Der Gruselking
Tabitha müsste Kaiserin sein. Wenn sie, seine Ehefrau, nicht wäre, wüsste die Welt vielleicht gar nicht, dass es diesen König, den „König des Grusels“ gibt – Stephen King. Tabitha King, die frühere Studienkollegin des 1,93 Meter großen Schriftstellers, war es, die das Manuskript von „Carrie“, seinem ersten großen Erfolg, aus dem Mistkübel gerettet hat. Die Großtat einer Großmütigen. Das war 1973, vor 40 Jahren. Tabitha King, selbst Autorin, schrieb seither acht Romane. Stephen King mehr als fünfzig – und was für welche.
Hinter jedem King steht eine Queen: In diesem Fall ist es Tabhita King, Ehefrau des Horrorschriftstellers und selbst Autorin
Man braucht sich keinen Deut für Literatur interessieren und hat ein Bild vor Augen, wenn man an Stephen King denkt. Was heißt, Bild, ganze Szenarien voller Horror sind das und sie reichen vom menschenmordenden Auto („Christine“) über den Amok laufenden Autor („Shining“) bis zum Monster im Clownkostüm („Es“). Hunderte Millionen Leser auf der ganzen Welt fahren auf Schrecken wie diese voll ab. Dabei hat der Mann durchaus einen ebenso ausgeprägten Sinn für Humor. Im Frühsommer 1999 fuhr ihn beim Spazierengehen am Straßenrand ein Betrunkener über den Haufen. Schwerstens lädiert, musste King Nächte in der Intensivstation verbringen, notierte aber im Geist schon Handlungsfäden für einen nächsten Roman. Drei Jahre danach hieß es dann in „Der Buick“ im Nachwort: „Mir sind dann und wann schon Ideen in den Schoß gefallen – das geht vermutlich jedem Schriftsteller so –, aber bei dem ,Buick’ war es kurioserweise umgekehrt: In diesem Fall fiel ich förmlich der Idee in den Schoß.“
Für Patrick Niemeyer, seinen deutschen Lektor im Heyne Verlag, steht jedenfalls fest, dass diese „Nahtoderfahrung“ seinen Romanen zu Gute kam. „Ich glaube, dass dieses Erlebnis seine Schreibqualität vertieft hat“, so der Lektor. „Er ist dadurch vielleicht behutsamer geworden.“ Auch ernsthafter. „Der Anschlag“, seine mehr als tausend Seiten umfassende Auf- und Bearbeitung des Attentats auf John F. Kennedy, ist zugleich Fantasy, Thriller – und Nachhilfeunterricht in Geschichte.
Apropos Geschichte. Seine eigene kann Stephen King wohl nie ganz abschütteln. Vom Vater früh verlassen und in Armut aufgewachsen, verfiel er jahrelang Alkohol und Kokain, kaum stellte sich gegen Ende der 1970er-Jahre mit der Schauerstory aus dem Overlook Hotel sein zweiter Welterfolg ein.
Seither konnte ihn noch nie jemand vom Thron des Horrorkönigs stoßen. Im Gegenteil. King blieb seiner Pionierrolle treu, wechselt bisweilen in den Regie- oder Produzentensessel (um höchstselbst die häufig miesen Kritiken für die Verfilmungen zu kassieren), stellte schon im Jahr 2000 eine Kurzgeschichte („Achterbahn“) zum Herunterladen ins Internet und veröffentlichte einmal einen Roman („Desperation“) auch aus der Perspektive seines Pseudonyms Richard Bachmann („Regulator“).
Als King „Carrie“, den Roman, vor 40 Jahren beendete, stellte er überrascht fest: „Ich war auf dem Planeten der Frauen gelandet.“ Beim Remake des Films befinden sich die Zuseher von Anfang an dort. Durch die Regie von Kimberly Peirce („Boys Don’t Cry“) wird die Sichtweise noch feministischer. Sicher auch zur Freude von Tabitha King.
Mit einem Wort: King gibt Rätsel auf. Allein für „KingWiki“, die deutschsprachige Enzyklopädie rund um die Welt des in Bangor im US-Bundesstaat Maine lebenden Autors, wurden bisher 12.087 Artikel – vom „Zitat des Monats“ bis zu Neuigkeiten aus dem „King-Universum“ – verfasst. Vorwiegend von Fans, denen es egal ist, dass ihr Idol vor Kurzem noch als „literarisches Pendant zu einem Big Mac“ verunglimpft wurde.
Es sind genau diese Fans, auf die King baut. „Sagen Sie mal, haben Sie vielleicht eine Ahnung, was mit dem Jungen in ,Shining’ geworden ist?“ Wie reagiert man, wenn man bei einer Signierstunde unverhohlen mit dieser Frage konfrontiert wird? Ganz einfach, mit einer sehr ausführlichen Antwort. Stephen King konterte mit der Fortsetzung „Doctor Sleep“.
Daniel, der hellsehende Sohn des trinkenden und jähzornigen Schriftstellers Jack Torrance, ist nun nicht nur erwachsen. Er ist selbst zum Trinker geworden und wacht als Pfleger über die Bewohner eines Sterbehospizes.
Mit „Doctor Sleep“ war Stephen King eben auf Lesetour in München und Hamburg und bei den US-Soldaten in Ramstein. Ein Abstecher nach Wien ging sich nicht aus, dafür sprach der Horrorkönig in Interviews und TV-Sendungen so oft es ging über seine Begeisterung von „Schlag“, also Schlagobers – selbstverständlich mit einem diabolischen Grinser.
Thema der Tour war nur das neue Buch. Dabei wurde im King-Kosmos auch etwas anderes aufgefrischt: „Carrie“, das Drama eines Mädchens, das in der Schule fürchterlich gedemütigt wird. Die Verfilmung durch Brian De Palma machte 1976 Sissy Spacek zum Weltstar. Im Facebook-kompatiblen Remake, das jetzt ins Kino kam, könnte der Jungmimin Chloë Grace Moretz dasselbe blühen.
Vier Stunden lesen, vier Stunden schreiben. So verbringt der Horrorkönig seine Tage. Auch im Ferienhaus in Florida bleibt der am 21. September 1947 geborene dreifache Vater diesem Ablauf treu. Wenn er den Schreibtisch verlässt, dann nur für die „Rock Bottom Remainders“. So nennt sich eine lose Gruppe befreundeter Autoren, die ab und zu auf der Bühne Krawall machen wollen. Neben Stephen King zählen Matt Groening („Simpsons“), Pulitzer-Preisträger Dave Barry, Scott Turow und Amy Tan zur Band. Früher war auch Warren Zevon („Werewolves of London“) dabei. Er wollte einmal, dass sich King bei diesem Song als Leadsänger produziert und raunte ihm zu: „G-Dur. Und heul einfach aus voller Kehle. Vor allem aber: Spiel wie Keith!“
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