Kleine Sommerserie 2014: Dichten in Wien (2)

Glauben Sie’s oder nicht, ich schreibe auch in der U-Bahn, im Silberpfeil, der die Stadt wie rasend durchmisst.

Wo dichten Sie noch? – Ich dichte in den Wiener Öffis. Wirklich! Etwa in der Bim, mit aller Zeit der Welt, im Einser, der in die Hauptallee hineinkräult, oder im Achtunddreißiger, der gen Grinzing schleicht. Wie schrieb H.C. Artmann? „da r ochtadreiska / da simafiazka / da r anasibzka // a jeda hod / sei eigane foab“. Das Allmähliche des Tramwayfahrens, es garantiert die unverhetzte Stimmung, in der sich der Dichter wohlfühlt. Im Winter auf diesen gewissen Sesseln, die den Popsch anheizen. Im Sommer in Türnähe, wo bei jeder Station frische Luft ins Biotop kommt. Aber auch im Bus geht es, wenngleich viel ruckeliger: Im sardinenhaft vollgestopften 74A, den Schreibblock unauffällig auf den Rücken des Mitreisenden abgelegt, zu Sätzen gezwungen, die nicht länger sind als die Intervalle zwischen den Stößen des großen Fahrzeugs. Aber glauben Sie’s oder nicht, ich schreibe auch in der U-Bahn, im Silberpfeil, der die Stadt wie rasend durchmisst. Ich habe die U-Bahn-Schreiberei perfektioniert, im letzten Jahr, als ich oft zum guten Zahnarzt H. musste, nach Breitensee (woher ja Artmann stammte). In den zwölf Stationen zwischen Kardinal-Nagl-Platz und Hütteldorfer Straße gelingt es mir mittlerweile, eine jener Kolumnen, die Sie gerade lesen, zu verfassen. Man darf natürlich keine Zeit verlieren. Das Thema sollte man bereits anvisiert haben, und den einen oder anderen Satz vielleicht vorgedacht. Dann, schon wenn die Garnitur einfährt, entscheidet man sich für einen Platz, idealerweise ein Einzelsitz. Und, dann: schreiben, schreiben, schreiben, ruhig krakelig, formal wie inhaltlich, ja nicht durchlesen, nicht korrigieren, das kostet alles Zeit. Hütteldorfer Straße, im Wartezimmer von Zahnarzt H. kommt der Schlusssatz. Sodann kriege ich eine Spritze, wenn die Wirkung nachlässt, werde ich noch einmal über meinen Text gehen. Wer auch in den Öffis dichten will ohne zu schreiben, der spitzt die Ohren und speichert alles, was er hört: Die Stimmen und Sprachfetzen der Mitreisenden, das Ächzen und Rattern des jeweiligen Verkehrsmittels. „a jeda hod / sei eigane foab“, schrieb Artmann und setzte hinzu: „a jeda hod / sein eigan glaung“.

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