Über Ordnung und Minisex

Meine peristaltisch zwischen Fülle und Leere wechselnde Dingwelt entspricht meinem Gehirn.

Im vorvorigen Aufsatz beschrieb ich meinen aufgeräumten Schreibtisch. Mittlerweile ist er schon wieder nah am Kippen, das heißt es liegt noch nicht so viel darauf herum, aber das, was liegt, schaut gefährlich aus. Auf den vorvorigen Aufsatz schrieb mir Leserin Hedwig H.. Sie ist Organisationsberaterin und bietet mir ein einzigartiges Ordnungssystem inklusive einstündiger Beratung "direkt an Ihrem Arbeitsplatz" für 550 Euro an. Da sag ich Vergeltsgott, Frau Hedwig, und: nein. Ich lehne Ihr Ordnungssystem nicht des Preises wegen ab. Aber meine Vorstellung von Ordnung besteht vor allem aus Wegschmeißen sowie dem Verstauen einiger fetischartiger Objekte in Kisten, in die ich nie wieder schaue, nach einem System, das ich sofort wieder vergesse. Meine peristaltisch zwischen Fülle und Leere wechselnde Dingwelt entspricht meinem Gehirn. Auch da sind Dinge in Winkeln verschwunden, deren Namen ich nicht weiß, aber nur das garantiert mir, dass sie – überraschend! – wieder auftauchen können. So geschah es letzte Woche mit Minisex. Die Band um Rudi Nemeczek mit ihren leiwanden Songs war in meinem Unterbewusstsein verstaut und tauchte jetzt wieder auf, nichts fehlte, keine Erinnerung, kein Lied. Minisex haben nach 30 Jahren wieder eine Platte gemacht, "Reduziert" heißt sie. Mein Platten­boss Gröbchen, bei dem dieses Werk erschienen ist, schmuggelte die Liebste und mich in die Präsen­tation, in einem Hipsterclub im dunklen Schatten der Spittelauer Müllverbrennungsanlage. Ein bestens gelaunter Mr. Nemeczek sang seine neuen Sachen, aber auch "Ich fahre mit dem Auto", und in mir tauchte alles wieder auf. Ich war 13 oder 14, so alt wie der Erstgeborene jetzt. Ich sah ein Open-Air-Konzert auf der Donauinsel – 1981? 1982? –, wo neben Chuzpe und Willi Warma auch Rosachrom und Minisex auftraten. Mir fällt "Franz und Lola" wieder ein, dieser Song über ein Liebes­paar, das auf dem atomar verseuchten Bikini-Atoll Urlaub macht, und wie die absurde Tragik schon in der Kombination der beiden Vornamen angelegt ist. Auf dem Heimweg flüstere ich der Liebsten ins Ohr: "Ich bin bei derselben Plattenfirma wie Minisex. Ich hab’s total geschafft."

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