Wie Donner, wie Blitz

Auch der Orgasmus wurde irgendwann „Opfer“ des Leistungsprinzips, Motto: Wer hat, der hat – idealerweise die vaginale Variante. Gut, dass immer mehr Sexualforscher mit diesem Mythos aufräumen und sagen: Orgasmus ist Orgasmus – jenseits von G-Punkt-Mythen und Vaginal-Visionen. Höchste Zeit, sich fallen zu lassen.

Ein bisserl wie Gänseblümchen-Zupfen kommt mir das vor: Sie hat ihn. Sie hat ihn nicht. Sie hat ihn. Sie hat ihn nicht. Den so genannten, heiß ersehnten, viel diskutierten, mythenumrankten vaginalen Orgasmus nämlich. Der gilt quasi als das Atlantis der weiblichen Beckenlandschaft – in allerlei fantastischen Farben erträumt, aber nie so wirklich erreicht. Für den knallen sich die Damen auf Yogamatten und turnen ihr Beckenboden-Workout rauf und runter. Wo’s doch heißt: Wer untenrum und innendrin schwächelt, sei „orgasmisch nicht leistungsfähig“. Also hopp, ab zum Muschi-Bootcamp. Prinzipiell eine nette (und durchaus sinnvolle) Sache, aber was das Leistungsprinzip in dieser Causa zu suchen hat, ist und bleibt mir ein Rätsel. Denn durch diese unsinnige Hochstilisierung des „vaginalen O.“ zum Nonplusultra des Kommens, überwachen manche Frau irritiert ihr Empfinden, um festzustellen: Hallo? Da is nix. Äh nein: eh was. Aber nix, was sein sollte. Willkommen in der Problemzone! Was im Woody-Allen-Film „Manhattan“ in Szene gesetzt wurde – wo sie sagt: „Schließlich hatte ich endlich einen Orgasmus, doch mein Arzt sagte mir, es sei der falsche gewesen.“ Ähnliches gilt übrigens für den G-Punkt: Was da schon verzweifelt herumgefudelt wurde, um das Gamsjoch des weiblichen Genitals zu entdecken – unfassbar. Da bringt eine neue Studie – sie wurde im Fachjournal „Clinical Anatomy“ veröffentlicht – ein wenig Leichtigkeit. Darin schreiben die Sexforscher Vincenzo und Guilia Puppo, dass Begriffe wie G-Punkt oder Vaginal/Klitoral-Orgasmus untauglich wären, das Phänomen Höhepunkt zu beschreiben. Aus ihrer Sicht gäbe es einfach nur den „weiblichen Orgasmus“. Und der entstehe durch die Stimulation der Klitoris und des erektilen Gewebes um sie herum. Was dazu perfekt passt, ist eine weitere aktuelle Sexologen-Erkenntnis, unlängst zu lesen im „Journal of Sexual Medicine“. Die belegte, dass Frauen, die während des Sex nicht zum Höhepunkt kommen können, eine zu kleine Klitoris haben. Nicht nur: Ein Problem sei auch, dass sie dann zu weit von der Scheidenöffnung entfernt läge, sodass der Wunderpunkt beim klassischen Geschlechtsverkehr nicht (mit)stimuliert werden kann. Was zeigt: Die Klitoris ist der Haupt-Act. Denn längst ist klar, dass das, was von ihr zu sehen ist, nur die Spitze des Heiß-Bergs ist. Ihre Ausläufer reichen weit ins Becken. Allen G-Punkt-Fahndern und Vaginalorgasmus-Jüngern sei Folgendes ans Herz gelegt: Hört auf, dem „Orgasmus-Optimum“ nachzuhecheln. Habt einfach einen – gebt euch hin, lasst was zu, probiert herum – und wenn mal nix ist, dann ist halt: nix! Ja, Orgasmen fühlen sich unterschiedlich an – wie Kitzel, wie ein breiter, langer Fluss, wie Vulkanausbruch, wie Lächeln, wie Licht, wie Donner, Wetter und Blitz. Das alles aber jenseits irgendeiner Kategorisierung von schlecht und gut, weil der Orgasmus als Gesamtkunstwerk zu verstehen ist – bei dem keineswegs zählt, wie viele „Crunches“ mit der Vaginalmuskulatur zu schaffen sind. Orgasmusfähigkeit ist mehr – unter anderem auch eine Kopfsache. Und die damit verbundene Fähigkeit, sich gehen zu lassen. Je besser dieser Kontrollverlust gelingt, desto höher die Chance auf WOW!

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