Am Kardinal Nagl

If you can make it there you make it everywhere.

Wenn man aus dem Sommer, den dazugehörigen Reisen oder doch Absenzen heimkehrt, dann empfiehlt sich zur erneuten Erdung im Alltagsleben der Besuch eines Ortes in der persönlichen Umgebung, der eine Menge ortstypischer Reize ausstrahlt. Ich für meinen Teil pflege als Hilfe beim Wiedereintritt in die Wiener Normalität einen Gang zum Kardinal- Nagl-Platz anzutreten. Der Kardinal Nagl mit seiner gleichnamigen U3-Station stellt urbansoziologisch eine Hauptarterie dar, mit der das frische Blut der Modernität nach Erdberg strömt. Dieses parkbewaldete Geviert, nach einem Erzbischof aus den Jahren vor Weltkrieg Eins benannt, zwingt Erdberg, sich ständig neu zu definieren und hält es damit schön beweglich. Auch abseits der erneuten Heimischwerdung in Wien gibt es verschiedene Gründe für mich, zum Kardinal Nagl zu gehen. Etwa: Ich muss auf die Bank. Oder: Ich bin im Rabenhof bei der Arbeit und will mit meiner Band schnell Würsteln essen. Und, natürlich: Ich muss zur U3. In diesem Fall gehe ich oft streberhaft früh aus dem Haus, nur um bei der U-Bahn-Station noch ein bissl Zeit zu haben. Beim U-Bahn-Bäcker erwerbe ich ein Salzstangerl, kauend sitze ich auf einem Bankerl, gedankenverloren betrachte ich diese meine suburbane Welt: Die türkischen Damenzirkel, die auf ihre unnachahmliche Weise leise, vielstimmig und rasend schnell ihre Gespräche führen. Die gestressten Kleinkindmamis bei der Verfolgung von Krabblern, die vom netten Spielplatz ins, na ja, eh auch nicht so schlechte Pissoir überwechseln wollen. Ich höre den Singsang des afrikanischen Augustin-Verkäufers, eines der nettesten von Wien, der hier Dienst tut. Und ich belausche mäuschenstill die Dialoge der dem Slibowitz zugeneigten Stammgäste des Würstelstandes, die hinter demselben in einer kleinen Kunststofflaube sitzen. Hier rennt der Vintage-Schmäh. Hier lernte ich einst, dass man in bestimmten Wiener Kreisen statt „Hoet dei Pappn!“ auch „Hoet dei Öffnung!“ sagen kann. Nach acht bis zehn Minuten auf dem Karl Nagl knülle ich das Bäckersackerl zusammen, schmeiße es in den Mist und verfüge mich in die U-Bahn. If you can make it there you make it everywhere. Ich bin bereit. Bereit für ganz Wien.

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