zu einem leuchtend blauen See im kohlschwarzen Obsidiankrater. Zu dunkelgrün bemoosten Bergen wie aus Pappmaché, made in Hollywood. Zu Neongrüngelb, wenn dieses Quellmoos einmal blüht. Zu Felsen unter den Wasserfällen Goõafoss, Dettifoss, Skógafoss undsofort, die das Wasser wie verwitterte Dachschindeln an Tirolerhäusern zugeschnitten hat. Während das Eis des Riesengletschers Vtnajökull an hellgrauer Steinwand grafisch einwandfreien Bauhausstil gemeißelt hat.

Reue. Weil man über den Freund mit den Naturwunderhymnen gekichert hat. Man wird im Duett singen. Himmlisches über den rosa-weiß-türkis-grauen Schimmer der Eisberge im berühmten Gletschersee Jökulsárlón, an dem Roger Moore als James Bond „Im Angesicht des Todes“ stand und sich Pierce Brosnan mit „Stirb an einem anderen Tag“ beschied. „Kristallreflexionen und Ascheneinschübe“, erklärt der enggegürtete (spanische) Guide, von verzückten Damen per Fotoklick vernascht, zerteilt einen großen Brocken: „Das Eis ist glasklar“, und lässt kosten. Robben soll’s dort geben und die große Raubmöwe, die (wie die Seeschwalbe) jeden spitzschnabelig attackiert, der sich ihrer Brut nähert. Höllisches über die dampfenden zischenden brodelnden Schlammtöpfe und Schwefelquellen in den sattfarbig rotgelbgrauen Solfatarenfeldern, Dunkelmächtiges über die Schotterwüste Sprenigsandur, die 1897 das erste Mal nachweislich durchquert worden ist. Das Rot im Boden kommt vom Eisengehalt, und die Wüste, in der die Trolle und Geister wohnen, wüstet über Grundmoränenfeldern. Große Bildtafeln vor jedem Wunder versuchen, es kurz zu erklären. Wer's ganz genau wissen will, muss mit einem Geologen reisen.

Das Wasser riecht jedenfalls immer nach Schwefel und ist immer heiß: Nebst kaltem Bier an der Bar wird warmes Bad im Hot Pot geboten, für zwei bis zwanzig Leute, wo immer auch Thermalwasser sprudelt. Natürlich mit Steinen umzäunt, künstlich als Plantschbecken gebaut, wie die Bassena oft zur Kommunikation genützt. Vom luxuriösen Dampfen und Schönheits-Schlammen in der Blauen Lagune halbwegs zwischen Reykjavík und dem Flughafen Keflavík ganz zu schweigen. Wirkt tatsächlich faltenglättend. Das sieht man einbildungsfrei an der Nachbarin.

Flüge: Icelandair, Air Berlin, Kneissl-Touristik (im Sommer mit eigenem Charter)

Must do: Nordlicht anschauen (September bis März), mit einem Superjeep fahren, Whale Watching (NOT Whale-Eating), mit einem Skidoo über den Gletscher brausen (Gletscherspalten auslassen), am schwarzen Lavasandstrand entlangwandern, auf einem Islandpferd reiten.

Sport: eine Partie Mitternachtsgolf spielen, ein billiger Breitensport in Island (golficeland.org oder golf.is), Lachs fischen (dazu gehört einiges Geld), die mehrtägige Wanderung „Laugavegur“ von Landmannalaugar in die Thorsmörk machen (auch begleitet mit Gepäcktransport möglich), die Westfjorde vom Seekajak aus erkunden oder Island auf dem Fahrrad umrunden (wozu eine Portion Optimismus und Wahnsinn gehören.

Must see: Gullfoss/ Geysir, den Papageientaucherfelsen Kap Dýrholaey und den Strand davor, Snaefellsnesjökull auf der Halbinsel Snaefellsnes, Dettifoss, den Eissee Jökulsárlón – und eigentlich das ganz Land.

Reykjavík: Gemütlich und trendy, bunte Holzhäuser und zwei Wahrzeichen: Die Hallgrimskirche und die „Perle“, eine verspielte Glaskuppel auf sechs Heißwassertanks. Spektakuläre Architektur am Rathaus und am Kongress- und Konzertzentrum Harpa mit einer Glasfassade des Künstlers Olafur Elíasson. Die Musts? Der Hafen, das Kunstmuseum Hafnarhús mit Errós frechen Collagen, das Schwimmbad und einmal Reykjavík by Night.

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