Thomas Schäfer-Elmayer gesteht: "Ich mache auch viel falsch"
Wenn man Österreichs Benimm-Papst Thomas Schäfer-Elmayer trifft, muss alles seine Ordnung haben. Frisur: Sitzt! Kleidung: Top! Schuhe: Geputzt! Was macht die Zeit? Oh, meine Güte! Das Haben beträgt fünf Minuten, während das Soll unbarmherzig zehn einfordert. Parkplatznot, Baustellen und Stau: Wie soll man da um 15 Uhr in der Bräunerstraße sein? Dort hat die Tanzschule Elmayer seit mittlerweile hundert Jahren ihren Sitz. Beim Öffnen der Tür zeigt die Uhr an der Wand im Eingangsbereich bereits 15:04. Die Uhr tickt quasi und hängt dort wie ein Damoklesschwert. Was wird Herr Elmayer von einer Zuspätkommenden denken? Dort drüben steht er und schaut – noch – freundlich. Mutig frage ich nach.
Sagen Sie, wie wird man vom Manager in internationalen Industriekonzernen zum Tanzschul- und Benimmpapst?
Da ging es mir wie meinem Vater. Als mein Großvater Willy Elmayer 1966 verstarb, hat er die Tanzschule meinen Eltern vererbt. Mein Vater war Direktor einer Textilfabrik in Vorarlberg und hatte keine Tanzlehrerausbildung. Für die operative Leitung war Direktor Robert Hysek verantwortlich, während meine Eltern sich um das Administrative, Organisatorische und Repräsentative gekümmert haben. 1986 kamen sie dann auf mich zu und fragten: „Kommst du nach Wien? Wir möchten uns zur Ruhe setzen.“
Hatten Sie denn Ahnung vom Metier?
Ich habe während des Studiums zwei Jahre bei meinem Großvater mitgearbeitet. Aber es war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Vor allem, als ich auch noch die Tanzlehrerausbildung gemacht habe.
Konnten Sie nicht schon tanzen?
Getanzt habe ich immer schon, Gott sei Dank sehr gut und gerne. Aber natürlich war ich kein Turniertänzer.
Kennen Sie den schlechten Witz? „Ich bin Turniertänzer ...“
(lacht). Ja, kenn ich. „... i tua nia tanzen.“ Angesichts dessen, was den Herren da alles entgeht, ist es aber ein Jammer, wenn jemand nicht tanzt. Viele Männer erkennen das nicht, weil sie zu bequem sind. Früher hat das praktisch dazugehört. Ein Offizier zum Beispiel war immer ein sehr guter Tänzer. Diese Tradition pflegten schon Könige wie etwa „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. Er war als König sehr mächtig, aber am meisten stolz darauf, gut tanzen, singen und schauspielen zu können.
Wir sitzen hier in Ihrer Tanzschule. Spüren Sie den Geist Ihres Großvaters?
Teilweise natürlich, weil wir die Prinzipien hegen und pflegen, mit denen er die Schule so erfolgreich gemacht hat. Es gibt wenige Unternehmen, die 100 Jahre lang die Nummer eins in ihrem Markt sind und das kann man von uns behaupten.
Was ist Ihnen da wichtig?
Der Großvater hat immer gesagt: „Meine bescheidene Tanzschule.“ Er hat den Damen manchmal auffälligen Schmuck verboten und die Frisur musste simpel sein. So streng sind wir nicht mehr, aber Bescheidenheit ist wichtig. Es ging ihm darum, andere Menschen zu respektieren, ihnen zu zeigen, dass er sie mochte. Sein Kernthema war: Gutes Benehmen! Das ist bis heute unser Markenzeichen.
Wie ist denn die aktuelle Benimmlage? Gut, schlecht oder hoffnungslos?
Als ich heuer mein Buch „Der große Elmayer“ präsentiert habe, hat mir ein Direktor eines Polytechnikums gesagt, 75 Prozent der Arbeit in seiner Schule wäre, Benehmen zu unterrichten. Die Schüler bringen das von zuhause nicht mehr mit. Wenn sich so jemand bei einer Firma bewirbt, bekommt er keinen Job.
Sind da nicht die Eltern verantwortlich?
Ich bin überzeugt davon, dass viele Eltern zu bequem sind, diese wichtige Aufgabe wahrzunehmen. Sie geben sich zu wenig Mühe. Es ist nun mal so, dass niemand gleich nach der Geburt automatisch grüßt oder „Bitte“ und „Danke“ sagt. Das muss man bei Kindern dauernd einfordern. „Wie heißt das Zauberwort?“ und diese Geschichten. Es muss in Fleisch und Blut übergehen und ist dann ein wesentlicher Faktor unserer Lebensqualität.
Wozu ist gutes Benehmen imstande?
Wir können selbst bestimmen, welche Atmosphäre wir schaffen. Das fängt beim Grüßen an. Mimik, Gestik, Wortwahl oder Tonfall: Das alles spielt eine große Rolle für das Zusammenleben. Bei Flugreisen zum Beispiel erlebt man, dass die Leute oft fünf Stunden nebeneinandersitzen, aber so tun, als wären sie alleine im Flieger. Die sagen nicht mal „Good Morning“, wenn sie sich hinsetzen. Vielleicht auch, weil sie zu schüchtern sind. Das mache ich anders. Die Reaktion ist jedes Mal ein Lächeln und die Atmosphäre ist sofort anders, wenn ich lediglich freundlich grüße.
Da möchte man meinen: Das kann doch nicht so schwer sein.
Wir sollten uns das einfach trauen. Ich habe sieben Jahre in Afrika gelebt. Wenn Sie dort durch die Wüste fahren, sehen Sie oft stundenlang keinen Menschen. Das ist zunächst ein herrliches Gefühl. Aber wenn einem ein anderer Geländewagen entgegenkommt, muss man einfach stehen bleiben. Wir brauchen andere Menschen. Das haben wir teilweise leider vergessen.
Das wird mit dem Smartphone-Hype wahrscheinlich nicht besser werden.
Wir haben zwar lauter Menschen um uns herum, kommunizieren aber mit jemandem, der woanders ist. Menschen erfahren immer mehr Isolierung, da schließe ich mich nicht aus. Ich wohne in einem großen Block, und als ich vor einer Woche mit dem Lift gefahren bin, habe ich eine Dame die zugestiegen ist, gefragt, ob sie neu eingezogen ist. „Nein, ich wohne seit fünf Jahren hier“, hat sie gesagt. Diese Anonymität und Isolation ist sehr schade.
Ein Appell also, öfter mal „Grüß Gott“ zu sagen. Oder darf man das in einer Multi-Kulti-Welt gar nicht mehr?
Da habe ich mich persönlich nie eingebremst. Ich bin aber einmal auf ein „Grüß Gott“ angesprochen worden als ich es bei einem Vortrag in einer HTL verwendet habe. Ein Schüler hat gemeint: „Grüß Gott sagen nur die Schwarzen.“ (Anm.: ÖVP) Ich bin dem nachgegangen, warum das politisch behaftet ist und auf etwas Interessantes gestoßen. In der Zwischenkriegszeit war der Hass zwischen Roten und Schwarzen so groß, dass das zu einem Bürgerkrieg ausgeartet ist. Damals hat sich tatsächlich die konservative Seite mit „Grüß Gott“ begrüßt und die andere mit „Guten Tag“. Und die Wiener Beamten, die neutral bleiben wollten, haben daraufhin mit „Mahlzeit“ gegrüßt. So ist das als Gruß entstanden, der auch im Dritten Reich half, den Hitlergruß zu vermeiden. Das findet man in keiner anderen Sprache, und nicht in der Schweiz oder in Südtirol.
Sind Sie von der konservativen Seite nicht schon gerügt worden, weil Sie Benimmregeln gelockert haben.
Da ging es vor allem um den Life Ball, bei dem wir zehn Jahre eröffnet haben. Da kann man geteilter Meinung sein, das kann ich verstehen. Ich habe den Life Ball vor allem unterstützt, weil es ein großer karitativer Event war, ich glaube, der größte Europas. Es war auch die Philosophie meines Großvaters, anderen zu helfen. Er hatte anfangs durch die Tanzschule Schulden, hat aber trotzdem beim Aufbau des Hauses der Barmherzigkeit mitgewirkt und kriegsversehrten Kameraden geholfen. Es war ihm auch wichtig, dass kein junger Mensch aus finanziellen Gründen auf den Besuch der Tanzschule Elmayer verzichten muss. Das haben wir übernommen. Zu uns kommen jedes Jahr etwa 200 Leute, die wenig oder gar nichts zahlen.
Wenn wir das schreiben, steht vielleicht eine Schlange vor Ihrer Tanzschule.
Das kann gut sein. Früher war ich sehr blauäugig bis ich einmal draufgekommen bin, dass ein junger Mann, der sich den Tanzkurs angeblich nicht leisten konnte, ein wesentlich teureres Handy hatte als ich - und vieles mehr. Da habe ich gemerkt, ich werde reingelegt. Seitdem muss ich Unterlagen als Nachweis verlangen.
Herr Elmayer, was ist in Sachen Benehmen das Wichtigste im Leben?
Diese ganzen Benimm-Regeln sind wertvolles Allgemeinwissen, das man anwenden kann oder nicht. Wobei ich dafür bin, das ständig anzuwenden, sonst kommt man aus der Übung. Aber Einfühlungsvermögen ist viel wichtiger als jede Regel, weil ich damit die größten Chancen habe, Mitmenschen so zu behandeln, wie es für sie optimal ist. Wer mit Menschen gut umgehen kann, hat eine Fähigkeit, die oft über Kompetenz und allen anderen Eigenschaften steht.
Gilt das auch für Unternehmen?
Ich habe kürzlich erfahren welche Prioritäten Disney, ein sehr erfolgreicher Konzern hat. An erster Stelle steht Sicherheit, aber dann kommen bereits Höflichkeit und Freundlichkeit. Dann Show, Entertainment, Sauberkeit und erst danach Effizienz und Kompetenz. Das sagt viel darüber aus, welche Faktoren für langfristigen Unternehmenserfolg entscheidend sind. Wobei Kompetenz und Effizienz für uns natürlich schon sehr hohen Stellenwert haben.
Haben Sie eigentlich in Ihrem Leben immer Contenance bewahrt? Mir geht es manchmal beim Autofahren durch.
Ich mache auch viel falsch, wenn Sie das tröstet.
Das wäre eine fette Schlagzeile: „Elmayer zeigt anderem Autofahrer den Vogel“.
Nach einem meiner Vorträge über Gutes Benehmen stand ich einmal mit hohen Persönlichkeiten zusammen. Eine Dame kam dazu und sagte vor allen zu mir: „Herr Professor, erinnern Sie sich, was Sie neulich zu mir gesagt haben als Sie neben meinem Wagen die Scheibe Ihres Autos hinuntergelassen haben?“ Ich dachte nur: Du meine Güte! Was habe ich gesagt? „Sie haben gesagt, gnädige Frau, wollen Sie jetzt nach links oder nach rechts?“ Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Hätte das denn auch anders ausgehen können?
Als ich meinen Kindern davon erzählt habe, meinten sie: „Papa, das hast du schon weniger freundlich gesagt.“ Dieses Mal Glück gehabt!
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