Selbst ist der Mann
Aber so etwas tatsächlich selbst erleben? Nein, das geht ja nicht. Doch, geht. Der Schlüssel dafür heißt „White Collar Boxing“. Ein Trend, der seinen Ursprung in den Finanzschluchten der Wall Street hat, wo Männer, die normalerweise mit Millionen jonglieren, ihre Liebe zum harten Training in Box-Clubs entdeckten, die mehr nach „Rocky“ aussahen als nach den High-End-Fitness-Clubs, in denen sie bisher Eisen gepumpt hatten. Und nach einiger Zeit wollten sie sich in dem, was sie gelernt hatten auch beweisen, sich mit Kollegen und Konkurrenten messen, vielleicht ganz einfach, weil es in ihrer Natur lag. Zuerst gab es informelle, selbst organisierte Fights, seit Mitte der 1990er werden von professionellen Promotern regelmäßig große Events organisiert.
Gentlemen Boxing
In England wurde der Trend zuerst aufgenommen. Hier gilt Boxen traditionell als „Gentleman Sport“, es gibt Uni-Mannschaften und generell, so findet man auf der Insel, schadet es einem jungen Mann nicht, sich im direkten Duell im Ring zu beweisen. Immerhin schrieb Sir Arthur Conan Doyle auch dem Meister-Detektiv Sherlock Holmes, dem Inbegriff eines intellektuellen Schnüfflers, eine solide Box-Ausbildung in den Lebenslauf. So wie im frühen Amerika. Eine der schillerndsten Figuren aus dieser Zeit war der "Dandy-Boxer" James Corbett aus San Francisco, der als "Gentleman Jim" Geschichte machte und in einem Film mir Errol Flynn verewigt wurde.
Als „Master Boxing“ gibt es diese besondere Lebensschule nun endlich auch in Österreich. Teilnehmer zwischen 40 und 60 Jahren treten im Rahmenprogramm größerer Kämpfe gegeneinander an, Rechtsanwälte gegen Architekten, Manager gegen Abteilungsleiter, Prokuristen gegen Ärzte. Natürlich erst, nachdem sie einen harten Trainingsweg hinter sich gebracht haben.
Rackern wie Rocky!
Wir erinnern uns: „Rocky“ schon wieder. Nein, Sie müssen natürlich nicht im Kühlhaus auf Rinderhälften eindreschen, aber mit einem Feelgood-Programm im Fitness-Center ist die Sache auch nicht erledigt. Das Box-Training gilt als eines der härtesten und effizientesten der Welt. Man tänzelt, springt und sprintet praktisch konstant durch die anaerobe Hölle und ist ehrlich erstaunt, WIE schnell man an den eigenen Grenzen angelangt ist, an der Grenze des Leistbaren. Aber auch WIE schnell man erste Fortschritte macht, der Körper härter, belastbarer wird.
Immerhin 50 Jahre alt war Rechtsanwalt Florian Höllwarth als er nach seinen ersten Kampf bestritt. Seine Leidenschaft fürs Boxen war schließlich so groß, dass er Präsident des Österreichischen Boxverbandes wurde. Seinen Kampf gegen einen erfahreneren Gegner hat der "Master Boxer" Höllwarth übrigens ... gewonnen.
Burn, Baby burn!
„Box-Training sorgt für höhere Laktatwerte als die meisten Sportarten, weil du praktisch in keiner Zeitspanne eine gleichmäßige Belastung hast“, erklärt uns Boxtrainer Daniel Nader.
Das heißt, dass der Körper derart viel Energie benötigt, dass ihm der körpereigene Sauerstoff nicht zur Verbrennung ausreicht und es den Kohlehydraten, dem Glykogen und der Glucose an den Kragen geht. Die anaerobe Phase, genau, das ist die, wenn die Muskeln brennen und man keinen klaren Gedanken fassen kann. Die, in der du die eigenen Grenzen ein Stück weiter hinausschiebst. Dazu braucht der Körper allerdings zuerst eine gewisse Grundlagenausdauer. Daniel Naders Einstiegsfrage für spätberufene Box-Aspiranten: „Wie schnell läufst du die zehn Kilometer?“ Antwort-Klassiker: „Hab ich noch nie probiert.“ – „Dann würde ich mal damit anfangen.“
Angst, blanke Angst
Nader ist kein Fit&Fun-Mann, ihm ist Boxen ernst. Sein Bruder Marcos ist IBF Champion im Mittelgewicht, Daniel Nader selbst ist Cheftrainer des Österreichischen Boxverbandes und leitet mit dem Bounce Club im 16. Bezirk den bei Weitem größten Club der Stadt. 60 „Manager-Boxer“ sind derzeit unter den rund 1.000 Mitgliedern des Clubs, Tendenz steigend. Viele von ihnen wollten eigentlich „nur trainieren“. Weil das Training eben so klass ist. Einem so viel abverlangt. Der Körper wird stärker, das Selbstvertrauen wächst. Vielleicht doch einmal ein freies Sparring? Das ist ein Trainingskampf unter Wettkampfbedingungen. Ohne Vorgaben, ohne Einschränkungen.
"Dir wird plötzlich bewusst: Du bist jetzt ganz alleine mit einem Menschen, der dich schlagen will ..."
Jeder gibt, was er hat. „Angst. Blanke Angst“, erinnert sich ein Endvierziger an sein erstes Sparring. „Sie ist plötzlich da, wenn du realisierst: Okay, du bist jetzt allein mit einem Menschen, der dich schlagen will. In einem begrenzten Raum – es gibt keinen Ausweg, kein Zurück. Es ist ein überwältigendes Gefühl, der Stress lässt dich alles vergessen, was du gelernt hast. Ein Adrenalin-Rush, mit dem du erst umzugehen lernen musst. Aber schließlich beginnst du, auch unter enormem Druck strategisch-taktisch zu denken.“
Musterschüler
Verantwortung übernehmen, Initiative ergreifen – auch in Krisensituationen nicht die Nerven verlieren. „Es sind Menschen, die gewohnt sind, zu delegieren. Die aber bereit sind, selbst anzupacken, und auch den Kopf hinzuhalten, wenn's die Situation erfordert“, zeichnet Coach Daniel Nader ein Bild seiner reifen Boxschüler. Musterschüler, möchte man fast sagen. „Das ist schon auffällig“, so der erfahrene Trainer, „diese Manager, Entscheidungsträger oder Führungskräfte – die haben schon auch die richtige Einstellung zum Sport. Nicht nur reden, sondern konkrete Ziele setzen – und tatsächlich alles tun, um sie zu erreichen.“
Natürlich könnten sie das auch im Fitness-Studio oder beim Laufen. Klar. Nur bleibt man dann halt immer Rocky – ja, einmal müssen wir ihn noch erwähnen –, der einsam durch die Straßen joggt wie in dem berühmten video weiter unten:
Und wird nie fühlen, was er gefühlt hat as er im Ring gestanden ist - und dort im Triumph die Arme gehoben hat. Man erfährt auch nie, welcher Mensch man ist, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Oder in einem sechs mal sechs Meter großen Ring ohne Ausgang. Allein mit einem anderen Mann, der genau dasselbe will wie man selbst: gewinnen.
Für Interessierte: www.boxverband.at / www.wienerboxverband.at / www.bounce.at
Alles Gangster? Stars und Schriftsteller als Box-Fans und Hobby-Boxer
Schlechter Umgang, „Milieu“, Halbwelt? Dem Boxen hängt noch immer ein etwas schiefer Ruf nach, auch wenn Athleten wie die „Professoren“ Klitschko oder der britische Strahlemann Anthony Johnson dem entgegenwirken. Im angloamerikanischen Raum gibt es weniger Berührungsängste, nicht nur für literarische Figuren wie Sherlock Holmes.
George Bernard Shaw etwa war ebenso ein Fan wie James Joyce, dessen amerikanischer Freund Ernest Hemingway auch gern selbst die Handschuhe anzog. Regie-Legende John Huston war ein begeisterter Boxer, ebenso wie Errol Flynn – und sogar Dean Martin. Kris Kristofferson wird ausgesprochenes Talent nachgesagt, das gilt auch für Paul Newman und Jean Paul Belmondo – Männer mit Charme und Mut, die tatsächlich fast alles konnten.
Denzel Washington boxt seit mehr als 40 Jahren, Mark Wahlberg trainiert wie Chris Hemsworth täglich – und die Ulknudeln Kevin James und Jonah Hill haben durchs Boxen mindestens 100 Kilo abgenommen. Und vielleicht treten sie ja noch gegeneinander an, wer weiß ...
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