Hauptbahnhof

Ich benützte erstmals den Hauptbahnhof. Das neue große Dings von Wien ist ja nicht weit von uns. Das Gesicht des Hauptbahnhofes blickt in meinen Nachbarbezirk, den Vierten, derweil sein Popsch in das große und geheimnisvolle Favoriten hineinragt. Jahrelang ist er hier vor unseren Augen entstanden, der große Bahnhof. Manchmal fuhren wir mit dem Leichenwagen abends über den Gürtel und sahen die Sonne befriedigend tief über der monströsen Baulücke untergehen. Ebenfalls jahrelang habe ich mir vorgenommen, diesen provisorischen Turm zu erklimmen, um aus der Perspektive der Tauben auf Wiens größte Baustelle zu blicken, dorthin, wo einmal der Hauptbahnhof sein würde. Aber nichts da: Es ging sich nicht aus, mit dem Turm. Die Drittgeborene immerhin war damals oben und berichtete mir, es sei super gewesen und die Baustelle sehr groß. Jetzt ist der Bahnhof fertig, und ich muss nach Graz. Erste gute Nachricht: Das Taxi, das Gitarre, Verstärker und mich zum Hauptbahnhof bringt, kostet nicht einmal die Hälfte von dem, das mich gewöhnlich mit demselben Equipment zum Westbahnhof führt. Es hielt auf einem Platz, der den Namen „Am Hauptbahnhof“ trägt. Erregung ergriff von mir Besitz, ich stieg aus und wuchtete das Gepäck heraus. Zweite gute Nachricht: Der Hauptbahnhof ist nicht schiach. Gar nicht. Weitläufig und durch diese zirkusdorfartige Silhouette irgendwie kindlich. Oben am Bahnsteig wehte mich vom Laaerberg der Wind an, und es roch gustig nach neuem Beton. Ich wollte schon ein inneres Hakerl unter den Hauptbahnhof machen, stutzte aber noch. Mein Zug fuhr los, an den vertrauten Favoritner, dann Meidlinger Stadtlandschaften vorbei nach Süden. Als wir Wiener Neustadt passierten, wusste ich immer noch nicht genau, was mich am Hauptbahnhof irritierte. Erst droben am Semmering, wo schon vielen Dichtern die Einsicht nahte, fiel es mir ein: Es ist der Name. Es steht Wien nicht, sich so schwerpunktmäßig festzulegen, unsere Stadt mit ihrer alten, eleganten Zerrissenheit zwischen West, Franz-Josef-, Nord-, Ost- und Südbahnhöfen. Die Vorsilbe Haupt- macht uns kleiner, ein bisschen, tja, bundesländlicher. Aber sonst: Eh, leiwand, der Hauptbahnhof.

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