Der Ruf der Balkone

Gerade einen Sessel kann man hinausstellen, da sitze dann ich, die Liebste auf meinem Schoß, und dies ist noch schöner.

Einst, als wir in Mitte lebten, hatten wir einen kleinen Balkon. Er war groß genug, um zwei Sessel hinauszutragen. Da saßen die Liebste und ich dann nebeneinander und schauten auf die Schienen, auf denen Güterzüge und S-Bahnen fuhren. Es war schön. Hier in Erdberg haben wir zwei Balkone, die sind allerdings nicht klein, sondern winzig. Gerade einen Sessel kann man hinausstellen, da sitze dann ich, die Liebste auf meinem Schoß, und dies ist noch schöner. Der eine Balkon, der Wohnzimmerbalkon, pickt an der Hausecke und blickt auf die Landstraßer Haupt. Vom Erlebniswert her ist dies der ereignisreichere Balkon. Ich schwöre Ihnen, wenn mir nichts einfällt, setze ich mich schauend dorthin, und schon gerinnt eine Kolumne in mir. Mannigfaltige Zwischenmenschlichkeiten sieht man da: Liebe und Hass, Empathie und Hartherzigkeit, Zorn und Duldsamkeit. Es ist nie fad. Im architektonischen Gesamtgefüge unseres Hauses gleicht dieser Balkon einem Wimmerl auf einer Nase, während der andere, der Schlafzimmerbalkon, an ein Wimmerl an einer Schläfe gemahnt. Das ist der ruhigere Balkon, ein Ort der Einkehr. Man blickt auf die stille Erdberger Gasse, über den Zawinul-Park bis zum ernsten, grauen Antlitz des Rabenhofs. Nunmehr ersetzen sie im Interspar, gleich beim Eingang, die Heizwaren, also Pellets und Anzündholz, durch Erde und Dünger. Das ist immer das Signal, dass ich mich unserer Balkonbotanik zuwenden muss. Am Schlafzimmerbalkon ranken sich die Schlingpflanzen, die wir von unseren Reisen mitgebracht haben. Das Geißblatt aus New Orleans, das ingwerfarben blüht und betörend duftet. Der Efeu vom Montmartre, der ein Pariser Rüpel ist und sich gern vordrängt. Ich werd ihn ein bisschen schnippeln, damit Platz für eine andere Efeusorte aus Triest ist. Der Trieb hat schon Wurzeln geschlagen und konsolidiert sich gerade im Stiegenhaus in einem kleinen Topferl. Daneben harrt der große Oleanderstrauch ebenfalls seiner Beschneidung. Im Winter hat er leicht obszön aussehende Fruchtstände hervorgebracht. Bald trage ich ihn auf den Wohnzimmerbalkon, dort wird er pink erblühen und ein Statement setzen, wie ich es besser nicht könnte: Liebe statt Hass!

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