Reptil des Jahres
Trüb ist es an meinen Lieblingsorten, bleiern zeigt sich die Lobau, struppig und ablehnend gebärdet sich das Lusthauswasser. Dennoch besuchte ich vor ein paar Tagen bestiefelt und unter Bedeckung von Hauberl und Matrosenjacke den letzteren Ort. Ich kämpfte mich durch bald schon gefrierenden Gatsch und Weidengestrüpp, um das Gestade meines Herzens-Bayous zu erreichen. Denn ich hatte eine Gratulation anzubringen: Emys orbicularis ist das Reptil des Jahres 2015. Yeah, bravo! Ich gratuliere von Herzen. Emys orbicularis ist die Europäische Sumpfschildkröte, ein kleiner bis mittelgroßer Fleischfresser, ein gelbgesprenkeltes Juwel der Aulandschaften, die einzige in Mitteleuropa wild lebende Schildkrötenart. Am Lusthauswasser gibt es noch ein paar von ihnen, man muss halt wissen wo. Wie rostige Reindln ruhen sie auf Baumstämmen und rutschen bei Störung klatschend in die Tiefe. Viel mehr hingegen leben in den Donauauen. Aber was heißt schon viel: 1.500, schätzt man, werden es noch sein. Einst war kein Fluss hierzulande ohne Schildkröten. Aber die Regulierung der Gewässer und der jahrhundertelange Verzehr der Sumpfschildkröte als Fastenspeise haben sie fast ausgerottet. Um Emys orbicularis treffen zu können, empfiehlt sich der Besuch in der Nationalparkzentrale, im Schloss Orth an der Donau, wo mit der „Schlossinsel“ eine Wildnis im Kleinen zu betrachten ist. Ich wollte das eh schon lang erzählen: Am Anfang des Herbstes war ich dort engagiert, um bei einem „Campfire“ meine Lieder zu spielen. Da saß ich dann in einer längeren Konzertpause mit dem Nationalparkchef Carl Manzano, der ein unwahrscheinlich gescheiter und liebenswerter Herr ist. Er erklärte mir geduldig, wie gewisse Bäume, die Schwarz- und die Silberpappel, aber auch die Weidenspezies die Au bewahren und nach den Fluten immer wieder neu errichten. Über das Gehörte nachsinnend, saß ich sodann auf einem Bankerl und betrachtete Dutzende bestgelaunte Exemplare der Sumpfschildkröte. Jetzt, am Lusthauswasser, traf ich natürlich niemanden aus Emys’ Sippe. Alles ruhte längst im Gatsch, in Erwartung des Frostes. Dennoch zog ich mein Hauberl und sagte: Herzlichen Glückwunsch!
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