Tarantinos neuer Western
Nicht gegen Wiederholungstäter. "Ich hatte so viel Spaß bei ,Django Unchained' und liebe Western so sehr", redete der Filmemacher Quentin Tarantino vor über einem Jahr im TV in der "Tonight Show" drauflos, "dass ich, nachdem ich mir beigebracht habe, wie's geht, dachte: Okay, lass' mich einen weiteren drehen, jetzt, da ic h weiß´, was ich tue."
Vorhang auf für einen wüsten Haufen, dem man in freier Wildbahn lieber nicht begegnet. Kopfgeldjäger, Soldaten, Deserteure und ein Cowboy befinden sich darunter. Allen voran John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) und Major Marquis „The Bountyhunter“ Warren (Samuel L. Jackson). Die beiden kämpfen sich im Western-Country Wyoming samt Chris „The Sheriff“ Mannix (Walter Goggins) und der Gefangenen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) durch einen heftigen Schneesturm. Ihr Ziel ist Red Rock. Aber es schaut aus, als liege das für immer in weiter Ferne.
Wir befinden uns einige Jahre nach Ende des amerikanischen Sezessionskrieges. Und wir ahnen, dass das schräge Quartett bald auf noch mehr verwegene Figuren stoßen wird, um „The Hateful Eight“ komplett zu machen. Tarantinos achter Film also. Ein Garagen-Rock-Western mit den Nicht-mehr-ganz-Jungspunden The White Stripes und Altmeister Ennio Morricone auf dem Soundtrack. Ein Kammerspiel, in dem eine Schicksalsgemeinschaft von acht Menschen vor einem Blizzard in einer Blockhütte Schutz sucht und der Zuschauer gespannt darauf wartet, wer wem zuerst an die Gurgel geht. „The Hateful Eight“ ist aber auch ein Opus für Nostalgiker.
Gedreht wurde in Ultra Panavision, in 70mm, dem Königsformat des analogen Films. Insgesamt drei Stunden und sechs Kapitel lang.
Muss man das sehen? Ja. Schon allein der kunstfertig komponierten Dialoge wegen. Wird dieser Film ein Comeback des Westerns einläuten? Muss er gar nicht. Ganz von der Bildfläche ist dieses Genre ohnehin nie verschwunden. Ob vor kurzem „True Grit“, die Western-Variation der Coen-Brüder mit Jeff Bridges in der Hauptrolle, oder „Lone Ranger“, die vor drei Jahren gefloppte Kinoadaption der 50er-Jahre-TV-Westernserie „Die Texas Rangers“: Kaum meint man, dass nur noch History-, Fantasy- und Science-Fiction-Filme angesagt sind, naht am Horizont schon der nächste Western.
Die „Dollar-Trilogie“ von Sergio Leone, die zwischen 1964 und 1966 gedrehten Italowestern mit Clint Eastwood in der Hauptrolle, reiht er sogar unter die besten Filme aller Zeiten – besonders das Hauptstück „Zwei glorreiche Halunken“, das auch bei uns besser als „The Good, the Bad and the Ugly“ bekannt ist.
„The Hateful Eight“ sieht Tarantino als Hommage an das gesamte Western-Genre. Und das mit all seinen Attributen: dreckig, blutig, spannend und verdammt verrückt. Denn es gehört eine Portion Wahnsinn dazu, so wie damals die Frontiers, totales Neuland zu betreten.
Das „Filmland“ selbst will der Regisseur, der das Handwerk als Autodidakt vor dem TV-Schirm, im Kino und als Angestellter der Videothek „Video Archives“ erlernte, aber in absehbarer Zeit wieder verlassen. Schon vor längerem gab Tarantino bekannt, dass er nach „The Hateful Eight“ nur noch zwei Filme drehen wolle. Dann nämlich hätte er in seiner Filmografie zehn Arbeiten, die Geschichte schrieben, „und würde hoffentlich auf der Höhe meiner Kunst aufhören“.
Jetzt ist er Anfang 50, seinen zehnten Film macht Quentin Tarantino, wie er ankündigt, „vielleicht mit 60“.
Das Kino ohne Tarantino, kaum vorstellber. Was der bedeutendste Erneuerer dieses Mediums der letzten Jahrzehnte dann statt dessen machen wird? Von Romane schreiben über TV-Serien produzieren bis zur Theaterregie sei alles drin, sagt er.
Eines aber macht er sicher auch ohne Showdown im Visier: Musik hören. Vielleicht sogar mit Ennio Morricone, der 87-jährigen Filmmusik-Legende, die sich nun dank Tarantino erneut auf Oscar-Kurs befindet. Es wäre sein erster. Am 28. Februar wissen wir mehr. Da findet in Los Angeles die 88. Oscar-Gala statt. „The Hateful Eight“ ist drei Mal nominiert. Tarantino nicht. Nichts Neues für den Neuerer.
Sergio Leones Spaghetti-Western aus den 1960er-Jahren kopierten Eastern, die Western kopierten. Die richtige Saat, um Jahrzehnte später von einem Nerd wie Quentin Tarantino geerntet zu werden.
"Für eine Handvoll Dollar mehr", 1965: Was gut war, macht die Fortsetzung noch besser: ein Kopfgeldjäger, viele Banditen, ein gewaltiger Showdown und mit Klaus Kinski ein neues Markenzeichen des Italowestern.
"Zwei glorreiche Halunken", 1966: Weil’s so schön ist, setzt Sergio Leone noch eins drauf: Clint Eastwood als „Der Blonde“ und Eli Wallach als
„Der Hässliche“ inspirierten Tarantino schon zu den „Reservoir Dogs“.
"Leichen pflastern seinen Weg", 1968: Im Original klingt das natürlich viel besser: „Il Grande Silenzio“. Jean- Louis Trintignant und Vonetta McGee waren das Traumpaar der Stunde, sie spielte dann in „Shaft in Afrika". Und der Blaxploitation-Klassiker war ja auch das Vorbild für "Jackie Brown".
"El Topo", Mexiko, 1970: Regie, Drehbuch, Musik, Hauptrolle – Alejandro Jodorowsky hat alles in der Hand. Der surreale Western ist auch auf YouTube ein Hit. Der Regisseur lebt heute in Paris – als Comic-Autor.
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