Kalter Fisch

Leserin C. hat mich nach Transdanubien eingeladen, um an ihrem Heringsschmaus teilzunehmen. Das ist wahnsinnig lieb, doch ich musste absagen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir grad für nix Zeit haben, und wenn einmal ein bissl Zeit da ist, fehlt die Kraft. Nicht einmal zu unseren Freunden gelangen wir: Die Gumpendorfer haben wir viel zu lang gar nicht gesehen, die Hütteldorfer beim letzten Mal nur viel zu kurz getroffen. Ein Jammer, doch das, liebe Leserin C, ist nur ein Grund, nicht nach Transdanubien zu kommen. Was noch zu meiner Absage führt, ist das Folgende: Ich schmause den Hering nicht. Nein. Ich verschlinge ihn, ja, mehr: Ich verleibe ihn mir ein! Und dabei bin ich mutterseelenallein. Ich glaube nicht, dass meine gierige und gourmandeske Haltung zu meiner Vereinzelung geführt hat, es war eher umgekehrt. Mit meiner Hingabe an den Schwarmfisch der nördlichen Ozeane bin ich hier der Einzige. „Kaana wüü an koedn Fisch!“, rappt Skero über ein Lied des Nino aus Wien. – Und bis auf mich trifft das auf unseren Erdberger Familienverbund vollständig zu. Wenn mich die Liebste mit meinem Matjesglasl in der Küche sitzen sieht, sagt sie „Nein, danke“, noch bevor ich „Magst auch einen?“ fragen kann. Der Erstgeborene schürzt die Lippen, die Drittgeborene macht ein würgendes Geräusch. Der Zweitgeborene sagt: „Wasch dir nachher die Hände, Papa“. Ja, mein Bruder! Der versteht mich, aber er ist ja nie in Wien. Und mein Vater, an dessen Seite man so genüsslich am marinierten Aal zutzeln konnte, er ist verstorben. So bin ich erst vereinsamt, dann verroht. Nunmehr sind es düstere, solipsistische Rituale, die der tote Fisch und ich miteinander feiern. Aber ich mag es so. Menschenansammlungen, die gemeinsam kalten Fisch essen, machen mich mittlerweile nervös. Auch kulinarisch brauche ich kein Drumherum. Ein paar Ringerln von der weißen Zwiebel. Einen mittleren Patzen vom sauren Rahm. Schon Brot könnte stören. Aber die gute Leserin C. hat sehr entspannt auf meine Absage reagiert. Vielleicht, schrieb sie, gebe es ja doch irgendwie eine Möglichkeit, mir ein Schüsserl ihres Herings zukommen zu lassen. Okay, ja, dafür bin ich offen.

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