Welt im Wohnzimmer

Welt im Wohnzimmer
Mit „Optischen Zimmerreisen“ ließ sich schon im 19. Jahrhundert die Sehnsucht nach fremden Ländern stillen. Die alte Tradition der „Kosmoramen“ fasziniert nach wie vor.

Irgendwer musste den Anfang machen – mit dem Reisen. Nur wer? Bevor man ahnte, dass die Erde rund und keine Scheibe ist, gab es schon Touristen, die durch die Welt zogen. Nur nannten sie sich Pilger. Danach folgten – im Abstand von Jahrhunderten – Völkerwanderer, Bildungsreisende, Forscher, Abenteurer sowie Globetrotter. Und Pauschaltouristen. Was aber sollten jene tun, die zu Hause blieben? In die Luft starren? Tagträumen?

Sich ein Bild von der Welt zu machen, bevor Fernsehen und das Internet es nach Hause lieferten, war keine leichte Angelegenheit. Aber doch machbar. Man brauchte sich etwa nur auf den Kosmos des Reisemalers und Schaustellers Hubert Sattler (1817-1904) einlassen. Der hat die Welt schon zu einer Zeit ausgiebig bereist, als man vielerorts noch gar nicht wusste, wofür man einen Pass benötigen könnte. Zur Erinnerung: Mitte des 19. Jahrhunderts war die Welt wirklich noch nicht vernetzt.

Sattler, ein gebürtiger Salzburger, hatte sich im Frühjahr 1842 zu seiner ersten Studienreise aufgemacht. Was heißt Reise? Eine richtige Expedition war das. Ein halbes Jahrhundert nach Goethes Italienausflügen zog es den Maler von Konstantinopel über Syrien und den Libanon ins Heilige Land. Hauptsache weit weg. Zwei Jahre später postierte der Pionier der „optischen Zimmerreisen“ seine Staffelei an allen möglichen vielsagenden Ecken und Enden von Ägypten, Nubien und dem Sinai.

Heute würde daran wohl niemand Anstoß nehmen, damals jedoch glich so ein seltsames Verhalten einem Tanz auf dem heißen Blechdach. „Kaum hatte er die Mappe aufgerollt und die Zeichnung halb entworfen“, beschrieb die Wiener Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer anno dazumal das Aufeinandertreffen des Malers mit den Einwohnern von Damaskus, „als sich eine Schar Neugieriger um ihn gruppierte und (...) ihn auf alle mögliche Art zu stören suchte.“ Eine heikle Situation, die damit endete, dass sich Hubert Sattler vor Steinwürfen einer lärmenden Menge nur durch eine überstürzte Flucht in ein Franziskanerkloster retten konnte.

Die Weiterfahrt gestaltete sich nur dank Eskorte problemlos. Egal, das Virus „Abenteuer“ hatte den Künstler schon befallen. Zu den nächsten Stationen zählten Sehenswürdigkeiten wie Abu Simbel in Ägypten, Naturwunder wie die Niagarafälle, der Grand Canyon oder die antike Stadt Pompeji genauso wie Gletscherregionen der Schweiz, Frankreichs, Südtirols und der Pyrenäen. Überall dort fertigte Hubert Sattler Skizzen an oder fotografierte Details der Landschaft. Zu Hause im Atelier entstanden dann jene großformatigen Gemälde, die in Ausstellungen nach wie vor faszinieren und begeistern.

Mehr noch. Lange bevor Ende des 19. Jahrhunderts bewegte Bilder als Film zu einer Jahrmarktssensation wurden, stieg Sattler mit seinen fotorealistischen Gemälden zu einem echten Showstar auf. Monatelang gastierte der Salzburger am Höhepunkt seiner Tätigkeit in New York am Broadway.

Der Verkauf von Klein- und Kleinstausgaben seiner Reisegemälde sollte das aufwendige Unternehmen langfristig finanzieren. Eine Knochenarbeit. Denn mit den Gastspielen in den großen Städten allein war kein Staat zu machen. Die Möglichkeiten, die New York bot, sah Sattler verschenkt und beklagte ein „überaus mäßiges Eintrittsgeld von 25 Cents für die Person“.

Immerhin lockten seine Bilder von der Welt alle in seine Ausstellungen, die damals schon weltbekannt waren. „Lederstrumpf“-Schöpfer James Fenimore Cooper war da, die Schriftsteller-Kollegen Washington Irving und William Thackeray ebenso wie Jenny Lind, die „schwedische Nachtigall“. Jenny Lind, Star-Sopran der Königlich Schwedischen Musikakademie in Stockholm, hatte überhaupt einen guten Draht zu Österreichern. Nachdem der Dichter Franz Grillparzer sie 1846 in Wien gehört hatte, schwärmte er danach verzückt: „Und spenden sie des Beifalls Lohn / Den Wundern deiner Kehle / Hier ist nicht Körper, Raum, noch Ton / Ich höre deine Seele.

“Ähnlich ergriffen waren die Betrachter der Werke des Malers mit dem penibel gestutzten Schnurrbart. Sattler war damals nicht der einzige Reisemaler, doch der wahrscheinlich kreativste. Denn er ließ es nicht dabei bewenden, dass er lediglich Landschaften malte. Er inszenierte sie. Und er hatte ein untrügliches Gespür dafür, was Menschen damals von der fernen, noch tatsächlich weitgehend unbekannten, jedenfalls unbereisten Welt sehen wollten: den Orient, Afrika, die großen Metropolen der Neuen Welt, Berge – und immer wieder auch das Meer.

Die Sehenswürdigkeiten, die uns heute fesseln, sind kaum andere. Doch unser Verhalten hat sich verändert. Wir gähnen bereits nach ein paar Minuten, wenn uns Freunde und Nachbarn wieder einmal dazu verdonnern, ihre aktuelle Smartphone-Galerie zu bewundern.

Sattlers „Kosmoramen“, eine Vorform der Dia-Show, lebten vor allem auch davon, dass inmitten dieser großformatigen Gemälde immer wieder Menschen wie du und ich vom Hintergrund in den Vordergrund gerückt wurden. Man erkennt das oft nicht auf den ersten Blick. Erst wenn man näher an die Bilder herantritt, sieht man, wie reichhaltig und realistisch diese – im wahrsten Sinne des Wortes – Welt im Wohnzimmer bevölkert ist. Im Wohnzimmer. Stimmt ja auch. Denn die postkartengroßen Kopien, die der Künstler höchstpersönlich bei seinen Welttourneen verkaufte, landeten häufig als Dekor auf den Wänden von Salons und Speisezimmern seiner Bewunderer. Und davon gab es nicht wenige. Hubert Sattler, Sohn von Johann Michael Sattler, dem Urheber eines berühmten Panoramabildes der Stadt Salzburg, sah die Welt mit den Augen des Forschers und Berichterstatters.

Das spürt man und das kommt auch in Zeiten von High-Definition-TV-Natur-Dokus mit perfekt ausgeleuchteten Super-Slowmotion-Sequenzen gut an. Bei der noch bis Anfang November laufenden Ausstellung im Lainzer Tiergarten in Wien wurden bisher mehr als 10.000 Schaulustige registriert. Und das trotz tagelangen heftigen Regenwetters, das sich naturgemäß negativ auf die Besucherzahlen der Hermesvilla auswirkt, die nur nach einem Spaziergang durch den Park erreichbar ist.In der Heimat der Bilder, dem Salzburg Museum, sind noch etwa 130 großformatige Gemälde erhalten. In Wien werden rund 40 davon präsentiert. Aber wie! Die Salzburger zeigten sich jedenfalls bei der Eröffnung der Schau im früheren „Schloss der Träume“ der Kaiserin Sisi restlos begeistert. Denn so viele Wände für die Welt im Wohnzimmer können sie „ihrem“ Sattler zu Hause nicht bieten.

Sattlers Kosmorama
Eine Weltreise von Bild zu Bild Hermesvilla, Lainzer Tiergarten, 1130 WienDi-So (und Feiertag), 10-18 h (bis 3. November)

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