Von Nobelpreisträgern und Nestbeschmutzern

Karl-Kraus-Buchpräsentation, 1986: Hans Weigel, Helmut Qualtinger, Michael Horowitz (v. r. n. l.)
Ein Buch über Menschen, die während der letzten 100 Jahre Österreich prägten. Über Menschen, die durch ihre Gedanken, ihre Ideen und ihre Werke Großes geleistet haben. Und manchmal gegen Widerstände der Mittelmäßigkeit kämpfen mussten.

Peter Handke. Vor fast 40 Jahren lese ich in seinem Pariser Tagebuch „Das Gewicht der Welt“ Eintragungen über Heimito von Doderer. Handke, der damalige junge Wilde, bewundert diesen großbürgerlichen Romancier, dessen Gedanken wie von Dämonen gepeitscht durch sein Hirn geistern. Handke ist von Doderers „spezifischer Art des Denkens“ fasziniert, und notiert am 27. Mai 1976 in seinem täglich geführten Journal „Doderer lesen und Denken: Ach, diese ideale Welt! (Ein Seufzer der Sehnsucht)“.

Durch Peter Handke stoße ich auf Heimito von Doderer. Einige Jahre später erscheint mein erstes Buch. Über Doderer. Ich schreibe Handke, ob ich seine Tagebucheintragungen zitieren dürfe, nach wenigen Tagen erhalte ich einen handgeschriebenen Brief: „Ja, gerne“. Ich durfte mich freuen, dass Peter Handke im Buch „Begegnung mit Heimito von Doderer“ zu meinem Co-Autor wurde ...

Handke und Doderer. Zwei der „100 Menschen, die Österreich bewegten“: Dichter, Denker und Wissenschaftler, Visionäre und Visionärinnen, die während der letzten 100 Jahre das Bild des Landes geprägt haben. Weit über unsere Grenzen hinaus.

Michael Horowitz. "100 Menschen, die Österreich bewegten"

Hardcover, 416 Seiten ISBN: 978-3-222-15035-7 Molden Verlag Euro 40,-

Es sind Menschen, die aus der Masse herausragen, die meist voller Euphorie forschen und schreiben, die aber auch immer wieder Rückschläge erleiden. In diesem Buch habe ich auf mehr als 400 Seiten in 100 Kapiteln versucht, das Werk und auch das Privatleben dieser außergewöhnlichen Persönlichkeiten zu beschreiben. Es sind Kurzporträts, von Frauen und Männern, die durch ihre Gedanken und Ideen Großes geleistet haben.

Dramatische Lebensbilder

Man findet in diesem Buch auch Lebensgeschichten von Literaten, deren Arbeit lange Zeit nicht anerkannt war, die sich jahrelang im Wartesaal des Ruhms befanden, die gegen alle Widerstände der Mittelmäßigkeit kämpfen mussten – und oft preisgekrönt wurden. Oder man liest über Nobelpreisträger, die manchmal jahrzehntelang um Anerkennung ringen mussten – und meist erst am Ende ihres Lebens in der ersten Reihe der wissenschaftlichen Avantgarde des 20. Jahrhunderts zu finden sind.

Und es gibt in diesem Buch auch dramatische Lebensbilder als Zeitdokumente: Von Menschen, die – als die Höllenfahrt Österreichs begann – über Nacht ihre Heimat verloren, verfolgt und vertrieben wurden. Manch einer wählt, um den Nationalsozialisten zu entkommen, den Freitod. Wie der entwurzelte Wiener Weltbürger Stefan Zweig, der erschöpft von heimatlosem Wandern seinem Leben im brasilianischen Exil ein Ende setzt. Oder der Philosoph und Schriftsteller Egon Friedell, der im März 1938, wenige Tage nach dem Volksfest völkischer Begeisterung am Heldenplatz, die Stiefel zweier Männer im Stiegenhaus hört. Bevor die beiden SA-Männer sein Zimmer betreten können, versperrt er die Tür und springt aus dem Fenster. Während des Sturzes erleidet Friedell einen Herzinfarkt und ist sofort tot.

Die Lebensgeschichten von 100 großen Österreicherinnen und Österreichern in einem Buch. Nobelpreisträger wie Peter Handke und Elfriede Jelinek, weltweit gefeierte Menschen, die die Wissenschaft prägten wie Lise Meitner, Sigmund Freud und Kurt Gödel. Oder der 90-jährige Neurowissenschaftler Eric Kandel. Oder zwei bedeutende Denker und Zweifler, Ludwig Wittgenstein und Karl Popper.

Von Karl Kraus bis Kehlmann

Natürlich habe ich auch versucht, heutige Dichterinnen und Dichter zu porträtieren: Kehlmann und Köhlmeier, Frischmuth und Ransmayr, Menasse und Turrini. Und die anderen großen Literaten der letzten 100 Jahre: vom selbsternannten Hohepriester der Wahrheit Karl Kraus und dem Analytiker vielschichtiger Seelenstrukturen im Wien des Fin de Siècle Arthur Schnitzler, von der sprachgewaltigen Poetin Ingeborg Bachmann über den geliebten Nestbeschmutzer Thomas Bernhard bis zum Bonvivant und Bürgerschreck aus Breitensee H. C. Artmann.

Bei manchen hatte ich das Glück, sie kennengelernt zu haben. Hilde Spiel, Friedrich Torberg, Hans Weigel. Und Milo Dor, der mir in seiner Josefstädter Wohnung nächtelang bewies, dass ich ein nur mäßig begabter Pokerspieler bin. Mit H. C. Artmann unternahm ich immer wieder spontane Ausflüge in schattige Wirtshausgärten, auch gemeinsame Reisen. Wo wir hinkamen, stellte er mich als mein Freund vor. Als ich ihn einmal fragte, ob er zur Qualtinger-Buchpräsentation nach Hamburg mitkomme, fragte er nur „Wann müss´ ma in Schwechat sein?“ – „Die Maschine geht morgen früh um 6 Uhr 50“, antwortete ich zögernd. „Ich steh um viertel sechs vor der Haustür, bis morgen, ich freu mich schon …“

Von Nobelpreisträgern und Nestbeschmutzern

Mit Schriftsteller Gerhard Roth auf Streifzug durch die Südsteiermark.

Mit Gerhard Roth durchstreifte ich die Südsteiermark und gemeinsam mit Wolfgang Bauer eroberte ich – bequem mit der Seilbahn – vor 20 Jahren die Festung Masada am Ende des Toten Meeres, nachdem wir zuvor unten auf Dromedaren fröhlich unsere Runden zogen.

Heute freue ich mich, Fritzi, ein ewig junges Mädchen, das in einigen Wochen ihren 95. Geburtstag feiert, kennen und immer wieder treffen zu dürfen: In unserem Lieblingswirtshaus auf der Wieden. In „Rudis Beisl“. Im für sie reservierten Friederike Mayröcker-Nischerl.

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