Mein Gesicht

Nehmen Sie, Leserin und Leser, Abschied von meinem Gesicht! Also von jenem Gesicht, das seit April 2009 weit über dreihundert Mal auf dieser Seite über dem von mir abgesonderten Aufsatz abgedruckt wurde. Vielleicht ist es noch ein paar Wochen da. Aber dann ist es weg. Gewöhnen Sie sich daran: Sachen verschwinden nach einer Weile aus unserer Welt. Hochräder verschwinden aus der Hauptallee, Fangriemen von Skiern, VHS-Videorecorder aus den Fernsehkredenzen. Ich wollte eh nie so ein Gesicht. Die ersten paar Texte veröffentlichte ich gesichtslos, und mir ging nichts ab dabei. Dann aber entschied Horowitz, unser alter Chef, ein Gesicht müsse her. Ich ging in die alte Redaktion, in der Linden, und wurde fotografiert. Als das Gesicht erstmals auftauchte, sagte die Liebste: Ich weiß nicht, du bist eigentlich gar nicht so ein Nasenbär! – Das liegt am Fotografen, erwiderte ich, schau, die Kollegin Knecht ist auf Ihrem Foto auch ein Nasenbär. Hie und da erhielt ich auch Zuschriften von Ihnen, Leserin und Leser: Was schauen Sie denn so unfreundlich, wo Ihre Texte doch so menschenfreundlich sind?! – Ich antwortete nie, aber jetzt tue ich es, einmal und zusammenfassend: Ihr Lieben, die Diskrepanz zwischen meinem Gesicht und meinem Aufsatz ist ein wiederkehrendes Lehrstück in Erstaunbarkeit. Sprich: So wie mein Aufsatz hell und philantrophisch ist, trotz des Gesichtes eines, naja, grumpy middle-aged man auf dem Foto, so verdient auch der Sandler im Park, der Freak in der Bim, das wimmerlbedeckte Gör in der Schlange am Markt eine zweite Chance nach dem ersten Hinschauen. Nun aber hat Kubesch, unser neuer Chef, entschieden, dass ich ein neues Gesicht brauche. Erst kam ein Mail, das ich ignorierte, dann rief Kollegin Tina an. Ich sei nicht schöner geworden, ließ ich sie wissen. – Wurscht, sagte sie sinngemäß. Ich muss also fotografieren gehn, nach Döbling diesmal, das auch noch. Bereiten Sie sich, Leserin und Leser, also auf mein neues Gesicht vor. Fürchten Sie sich nicht: Meine Haltung bleibt dieselbe. Ich werde auch denselben Hut tragen. Auf der Hinterseite hat er in der Zwischenzeit ein neues Loch bekommen. Das wird man nicht sehen.

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