Dietrich Siegl über Gegensätze

Dietrich Siegl über Gegensätze
SOKO-Donau-Star Dietrich Siegl wird 60 und ist seit 40 Jahren im Film-Geschäft. Anlass für ein Gespräch über die Dualität des Lebens, Keith Richards als Seelentröster und King Lear als Berufsberater.

freizeit: Herr Siegl, am 18. März werden Sie 60. Aufgeregt?

Dietrich Siegl: Aber woher. Ich war noch nie so jung wie jetzt. Als kleiner Bub habe ich gewusst, dass meine Zeit noch kommt. Meine Helden waren die alten Schauspieler mit den verlebten Gesichtern im Schwarz-Weiß-Fernsehen. Obwohl ich gestehen muss, dass der bevorstehende Runde der erste ist, der mich schon ein bissl zwickt.

Was tut denn genau weh?

60 ist halt einfach alt. Man stirbt bald und das mag ich nicht. Gerade jetzt, wo ich langsam drauf komme, wie alles gehen könnte. Die vergangenen zwanzig Jahre waren gar nichts. Es kommt mir vor, als wären sie gestern gewesen.

Aber mit 60 vom Sterben zu sprechen, ist pessimistisch. Meinen Sie nicht?

Ich komme noch aus einer Zeit, in der Menschen mit 60 den Tod im Gesicht getragen haben. Die waren noch kriegserfahren. Mein Großvater ist mit 62 Jahren gestorben. Da hat keiner gesagt: "Der war viel zu jung zum Sterben." Aber tröstlich ist, dass der Keith Richards kürzlich 70 geworden ist. Der ist ein Hammer.

Trotz Sex, Drugs and Rock’n’ Roll. Das zeigt, was ein Körper aushalten kann.

Ich habe seine Biografie gelesen, in der er sagt, dass er sich bald den besten Stoff leisten konnte. Das Koks hatte er direkt aus dem Labor von Hoffmann-La Roche. Das hat sicher etwas ausgemacht. Außerdem war er beseelt von seinem Tun. Es gibt Kraft, wenn man was hat, wofür man brennt. Ich wüsste jetzt nicht, was das bei mir sein könnte.

Na ja, die Schauspielerei.

Nein, gar nicht. Vielleicht ist es auch nur eine Attitüde, dass ich das gerne sage. Aber ich bin auf die Welt gekommen und war schon mitten drinnen in dem Zirkus. Wenn die Eltern Schauspieler sind, kennt man es nicht anders. Vielleicht hat deshalb auch immer das Brennen gefehlt. Das habe ich dafür bei Musik verspürt.

"60 ist halt einfach alt. Man stirbt bald und das mag ich nicht. Gerade jetzt, wo ich langsam draufkomme, wie alles gehen könnte."

Worüber reden Sie lieber? Über Musik oder die Schauspielerei?

Eigentlich würde ich gerne über etwas anderes reden: Die Dualität. Ab einem gewissen Alter – und da bin ich wahrscheinlich ein typischer Wiener, obwohl ich nicht hier aufgewachsen bin – merkt man, dass alles immer "ein bissl a so oder a so is". Anhänger der fernöstlichen Lehre würden jetzt vom Yin und Yang reden. Im Wienerischen heißt es eben "ein bissl so oder ein bissl so". Das klingt für viele nördlich des Weißwurscht-Äquators schwammig. Es ist trotzdem wahr.

Das erinnert mich an ein Zitat. "Die Wahrheit ist selten so oder so. Meistens ist sie so und so." Angeblich hat das Geraldine Chaplin gesagt.

Genau, das ist es. Das Leben ist sowohl als auch. Ich interessiere mich ein bissl für Geschichte und da kommt man drauf, dass es in Büchern sehr konträre Einschätzungen eines Zeitalters gibt. Einmal beginnt die Aufklärung, dann werden Menschen für bestimmte Dinge wieder geköpft – und genau das ist wieder der Grund, warum die Aufklärung begonnen hat. Oder Zürich, wo ich zum Teil aufgewachsen bin. Das ist eine sehr reiche Stadt, in der aber auch die meisten Junkies sind, weil es dazwischen nichts gibt.

Ist es nicht manchmal schwierig, diese Dualität zu akzeptieren?

Mir ist nur schwer gefallen, zu akzeptieren, dass offenbar ein Großteil meiner Umwelt diesen Umstand noch nicht verinnerlicht hat. Die Leute wollen immer klare Aussagen haben. In der Zeit meiner ersten Interviews als Schauspieler waren oft so blöde Fragen dabei wie: "Können Sie sich charakterisieren?" Das kann ich natürlich nicht. Wenn ich ein Wehwehchen habe, bin ich nicht wahnsinnig gut drauf, ich kann aber auch wahnsinnig glücklich sein. Ich musste auch lernen, dass euphorische Zustände, die ich durchaus kenne, immer zu postdepressiven Phasen führen. Ich bin ein Kind der 1970er-Jahre.

Sie haben auch einmal gesagt, dass Sie bis in Ihre 40er in der Pubertät und trotzdem immer ein alter Mensch waren. Wie haben Sie das gemeint?

Da war ich wahrscheinlich ang’soffen. Nein, im Ernst. Als ich zehn oder elf war, hat mir mein damals bester Freund gesagt, dass ich wie der Kulenkampff bin. Der war damals für uns ein alter Mann. Aber ich war sehr wissbegierig und habe alles gelesen, was bei uns am Häusl gelegen ist. Ich hatte also schon früh eine gute Allgemeinbildung. So hat sich auch ergeben, dass mir schnell klar wurde, dass ich keine Matura brauche.

Waren Ihre Eltern derselben Meinung?

Es hieß nur immer: "Keine Wickeln haben, einfach nur durchkommen." Aber das ist sich beides nicht ausgegangen.

Trotzdem ist was aus Ihnen geworden.

Daran habe ich lustigerweise nie gezweifelt. Ich weiß heute nur nicht mehr, wie ich mir das damals vorgestellt habe. Ich wollte Lernprozesse immer umgehen. Da hat sich aber schnell gezeigt, dass das immer Umwege bedeutet hat. Deswegen bin ich auf vieles spät draufgekommen.

Zum Beispiel, dass Sie Schauspieler werden wollten?

Die Klarheit kam zu einer Zeit, als ich mit meinen Eltern (Anm.: das Schauspielerehepaar Ingrid Burkhard und Hannes Siegl) und dem Gesetz gerade nicht im Guten war. Ich wollte eine Weile nach Indien, habe aber am Flughafen eine Freundin getroffen, die meinte, ich solle sie nach Jerusalem begleiten. Da ihr Vater damals der Kapitän der Maschine war, wurde mein Flugticket einfach umgeschrieben. Und schon saß ich im Flieger nach Tel Aviv, wo ein Reclam-Heft von König Lear herumgelegen ist. Das kann ich alles, vom Textabhören meiner Eltern. Ab dem Zeitpunkt wusste ich, dass ich Schauspieler werden will.

So wie Ihre Eltern.

Genau und das bringt mich jetzt wieder auf die Dualität. Spannungsfelder waren immer etwas Natürliches für mich. Es fing damit an, dass mein Vater aus einer sehr bildungsfernen Schicht kam. Sein Vater konnte kaum einen Satz fehlerfrei schreiben. Dafür kam meine Mutter aus einem Akademikerhaushalt. Das war unterschwellig sicher spürbar, auch wenn das vor uns Kindern nicht thematisiert wurde.

Haben Sie sich bei all den Spannungen nie zerrissen gefühlt?

Stets, aber das bessert sich. Deshalb glaube ich ja, dass es mir noch nie so gut gegangen ist wie jetzt. Ich kann mich annehmen, wie ich bin. Mich kann nichts mehr überraschen, obwohl ich beständiger bin als früher, als ich bei der ersten Schwierigkeit geflüchtet bin. Jetzt bin ich zwar auch kein Durchbeißer, aber ich weiß, dass man was aussitzen kann. Sehr Österreichisch heißt das: "Wird schon werden." Das stimmt auch meistens. Aber glücklich war ich als Kind nicht immer.

Welches Kind ist das schon.

Man hat immer das Gefühl, die anderen sind es. Aber es stimmt nicht. 60 habe ich werden müssen, dass ich das verstehe.

Was verstehen Sie jetzt noch?

Ich muss gestehen, dass der liebevolle oder zumindest respektvolle Umgang mit anderen Menschen sehr spät ein Thema für mich geworden ist. Ich hatte schon das Gefühl, die Welt dreht sich nur um mich. Ich musste auch lernen, dass es nicht stimmt, dass man sich selbst am besten kennt.

Sondern?

Auch die Wirkung, die man auf andere hat, ist Teil der Persönlichkeit. Wenn mich jemand 20 Jahre kennt, hat er Ahnung von mir. Und wenn der meint, "Du bist zu ungeduldig", muss man daran arbeiten. Darauf habe ich spät mein Augenmerk gelegt. Aber es wird.

Haben Sie eigentlich je damit gehadert, dass man im Alter als Mann oft Haare lassen muss?

Das ist mir völlig egal. Mein Lieblingsonkel, der das leicht sein konnte, weil er mein einziger war, hatte auch eine Glatze. Und dem bin ich nicht unähnlich. Im Alter ist alles leichter, bis auf ein paar körperliche Gegebenheiten. Getrübt wird alles nur, wie schon erwähnt, durch den Umstand, dass es bald aus ist.

Das stimmt doch nicht. Menschen werden heute schon 100 Jahre alt.

Ich bestimmt nicht. Alleine schon wegen dem Rauchen.

Schauen Sie sich Helmut Schmidt an. Der raucht auch und lebt mit 95 noch.

Der hat in seinem Leben sicher ein Zwanzigstel von dem getrunken, was ich getrunken habe und hat auch zu Substanzen, die ich mir mit dem Schöpflöffel eingeflößt habe, sicher nicht hingegriffen. Außerdem gehört er der Kriegsgeneration an, die nicht dauernd Fleisch gefuttert hat.

Da mag was Wahres dran sein.

Ich sehe das an meiner Mutter. Die raucht mit 83 mehr als ich und ist trotzdem fit. Ich war doch ein Wohlstandskind.

Ich glaube trotzdem, dass Sie noch lange leben werden.

Sie machen mir Mut. Vielleicht werde ich doch noch 100. Na ja, mehr als die Hälfte ist trotzdem vorbei.

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