Matthias Horx über Zukunft
freizeit: Herr Horx, man kann die Zukunft schwarz, aber auch durch die rosarote Brille sehen. Welche Farbe hat die Zukunft für Sie?
Matthias Horx: Regenbogenfarben. Je mehr man sich mit Zukunft beschäftigt, desto klarer wird, dass Schwarz-Weiß-Denken falsch ist. Für mich ist das wesentliche Zukunftsprinzip Entfaltung und immer öfter auch Widersprüchlichkeit. Es gibt immer mehr Schönes. Dadurch wird aber auch Schlechtes sichtbarer – und umgekehrt.
Interessant, dass Sie die Zukunft bunt sehen – vor allem, weil in den Medien ja schlechte Nachrichten überwiegen.
Das liegt an der Art der Berichterstattung. In den Medien geht es häufig um die Verbreitung von Gerüchten und Erregungskampagnen. Einer unserer Brüder im Geiste, Hans Rosling, momentan einer der größten Kenner und Statisten unserer Welt, hat einen Ignoranz-Test entwickelt. Er macht bewusst, was sich auf der Welt alles positiv verändert hat. Das registriert aber kaum jemand, weil die Medien eine kognitive Differenz erzeugen, also einen negativen Erregungseffekt. Only bad news are good news.
Können Sie den Test näher beschreiben?
Darin wird zum Beispiel nach der durchschnittlichen Lebenserwartung der Weltbevölkerung gefragt, von Afghanistan bis Schweden. Was würden Sie sagen?
Schwierig. 58 Jahre?
71 Jahre. Das Ergebnis ist viel positiver, als die meisten Menschen glauben. Und wie viele Analphabeten gibt es Ihrer Meinung nach weltweit?
Das habe ich in Ihrem Buch „Zukunft wagen“ gelesen – 18 Prozent.
Sehr gut, normalerweise lautet die Antwort 40 bis 50 Prozent. Bei dem Test sind auch Fragen über Welternährung und Kriege dabei – Bereiche, in denen ebenfalls große Fortschritte gemacht wurden. Denn in den 1970er- und 1980er-Jahren hat es in Afrika und Südamerika, teilweise auch in Asien noch Millionen Tote durch Kriege gegeben. Damals hat das aber in der westlichen Welt keiner wahrgenommen. Globalisierung und Vernetzung führen heute dazu, dass wir glauben, jeden Konflikt vor der Haustüre zu haben.
Vor unserem Interview habe ich meine Kollegen gefragt, wovor sie derzeit am meisten Angst haben. Viele haben den IS-Terror genannt. Gibt es aus Sicht des Zukunftsforschers Grund dazu?
Natürlich ist das eine Gefahr. Aber wie ist die Relation? Es gibt derzeit etwa 30.000 durchgeknallte Fundamentalisten im Mittleren Osten. Dass im Vergleich 120 Millionen Menschen in Indonesien, die meisten Moslems, nach den Wahlen gerade einen Reformweg eingeschlagen haben und in Riesenschritten in Richtung Wohlstand und Demokratie gehen, sieht man nicht. Und zur Angst Ihrer Kollegen: Es gibt hier in der Nähe einen Park namens Türkenschanzpark. Vielleicht steckt da auch eine kollektiv tief sitzende Vergangenheits-Angst vor dem Osmanischen Reich und davor, dass wir uns immer so furchtbar fürchten. Das heißt nicht, dass es keine Attentate geben kann, aber Extremisten hat es schon immer gegeben.
Woran denken Sie dabei konkret?
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der auch Bekannte von mir zur Roten Armee Fraktion (RAF) gegangen sind und Leute erschossen haben. Es gab 500 Tote in Deutschland, was für die damals friedlichen Zeiten unglaublich war. Oder denken Sie an die Taliban. Diese Phänomene sind nicht neu und kumulieren in einer bestimmten historischen Situation, die dann aber zu Veränderungen führen.
Positiver oder negativer Natur?
Der Islamische Staat wird untergehen. Das ist ein Selbstmord-Kommando. Im Mittleren Osten werden neue Allianzen entstehen, die mühsam, aber doch, Fortschritte bringen werden. Verfeindete Gruppen werden sich im selben Lager wiederfinden und zivilisatorische Verhandlungen führen. Auch der Westen hat lange gebraucht, um einen zivilisatorischen Standard herzustellen: den 30-jährigen Krieg und zwei Weltkriege. Die Welt ist nicht gleichzeitig, entwickelt sich nicht linear, sondern in Schleifen und Rückfällen. Das muss man verstehen, wenn man über Zukunft nachdenkt.
Und Ebola? Muss man sich vor der Krankheit fürchten?
Als die Pest in Europa gewütet hat, sind zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung daran gestorben. Bei Ebola würde ich sagen, dass die Zahl der Toten in Afrika zwei Prozent nicht übersteigen wird. Damit bekommt das eine andere Dimension. Und auch, wenn es brutal klingt: Die Pest hat damals zu einer massiven Beschleunigung von Evolutionsprozessen geführt. Die Menschen haben gelernt, dass Hygiene wichtig ist. Es sind oft schreckliche Krisen, die den Fortschritt vorantreiben. So ist das leider.
Warum rechnen viele Menschen, wie im Fall von Ebola oder der IS, oft mit dem Schlimmsten?
Positives Denken erfordert die Kraft, sich von unmittelbaren Angst-Assoziationen zu befreien und die Welt als langfristige Struktur und Muster zu sehen. Der Mensch ist ein emotionales Wesen. Entweder sind ihm bestimmte Dinge egal oder er regt sich darüber auf. Häufiger ist allerdings die „Mir ist’s wurscht“-Variante.
Warum das?
Eine ständige Erregungsspirale hält keiner aus. Man kann sich nicht dauernd in Grund und Boden fürchten. Unser größtes Problem ist die kognitive Krise. Wir werden ständig mit Informationen und Bildern konfrontiert, die wir nicht mehr einordnen können. Sind wir verantwortlich? Müssen wir etwas tun? Ist das gefährlich? Die neue Medienwelt macht uns verrückt.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Zukunftsforscher zu werden?
Ich bin ein Kind der 1960er-Jahre. Damals gab es eine starke, auch technisch geprägte Zukunftseuphorie. Ich kann mich sehr gut an die erste Nacht erinnern, in der ich aufbleiben durfte. Das war bei der Mondlandung. Sie hat mich fasziniert und ich habe alle Abenteuer- und Science-Fiction-Bücher zu diesem Thema gelesen. Später als Journalist haben mich dann auch immer Themen interessiert, die mit gesellschaftlichem Wandel zu tun hatten.
Die 1960er-Jahre waren eine Zeit des Wandels. Wie haben Sie das als im Jahr 1955 Geborener miterlebt?
Ich komme aus der Rebellionsgeschichte der 68er-Zeit, wo wir versucht haben, neue Lebensformen auszumachen und auch selbst welche zu schaffen. Die Frauenbewegung wurde damals ebenso geboren wie die Ökologiebewegung. Diese Themen treiben mich bis heute an: Wie kann man die Welt und sich selbst verändern? Als ich junger Grüner war, waren wir als kleine radikale Minderheit oft geächtet. Heute redet selbst meine Mutter von Recycling und Nachhaltigkeit. Das ist in der Gesellschaft angekommen.
Ein wichtiges Thema heute ist auch die Digitalisierung. Haben Sie eine Idee, wie es damit weitergehen wird?
Wenn man glaubt, die Digitalisierung geht unentwegt weiter, ist das falsch. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem sich die Leute fragen, ob das wirklich sinnvoll ist. Ich kenne viele Unternehmen, die sagen, dass das Internet die Produktivität eher senkt. Wir kommen also in eine Schleife der Revision: Wir werden uns von den Übertreibungen verabschieden und wir lernen besser, wie wir die gigantischen digitalen Möglichkeiten sinnvoll verwenden können. Das ist wie mit einer überhitzten Liebe, die sich auch irgendwann auskühlen muss, damit sie eine Beziehung werden kann.
Ist der derzeit stark spürbare Retro-Trend also eine logische Reaktion auf die Digitalisierung?
Zukunft entsteht, wenn ein Trend mit einem Gegentrend eine neue Symbiose bildet. Wenn man das weiß, ist man nicht mehr so erstaunt, dass es so viele Widersprüche gibt. Aus Globalisierung und dem Bedürfnis nach Heimat wird „Glokalisierung“. Aus Sicherheit und Freiheit „Flexicurity“. Eigentlich ist die Welt eine Paradoxie, die sich durch Reaktion und Gegenreaktion weiter ausformt.
Sie haben die Liebe angesprochen. Sie kann also nicht stetig weiterwachsen?
Eine reine Steigerung bringt nichts. Wenn der Wind immer mehr weht, wird man irgendwann weggeblasen. Deshalb kommt nach jedem Sturm die Windstille. So arbeitet die ganze Atmosphäre – auf Spannung folgt Entspannung.
Kann man Liebe denn vorhersehen?
Die Zukunft von Paaren lässt sich mit einem einfachen psychologischen Test relativ gut prognostizieren. Man weiß dann, ob ein Paar in fünf oder zehn Jahren noch zusammen sein wird. Was man nicht sagen kann ist, ob zwei Menschen zueinander finden werden – obwohl das viele Partnerseiten im Internet versprechen. Denn Liebe ist in Wahrheit das Ergebnis eines Kommunikations-Prozesses, kein Gefühl, das plötzlich entsteht oder computerisiert bestimmbar wäre. Das liegt daran, dass das Finden ein gemeinsamer Prozess ist.
Sie sind verheiratet. Würden Sie den Test machen?
Es gibt zwei Situationen: Entweder man braucht den Test nicht, so wie ich, oder man braucht ihn. Dann will man aber meist nicht wissen, was herauskommt, weil man das Ergebnis ohnehin kennt. John Gottman, der Psychologe, der den Test entwickelt hat, findet auch selten Paare, die ihn machen wollen. Er muss sie dafür bezahlen. Aber eigentlich braucht man keinen Test. Wir wissen, dass der negativste Wert in einer Beziehung die Verachtung ist. Beobachten Sie einmal Paare, die in der Kommunikation miteinander die Augen verdrehen. Nach dem Motto: Er oder sie wird es nie lernen! Das ist ein Anzeichen von Verachtung. Und wenn die Verachtung einen gewissen Prozentsatz überschritten hat, ist sie nicht mehr rückholbar. Dann hilft auch keine Paartherapie.
Können Sie als Zukunftsforscher auch Börsenkurse vorhersehen?
Börsenkurse sind völlig unvorhersehbar. Das liegt daran, dass sie von Erwartungen von Erwartungen von Erwartungen gebildet werden – wie eine ewige Turbulenz, ein völlig wildgewordenes Wetter!
Sie haben kein Geld in Aktien angelegt?
Auch, aber ich verrate nicht, in welche. Die meisten verdienen an der Börse nichts, weil sie das kaufen, was alle kaufen oder am höchsten Punkt ein- und am niedrigsten aussteigen. Geld verdient man, wenn man das Ungewohnte findet. Ich kaufe nur Aktien mit einer „Story“, einem physischen Hintergrund. Ich habe lange, bevor es alle gemacht haben, in chinesische Wälder investiert. Aber auch für einen Zukunftsforscher ist jede Investition ein Risiko.
Was macht man mit seinem Geld, wenn man kein Risiko eingehen will? Zinsen gibt es ja keine mehr.
Man macht sich ein schönes Leben, aber nicht im Sinne von Kaviar und Champagner. Das ist ziemlich flüchtig. Besser ist es, in Bildung oder Erlebnisse zu investieren. Eine Möglichkeit wäre, eine Bibliothek anzulegen oder eine Reise mit bleibenden Eindrücken zu machen. Man kann auch ein Haus nach eigenen Wünschen gestalten. Es gibt keine bessere Investition, als kreativ Neues zu schaffen. Wenn man Geld aber zum „Horten und Brüten“ verwenden will, verfault es dabei meistens.
Sie werden nächstes Jahr 60. Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?
Ich wünsche mir mehr humanoide Vernunft. Das ist meine Berufsmission: Die mögliche, positivere, kreative Zukunft sichtbar zu machen. Dafür hätte ich gerne noch viele aktive Jahre. Ich will einfach wissen, wie die Welt tickt. Das ist meine Obsession. Und ich habe das Gefühl, dass man es ganz gut herauskriegen kann.
Matthias Horx, 59, wurde 1955 in Düsseldorf geboren und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Wien. Von 1980 bis 1992 arbeitete er, unter anderem, bei der „Zeit“ als Journalist und eröffnete 1993 ein Trendbüro in Hamburg. Dort arbeitete Horx vor allem für die Konsumgüter-Industrie, wollte aber nach eigenen Angaben in diesem Bereich „nicht hängen bleiben“. Deshalb gründete er 1997 das Zukunftsinstitut in Wien, München und Frankfurt, mit dem er Unternehmen dazu bringen möchte, sich zur Findung von kreativen Lösungen die richtigen Fragen zu stellen: „Unsere Aufgabe ist es, den Tunnel aufzubohren, in dem ein Unternehmen unweigerlich drinnen sitzt“.
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