Die schreiende Nacht
Lieblingsredakteurin Anni sagt: Am Mittwoch gibst du ab. Vorproduktion. Jetzt ist Mittwochfrüh. Sorry, Anni, aufgrund des laufenden Betriebs im Familienlazarett komme ich erst genau jetzt zum Schreiben. Gestern Abend hatte ich noch vage Vorstellungen, was ich schreiben würde. Nachreichen wollte ich eigentlich meine Begegnung mit dem leiwanden Nationalparkdirektor Doktor Manzano. Das wirst du eh noch zu lesen kriegen, Lieblingsredakteurin, aber nicht heute. Heute bleibt mir nichts anderes übrig, als über die Nacht zu schreiben, die hinter mir liegt, es war eine bemerkenswerte Nacht, eine schreiende Nacht. Man hatte es allgemein gewusst und verkündet. Dass in der Nacht auf Mittwoch der „Wettersturz“ kommt, die „Front“, das Ende alles Milden. Man geht dann irgendwie innerlich davon aus, dass das zwar stimmt, aber schon nicht so schlimm werden wird. Ja, es wird kälter und wohl auch schiach, aber allmählicher und niemals so brüsk wie verkündet. Aber es wurde brüsk. Die Liebste und ich, von eigenem Siechtum und jenem der Brut „etwas versteinert“, wie mein Baby sagt, hatten am Sofa noch Woody Allen angeschaut: „Sweet and Lowdown“ mit Sean Penn, die Geschichte vom zweitbesten Swing-Gitarristen der Welt. Das passt zum Lindy Hop, den wir grad im Rahmen eines Tanzkurses erlernen – die zweite Geschichte, die ich dir, liebe Anni, und unseren Lesern ein andermal erzählen muss. Dann gingen wir schlafen, und um zwei Uhr früh ging es los. Böen, denen man anfühlte, dass sie ganz Erdberg umschmeißen könnten, wenn sie wollten. Etwas kreischte da draußen mechanisch, ein metallisches Schleifgeräusch im Endzeitsturm. Dann stürzte tönern ein Blumentopf am Balkon um. Es war dunkel und unendlich laut. Das ganze Haus zuckte zusammen. Wir blieben im Bett, kurz hellwach. Oag, oag, oag, sagten wir. Als der Wind nachließ, hörten wir das tapfere Rollen des Laufrades, Hamster Strizzi Molden, der Drittgeborenen neues Haustier, rannte gegen den Wettersturz an, als könnte nur sein Rennen die Welt vorm Untergang bewahren. Genau, der Strizzi: Das ist die dritte Geschichte, die ich dir erzählen muss, Lieblingsredakteurin, wenn dieser Sturm vorüber ist. Vorher räume ich den Oleander am Balkon auf.
Kommentare