Meine Hernalser Oma selig hat inmitten jenes Wahnsinns, der in unserer Familie aufbranden konnte, gern folgenden Satz geseufzt: I bin da aanzige normale Mensch! – Diesen Satz hörte ich schon auf wackeligsten Kindesbeinen, dann wieder und wieder, und mich überkam irgendwann die Gewissheit, dass auf der Welt nichts schwerer zu erreichen sei als die Normalität – da doch einzig und allein meine betagte, weise Hernalser Omi diesen brahmanenhaften Zustand erlangt hatte. Nach Jahren einer eher paranormalen Adoleszenz traf ich eines Tages die Liebste. Wir heirateten und pflanzten uns fort. Und sahen uns plötzlich überall in der Welt gespiegelt, in Menschen, denen es gleich erging wie uns, mochten sie nun Verwandte, Freunde, Bekannte oder Fremde sein. Was mit uns geschah: normal. Der Erschöpfungszustand inmitten des Windelgebirges: normal. Das hustende Baby, dem man nach jedem Aufhusten mechanisch-begütigend „Mhmm-mhmmm“ zuflüstert: normal. Die bittere Abwesenheit aller Freuden, die man einst pflegte, und die granitene Alleinherrschaft des Lebensprinzips „Aufzucht“: sorry, völlig normal. Vor fünf Jahren, als zwar noch nicht das Ärgste, aber doch das Allerärgste vorbei war, begann ich mit dem Schreiben jener Aufsätze, dessen zweihundertachtundvierzigsten Sie gerade lesen. Mit den Aufsätzen, die eh wenig mehr als unser Leben beschrieben, fasste ich so etwas wie Vertrauen zu dieser neuen, noch nicht so wirklich geliebten Normalität. Und im vergangenen Jahr – dies, liebe Lieblingsredakteurin Anni, ist jetzt der „Rückblicksaspekt“! –, im vergangenen Jahr also legte ich alle bisherigen Aufsätze nebeneinander, weil im kommenden Jahr ein Buch draus werden soll. Und da bemerkte ich, dass ich durch das stereotype wöchentliche Beschreiben der Normalität diese überlistet und irgendwie transzendiert hatte. Was man hat: Um mich herum ragen drei immer turmartigere Kinder auf. An meiner Schulter lehnt die liebste Frau der Welt. Auf dem Fußboden liegen zweihundertachtundvierzig eher schrullige Aufsätze. Und ich kann sagen: Ich bin normal und zugleich arg. Nicht anders als meine geliebte Hernalser Oma und wahrscheinlich fast alle Menschen auf der Welt.

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