Im österreichischen Film "Wie Brüder im Wind" bringen Tobias Moretti, Jean Reno, ein prächtiger Adler und ein kleiner Bub derzeit ganz große Gefühle ins Kino. Aber wie ist der Mensch überhaupt auf den Vogel gekommen? Was ist das Geheimnis der Jahrtausende alten Kunst der Falknerei?
Drei Jahre lang nahmen Regisseur Otmar Penker und sein kleines Team alle denkbaren Strapazen auf sich, um die spektakulären Naturaufnahmen zu drehen, mit denen ihr Alpen-Drama in erster Linie beeindruckt. Sie steckten bis zur Hüfte im Schnee fest, wuchteten die schwere Kamera-Ausrüstung auf die unzugänglichsten Gipfel der Hohen Tauern, immer auf der Suche nach dem perfekten Bild, der atemberaubendsten Szene. Große Namen und bekannte Gesichter gibt’s mit Jean Reno und Tobias Moretti außerdem – die Show stiehlt allen aber der junge Spanier Manuel Camacho, der schon in "Wolfsbrüder" keine Angst vor wilden Tieren zeigte. Und Adler Abel natürlich. Der eine leidet als Halbwaise Lukas unter seinem unnahbaren Vater (Moretti), der andere wurde von seinem Bruder aus dem Nest geschmissen. Die beiden werden ein unzertrennliches Paar, dessen Geschichte zu Tränen rühren kann – so echt wirkt diese unmögliche Freundschaft.
Unmöglich? „Die Gschicht’ ist natürlich frei erfunden“, sagt Falkner Josef Hiebeler, „aber die Beziehung zwischen Greifvogel und Mensch kann schon sehr, sehr eng sein.“
Vor allem mit Steinadlern, wie der Leiter des Greifvogelzentrums Schloss Waldreichs/St. Leonhard berichtet: „Das steht der Nähe eines Hundehalters zu seinem Tier um nichts nach.“ Josef Hiebeler ist seit 40 Jahren Falkner, er hat in Kirgisien von Nomadenstämmen die uralte Tradition der Jagd mit dem Adler gelernt, auf der Rosenburg im Waldviertel und der Burg Hohenwerfen im Salzburgischen die Greifvögel-Stationen geleitet und schließlich auf Schloss Waldreichs in Niederösterreich ein eigenes Zentrum als Musteranlage nach dem Österreichischen Tierschutzgesetz aufgebaut. Er weiß, wovon er spricht. „Gerade beim Adler muss man sogar aufpassen, weil der richtig eifersüchtig werden kann. Ganz so, wie man es bei manchen Schäferhunden beobachtet, die völlig auf ihr Herrl fixiert sind“, sagt er. Eine unerwünschte und potenziell gefährliche Entwicklung – in beiden Fällen. „Unsere Jungadler werden von mehreren Falknern alternierend betreut und trainiert, dann passiert das nicht“, erklärt Hiebeler.
Wie diese Verbundenheit zustande kommt, sollte allerdings anders ablaufen als im Film, da sind sich die modernen Falkner einig. „Ein Tier, das so jung von den Eltern wegkommt und sich nur mit einem Menschen sozialisiert, kann problematisch werden, wenn’s ausgewachsen ist“, warnt auch Christian Schweiger, Chef der Adlerwarte Kreuzenstein. Wie trainiert man dann einen Raubvogel? Wie bindet man ein Tier, das jederzeit wegfliegen und einem die lange Nase zeigen kann, an sich? „Mit viel Geduld“, sagen sowohl Hiebeler als auch Schweiger. „Schauen S’, prinzipiell kann man einen Habicht, Falken oder Adler ja zu nichts zwingen“, erklärt FalknerChristian Schweiger. „Es kann immer nur mit Vertrauen und positiver Verstärkung funktionieren.“ Der Vogel, ein so eleganter wie gnadenloser Jäger, frei und wild am grenzenlosen Himmel – und der Mensch, durch sein Gewicht unausweichlich an den Boden gebunden, der höchstens seine Gedanken fliegen lassen kann. „Falknerei heißt, ein Tier an sich zu binden, indem man ihm immer wieder die Freiheit schenkt“, sagt Hiebeler. Und darin steckt wohl auch die Faszination, die Magie, die dieser Tätigkeit innewohnt.
Seit 3.500, vielleicht schon seit 4.000 Jahren sind Menschen und Greifvögel Partner. In manchen Fällen vielleicht sogar so enge Freunde wie der kleine Lukas und sein Adler Abel im Film. Wenn auch aus pragmatischeren Gründen: Gemeinsame Interessen verbinden, die Jagd in den ausgedehnten Steppen Zentralasiens, wo die Falknerei entstand, war der Ort, an dem Mensch und Vogel zusammenfanden. Wie freundlich die ersten Falkner ihre Tiere zur Kooperation überredet haben, ist nicht überliefert. Fakt ist allerdings, dass man keinen Vogel dazu zwingen kann zurückzukommen, wenn man ihn erst mal fliegen gelassen hat. Von den Sarmaten lernten es die Germanen, die brachten es den Kelten und Römern bei, und im Mittelalter erlebte die Jagd mit Greifvögeln eine hohe Blüte. Die Kombination aus Willensstärke und Fürsorge machte den Falkner für Barbarossa-Enkel Friedrich II. gleichzeitig zum idealen Herrscher.
Mit „De arte venandi cum avibus“ schrieb der Kaiser und Kreuzritter ein über Jahrhunderte gültiges Standardwerk zum Umgang mit Greifvögeln. Die Falknerei wurde zu DEM Freizeitvergnügen von Fürsten und Königen. Und edlen Damen, denn die Jagd mit den Raubvögeln war lange Zeit die einzige Variante der Hatz, an der Frauen gleichberechtigt teilnehmen durften. Beinahe. Der kleine, dafür umso jagdfreudigere Merlin galt als „Falke der Damen“. Sie durften nicht mit Adlern oder anderen großen Greifvögeln ausreiten. Aber sie durften immerhin.
Gerade in den letzten Jahren beobachtet Josef Hiebeler nicht nur ein allgemein verstärktes Interesse an der sogenannten Beizjagd, sondern vor allem auch einen starken Zuwachs an Falknerinnen. Auf Schloss Waldreichs hält er mit seinem Team regelmäßig Vorbereitungskurse für die Falknerprüfung ab. Die Seminare sind gut besucht, knapp die Hälfte der Teilnehmer sind Frauen. Dabei sah es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht gut aus für die Falknerei. „Wozu braucht man das“, war der allgemeine Tenor, denn wer jagen will, soll das gefälligst mit einem Gewehr tun. Und gerade diesen Gewehren fielen vor allem auch Adler, Habichte und Falken zum Opfer. Als Wildschädlinge wurden etwa Steinadler in weiten Teilen Deutschlands ausgerottet, in Österreich auf eine erschreckend kleine Zahl reduziert. Nur in den entlegensten Gebirgslagen konnten einige Brutpaare überleben.
Bis in die 1960er-Jahre wurden sie trotz Schutzbestimmungen intensiv bejagt, Abschüsse wurden unter heute fragwürdigen Begründungen genehmigt, obwohl es in ganz Österreich gerade noch 50 Paare gab. Erst seit den 80ern geht es mit dem heimischen Greifvogel-Bestand wieder aufwärts. Wie auch mit dem in Bayern und in der Schweiz. So ist es auch kein Wunder, dass Josef Hiebeler gerade eine der spektakulärsten Szenen des aktuellen Spielfilms, die schon vorab im Internet die Runde machte, Sorgen bereitet. Ein Adler versucht eine Gams zu schlagen und stürzt mit ihr hunderte Meter einen steilen Abhang hinunter. „Eine ausgewachsene Gams, das versucht nicht einmal ein großes Weibchen alleine. Nur gemeinsam mit ihrem Partner, nur in absoluter Notlage im Winter. Und bei der Aufnahme liegt kein Schnee ...“ Dem Adler-Experten geht's dabei weniger um die Frage, ob die Szene inszeniert ist oder nicht, sondern um die möglichen Auswirkungen: „Greifvogelgegner gibt's viele. Und die argumentieren, dass die Adler die Gamspopulation gefährden.“ Wer diese Adlergegner sind? Hiebeler ist selbst Jäger – er kennt die Meinung einiger seiner Kollegen ...
Die Falknerei selbst ist jedenfalls im Aufwind. Die vielen und oft spektakulären Flugschauen auf alten Burgen sind dabei nur das Betätigungsfeld mit der größten Breitenwirkung.
Die Entwicklung der Greifvogelzucht wurde entscheidend vorangetrieben, und hinter den Kulissen sind es Falkner, die mit ihren geflügelten Partnern dafür verantwortlich sind, überhandnehmende Vogelpopulationen zu „vergrämen“. Vor allem auf Flughäfen wird diese Möglichkeit, potenziell gefährliche Vogelschwärme fernzuhalten, immer mehr genutzt. In Wien selbst sorgen mittlerweile auch zugezogene Turmfalken und Bussarde für ein natürliches „Taubengleichgewicht“. Vor drei Jahren wurde die österreichische Falknerei übrigens in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ aufgenommen. Ein starkes Zeichen der Greifvogel-Freunde in diesem Land.
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