Eine kleine Nachtmusik

Sommer wird’s bald – und damit verbunden öffnen sich nicht nur die Herzen der Menschen, sondern auch deren Fenster. Das kann Folgen haben – etwa, wenn die Lust so laut wird, dass die Nachbarn zu Zeugen eines kleinen, aber anscheinend recht feinen Exzesses werden. Gut oder schlecht? Es kommt darauf an, was man daraus macht.

Es war einer dieser ersten lauen Abende, noch nicht so heiß, aber auch nicht mehr zu kalt, um draußen zu sitzen. Da hockten sie also, drei Paare, in leichte Decken gehüllt, im Garten von Freunden.
Das Kerzenlicht flackerte, der Weißwein schimmerte im Glas, die Sterne funkelten, es duftete nach viel Flieder und ein bisschen Freiheit. Man sprach leise, um die Nachbarn nicht zu stören. Und dann plötzlich dieses in die Nacht hineingeraunte Ahhhhhh. Sekunden später gefolgt von einem hinreißenden Ja! Das alles scheinbar aus einem Raum im Haus gegenüber, dessen einziges Fenster gekippt war. Und wieder: Ah, Oh, Ja, Hm, gut. Erst leise, dann sich steigernd, schließlich wieder schwächer. Ein glasklarer Fall von Vögeln, ungezügelt und gedankenlos.
In der Runde verstummte der angeregte Plausch über die nächsten Urlaubspläne – to FKK or not to FKK? Es war G, die Frau mit der selektiven Wahrnehmung, die die Bums-Geräusche als Erste wahrnahm und plötzlich sagte: „Pscht, seids ruhig, hört ihr das auch?“ Ihr Mann, der M, meinte nur lakonisch: „Hörst schon wieder die Nachtigall zwitschern?“ Um dann doch innezuhalten. Sogar die K, an sich eine sehr rasante Rednerin, hielt freiwillig den Mund. Keiner rührte sich mehr, sogar der Hund wurde nach innen geschubst, auf dass niemand mehr die pikante Szenerie störe.
Schließlich saß die ganze Gruppe angespannt da, um zwei Fremden beim Koitieren zuzuhören. Ich kann das deshalb so gut erzählen, weil ich dabei war – ich bin nämlich die Frau mit der (berufsbedingt) selektiven Wahrnehmung. Ich war auch diejenige, die sich auf den Gartensessel stellte, um besser zu lokalisieren, woher die Geräusche genau kamen. Die K tat es mir rasch nach, bald standen alle auf ihrem Sessel. Die Fantasie schwurbelte heftig. Doch alles, was wir sahen war dieses Fenster. Und hinter dem Fenster gedämpftes Licht. Die Runde fing an zu fachsimpeln: „Des muss ein kleines Zimmer sein“, „Die sind sicher noch jung“, „Warum hört man ihn nicht, nur sie?“, „Die merken sicher nicht, dass sie die ganze Gasse unterhalten“ bis hin zu: „Vielleicht ist sie ja alleine und spielt gerade ein bisserl.“ Dann wurden wir nachdenklich, im Hintergrund stets lustvolles Raunen und Stöhnen. Wir versuchten uns zu erinnern, ob uns das auch schon einmal passiert ist. Damals, als wir vor dem Bumsen nicht versuchten, alles hermetisch abzuriegeln. Weil wir die Kinder, die Nachbarn und die Dickmaulrüsselkäfer keinesfalls stören wollten. Damals also, als wir noch jung und scheißdrauf waren. Spontan. Irgendwann kam ein erstaunter Einwurf von K: „Puh, der Typ hot oba a Ausdauer!“ Und dann entstand bei allen ein ganz eigenes Glitzern in den Augen, die Nacht wurde recht spannend. Jeder erzählte irgendwelche Anekdoten – vom ersten Sex im Auto, mitten auf einem Parkplatz in Wien, von spontanen Nummern im Wald, von hörenswerten Hotelzimmererlebnissen. Von der Liebe am Hausmeisterstrand von Jesolo. Wir redeten und redeten, da hatten die beiden da drüben längst aufgehört, miteinander zu spielen. Was sie wohl niemals erfahren werden: Dass bei den Langweilern da unten im Garten gerade die lange Nacht der Erotik begonnen hatte. Theoretisch zumindest.

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