Vorderzahn

Manche Paprikawürste sind härter, manche weicher.

Mein Schneidezahn, also jener Zahn, der in der Westernliteratur immer noch Vorderzahn heißt, er ist dahin. Rechts außen, es geschah beim Biss in eine Paprikawurst vom Rochusmarkt. Während ich niedergeschlagen erst die Wurst aus dem Mund und dann die Trümmer aus der Wurst ziehe, um Hannes, dem Zahnarzt, zu einer lückenlosen Rekonstruktion zu verhelfen, muss ich an etwas Lustiges denken. Kennt jemand hier den Sketch, in dem Helmut Qualtinger als Trávníček von seinem Freund zum patriotischen Einkauf angehalten wird? Sagt Trávníček: "I iss do neilich an Westfäler Schinken. Der Schinken ist gut. I beiß eine, bricht ma da Zahn ab." – "Na sehn S’!", triumphiert der Freund, "da Westfäler Schinken ist aber auch kein österreichisches Erzeugnis gewesen!" – "Naa, oba da Zahn."Die Rochusmarkt-Paprikawurst hingegen ist ein Erzeugnis, wie es österreichischer nicht sein könnte: Dem Weinviertel entstammend, ist sie außen von düster-intransparentem Braun, innen feuerrot und eine geschmackliche Explosion. Wir lieben diese Wurst. Wir nehmen sie mit, wenn wir in den schönen grünen Wald gehen, beißen krachend hinein, und um den letzten Zipfel rauft munter die Brut. Die Paprikawurst vom Rochusmarkt ist in ihrer Unvorhersehbarkeit geradezu die Fleischwerdung des Österreichischen. Meine weise Liebste kommentiert den Auslöser für das Dahingehen meines Vorderzahnes so: "Manche Paprikawürste sind härter, manche weicher." An jenem halben Tag, an dem ich aussehe wie ein kaukasischer Warlord, denke ich wieder an die Biber, die mein Außenbüro im Auwald, wie ich berichtet habe, so grundlegend umgestaltet haben. Ihnen wachsen die Vorderzähne ständig nach, weswegen sie in ihrem total zielgerichteten Leben viele Weiden und Pappeln fällen können. Die Zahnpasta meiner Kindheit in den Neunzehnsiebziger-Jahren hieß Blendi und hatte einen Biber als Maskottchen. Unfair, weiß ich jetzt, weil uns wächst gar nichts nach. Mittlerweile hat mir Zahnarzt Hannes ein Provisorium eingeschraubt, Ich schaue jetzt aus wie ein kaukasischer Warlord nach einem Aufenthalt in Ungarn. Und den Bibern dieser Welt rufe ich ein Leonard-Cohen-Zitat zu: "We are ugly, but we have the music!"

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