Superhirn

Superhirn
Köpfchen gefragt: Johnny Depp will in einem 100-Millionen-Dollar-Thriller medizinische Utopien verwirklichen. Der EU ist die Erforschung des Gehirns sogar eine Milliarde Euro wert.

Wir werden uns von unseren Körpern lösen und einander in vergeistigter Form wiederfinden. Wir werden uns an diesem neuen Ort wiedertreffen, wir alle zusammen, und zuerst wird das seltsam wirken, aber ziemlich bald wird es seltsam wirken, dass man je irgendwen verlieren oder verloren gehen konnte.“ Klingt nach Science Fiction, oder? Könnte aus „Ich, der Robot“ stammen oder aus „Transcendence“, jenem jüngst im Kino angelaufenen Thriller, in dem Johnny Depp als Computerforscher an der Unsterblichkeit arbeitet. Weit gefehlt. Diese Vision von vernetzten und von Körpern unabhängigen Gehirnen taucht im Roman „Der größere Teil der Welt“ auf. Er stammt von der US-Autorin Jennifer Egan, handelt eigentlich von der Musikindustrie und den Veränderungen der Zeit – und zeigt, dass nicht nur in Filmstudios und in wissenschaftlichen Labors über das Gehirn und das Denken nachgedacht wird.

„Je mehr Gehirnzellen auf diesem Gebiet arbeiten, desto besser“, meint auch Neelie Kroes, die EU-Kommissarin für Digitale Agenda. Im Rahmen des „Human Brain Projects“ will die Union in den nächsten zehn Jahren Hunderte einschlägig forschende Institutionen mit insgesamt einer Milliarde Euro unterstützen. Dieses Netzwerk „soll wegweisende Forschung leisten und für Durchbrüche in den Gebieten der Neurowissenschaften, der Computertechnik und der Medizin sorgen.“ Koordiniert wird dieses Megaprojekt von der École Polytechnique Fédérale im schweizerischen Lausanne (EPFL) aus. Initiator ist der charismatische Hirnforscher Henry Markram (Bild). Der 52-jährige aus Südafrika stammende Neurowissenschaftler will das Gehirn im Computer nachbauen. Das komplexe Zusammenspiel der Neuronen soll auf Europas schnellstem Supercomputer simuliert werden, dem Großrechner Juqueen in Jülich in Deutschland.

Damit man sich mehr darunter vorstellen kann, wird Markram in den Medien bereits als Pendant zu Raymond Kurzweil hochstilisiert. Musikfreunde kennen den 1948 in New York geborenen Erfinder und Futuristen vor allem seiner von ihm entwickelten Synthesizer wegen. Der Träger von 19 Ehrendoktortiteln steht mehr noch als Apple-Mitgründer Steve Jobs oder Bill Gates für den unbedingten Glauben an den Fortschritt durch Technik. Vor zwei Jahren wurde Kurzweil Leiter der technischen Entwicklung beim Mega-Konzern Google. Was in diesem Zusammenhang aber noch wichtiger ist: Der Sohn österreichischer Emigranten, der auch in Frank Schätzings Megaseller „Der Schwarm“ Erwähnung findet, gilt als Vorbild für Johnny Depp als Techno-Papst im staunen machenden Regiedebüt des Kameramannes Wally Pfister. Zwar spottete nicht nur „Wired“, die Bibel der digitalen Generation, über die eher lasche Umsetzung des spannenden „Transcendence“-Themas, aber selten noch war es so einfach, Google & Co. bei der Planung der Zukunft über die Schulter zu schauen. Kurzweil sagte etwa vor Kurzem auf einem „Global Future 2045 Congress“ vorher, dass es schon in 20 Jahre möglich sein werde, ewig zu leben. Die Möglichkeit dafür soll eine gewaltige „Transformation“ in der Medizin liefern, die in den nächsten 15 Jahren stattfinden soll. Ob Kurzweil das erleben wird? Der 66-Jährige arbeitet daran. Dank der Einnahme von täglich 150 diversen Tabletten wirkt er zumindest schon jetzt wesentlich jünger.

Katharina Gsöllpointner, Medientheoretikern (Institut für systemische Medienforschung, Wien)

"Als Science-Fiction-Motiv erlebt die alte Idee der vollkommenen Maschine mit menschlichem Bewusstsein im Film „Transcendence“ wieder eine Renaissance: Artificial Intelligence paart sich mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit. Die Vorstellung, dass Geist und Körper zwei getrennte Einheiten seien, existiert schon sehr lange. In der Philosophie spricht man von der „Philosophy of Mind“, die vom Philosophen René Descartes bereits im 17. Jahrhundert mit der Trennung von Geist (immateriell) und Körper (Maschine) begonnen wurde. Er stellte fest: „Cogito, ergo sum.“ (Ich denke, also bin ich.) Mittlerweile ist uns nicht nur aus den Erkenntnissen der Neurowissenschaften hinreichend bekannt, dass selbst das Denken keine Aktivität ist, die sich nur im Gehirn festmachen lässt, sondern dass es wie alle anderen kognitiven und emotionalen Leistungen den gesamten Körper braucht, um zu funktionieren. Alle Erfahrungen, die wir machen, alles Wissen, das wir generieren, sind gesamtkörperliche Erfahrungen und gesamtkörperliches Wissen. Das Bewusstsein kann also nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen niemals vom Körper getrennt werden, ohne ebenfalls aufzuhören, zu existieren. Im Unterschied dazu knüpft „Transcendence“ jedoch recht märchenhaft an die uralte Wunschvorstellung der (weißen, männlichen) Menschheitsgeschichte an, körperlos zu leben (und damit unsterblich zu werden). Diese Science Fiction-Idee des Transfers eines Bewusstseins in einen Supercomputer wurde bereits in zahlreichen Filmen wie z.B. in „Johnny Mnemonic“ thematisiert oder in der Science-Fiction-Literatur ersonnen.1984 hat der Erfinder des „Cyberspace“, William Gibson, in seinem berühmten Roman „Neuromancer“ die Hauptfigur an den Nachwirkungen des immateriellen Einloggens ihres Bewusstseins ins Netz leiden lassen: Ihr Nervensystem hat sich mehr und mehr selbst zerstört. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist es also nicht möglich, das Bewusstsein vom Körper zu trennen. Und selbst, wenn man einen menschlichen Organismus, wie in „Transcen- dence', künstlich am Leben halten und seine Gehirnaktivitäten simu- lieren wollte, so würde ein solches Unterfangen an der extrem hohen Komplexität der Gehirnleistungen scheitern, die (noch) kein Computer annähernd bewältigen könnte. Denn, auch wenn wir schon viel über die Vorgänge in unserem Hirn wissen, so wissen wir doch vor allem eines: dass wir nichts wissen."

Kommentare