Kier Royal

Kier Royal
Mehr als 200 Filme in über vier Jahrzehnten. Von Gruseligem wie „Hexen bis aufs Blut gequält“ bis zu Explosivem wie „Armageddon“. Jetzt dreht Udo Kier in Österreich. Erinnerung an eine Begegnung.

Vom Schundfilm-Helden zu Deutschlands heißestem Hollywood-Export: Udo Kiers Kinokarriere ist einzigartig. Zuletzt stand er mit Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg vor der Kamera. Jetzt mit Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader. Im Weinviertel. Kein Problem. Kier kommt mit allem und allen zurecht. Ich weiß es. Denn ich durfte ihn vor langer Zeit einige Tage begleiten ... USA, 1997. „Jetzt mach doch!“ Udo ist ungehalten. Er kann es kaum glauben, warum ich es nicht in 25 Minuten vom Los Angeles International Airport LAX zu ihm schaffe. „Zu ihm“, das ist 50 Kilometer entfernt, beim Echo Park, jener Gegend, die schon die Kulisse für Robert Dornhelms gleichnamigen Film gab. Die Häuser sind hier eher aus Holz gezimmert statt mit Marmorfliesen ausgelegt, in der Nacht knattern Polizeihubschrauber gegen den Verkehrslärm an. Das perfekte Exil für ein 1944 geborenes Kölner Nachkriegskind. Ohne Navi fast nicht zu finden. Echo Park, Sargent Place. Klingt cool. Die Gegend wird aber immer heißer, nähert man sich dem Hotspot. Da ist es. Ein Haus und keine Villa, Kakteen im Vorgarten und keine Protz-Palme, ein Straßenköter und kein Zuchtbulle. Kier hat nicht zu viel versprochen, als er zuvor beim Münchner Filmfest gemeint hat: „Wenn du nach L. A. kommst, schau’ vorbei. Ich wohne aber etwas abseits.“

„Schamlos“ war damals unser Ice Breaker. Jener allererste Spielfilm, in dem Kier mitgewirkt hat. Trash im Takt der 1968er-Ära. Er spielte einen Unterweltler, Mitte zwanzig, mitten in Wien! Auf dem Kinoplakat stand: „Ein gefährlich erotisches Spiel brutaler Zuhälter und leichter Mädchen.“ Kier war froh, dass ihn jemand auf diese Perle ansprach. „Da bist du ja endlich, willkommen!“ Udo steht an der Tür. Ist es er, der strahlt, oder sind es seine Augen? „Du wohnst im Basement“, sagt er ohne Umschweife. „Da habe ich ein kleines Apartment für Gäste.“ Wer vor mir da war, habe ich vergessen. Christoph Schlingensief? Nicolette Krebitz hat sich jedenfalls als Nächste angesagt. Ein Bett, eine Dusche, ein Blick über die Hütten der Mexikaner vis-à-vis, das reicht. „Frühstück gibt es, wenn ich über dir auf den Holzdielen tanze“, kündigt Kier an. Das kann ja heiter werden. Am Abend ist mit mir nicht mehr viel los. Jetlag. Dafür mache ich am nächsten Tag das Tempo eines Hollywood-Stars voll mit. Vom Aufstehen bis zum Umkippen. Von langen Telefonaten mit seinem Agenten über ein Casting im Eiltempo in einem namenlosen Büroraum links hinter dem Sunset Boulevard bis zu einem Meeting mit obskuren Männern, die Englisch als Drittsprache radebrechen und sich als Produzenten ausgeben. Hier weiß man nie, wem der nächste große Wurf gelingt. Dann steht das Chateau Marmont auf dem Programm. Jenes Hotel, das einst von Jean Harlow frequentiert wurde, und in dem „Blues Brother“- John Belushi an einer Überdosis starb. Auch dieser Abend hat es in sich. Comedian Sandra Bernhardt, die gerade einen mittleren Hit mit der Komödie „Fahr zur Hölle, Hollywood“ gelandet hat, hält eine nicht jugendfreie Eröffnungsrede zur „Woche der offenen Ateliers“. Ein langer Tag. Der nächste wird noch länger. Einkauf bei Trader Joe’s, der US-Biokette von Aldi. Dann Brunch bei einem Inder, der egal, was man sagt oder bestellt, enthusiastisch mit „Absolutely!“ pariert. Wieder lange Telefonate mit dem Agenten. Dann ein Rundruf, um spontan ein Spaghetti-Dinner bei ihm zu Hause zu organisieren. Ja, Udo Kier kocht gerne. Und gerne in der Gruppe. Künstler, andere Nebendarsteller mit Nebenjobs und auch eine Nachbarin kommen. Und lachen. Und essen. Und machen danach gemeinsam den Abwasch.

Später fahren wir zu einem neuen Club, der absolutely super sein soll. Man weiß ja nie … Die Nacht ist kurz. Beim Frühstückskaffee sagt er: „Da ist ein Vampirfilm in Planung, ich soll den Obervampir spielen.“ Die Special-Effects-Abteilung der Filmfirma will zuerst ein Gipsmodell seines Kopfes anfertigen. Nach einer Stunde auf dem Highway sind wir dort, wo die Traumstadt aussieht wie jedes andere Industrieviertel. Graue Hallen ohne erkennbares Firmenschild. Hollywoods Herz schlägt eigentlich hier, abseits von Glanz und Glamour, inmitten einer riesigen Bastlerbude mit Werkbänken, einer Tischlerei, einem Ton- und Filmstudio und schalldichter Kabine, in der explosives Material in die Luft gejagt werden kann. Eine Stunde ist Kier in der Maske. Das Resultat ist ein Jahr später auf der Leinwand zu sehen: „Blade“.

Bei der Heimfahrt regnet es in Strömen. Schmuddelwetter ist perfektes Kinowetter. Irgendetwas läuft immer, außerdem sind Filmpaläste wie das „Grauman’s Chinese Theatre“ am Hollywood Boulevard eine museale Sehenswürdigkeit. Für Kier ist dieser Abstecher dennoch eine Qual. „Ich halte diesen Popcorn-Geruch nicht aus“, ächzt er. „Erinnert mich an das Nachkriegs-Köln. Da gab es Popcorn statt mit Butter immer nur mit ranziger Margarine.“ Okay. Aber ich erhalte auch die Antwort auf eine Frage, die mich schon länger beschäftigt: Fällt einer wie Udo Kier auf dem schrillen Hollywood Boulevard eigentlich auf? Und wie! Ob Punks, Glam-Girls oder Oldies, sie alle grüßen ihn begeistert – den wohl berühmtesten Nebendarsteller der Welt.

Udo Kier ist der Mann für viele, höchst unterschiedliche Filmeinsätze . Von Andy Warhols „Frankenstein“ bis zu Lars von Triers „Medea“, von „Die Geschichte der O.“ bis „Barb Wire“ mit Pamela Anderson. Er ist Abwechslung gewohnt. Als Jugendlicher arbeitete er bei Ford am Fließband. Diesen Oktober wird der gebürtige Kölner, der seit 23 Jahren in den USA (in Los Angeles und Palm Springs) wohnt, unvorstellbare 70 Jahre alt.

Allein heuer hat er schon vier Filme gedreht. Das David-Schalko-Projekt „Das alte Geld“, das derzeit in Reichenau und im Weinviertel entsteht, könnte die Krönung des Jahres werden. Kier sprang als Nachfolger für den verstorbenen Gert Voss ein. Dazu ein Facebook-Kommentar: „So traurig der Grund, die Wahl ist genial!“

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