Sesam öffne dich

Sesam öffne dich
Neun von zehn Museumsstücken werden nicht öffentlich gezeigt, sondern warten in riesigen Lagern auf ihre Entdeckung. Ein Blick in diese Depots ist wie ein Besuch in Ali Babas Höhle. Und ohne Zauberwort ebenso unmöglich.

Geheimnisvolle Gewölbe und unbeleuchtete Gänge, von denen nur die wenigsten Menschen wissen. Riesige, dunkle Räume, die mit ihren Schätzen aus aller Welt, zusammengetragen im Lauf von Jahrhunderten, an Ali Babas magische Höhle erinnern. Ein Hauch von Indiana-Jones-Feeling, praktisch direkt unter unseren Füßen, während wir durch perfekt ausgeleuchtete Museen schlendern. Verborgen, wie die meisten echten Abenteuer ... So oder so ähnlich stellt man sich Museumsdepots vor. Zumindest, wenn man genügend Abenteuerfilme über Schätze der Tempelritter, obskure Weltverschwörungen, wagemutige Kunsthistorikerinnen und furchtlose Archäologen gesehen hat. Und, richtig? Nein. Total daneben? Auch nicht. „Depots sind Lust und Last zugleich“, sagt die Museologin Martina Griesser-Stermscheg, Sammlungsleiterin am Technischen Museum Wien. Und Herausgeberin eines eben erschienenen Buches, das einzigartige, vor allem aber kaum wiederholbare Einblicke in mehr als 30 österreichische Museumsdepots zeigt: „Museumsdepots – Inside The Museum Storage“. Die darin abgebildeten Fotografien Stefan Olahs faszinieren durch ihre beinahe surreale Atmosphäre. Römische Kaiser, die lässig in einem alten Kellergewölbe beisammensitzen, wie zum Kartenspielen oder um die Fußballergebnisse der letzten Bundesligarunde zu diskutieren. Ein prachtvoll geharnischter Ritter, der nachdenklich aus dem Fenster auf die Stadt blickt. Unbemerkt von den kleinen, vergänglichen Menschen weit unter ihm, unberührt vom hektischen Betrieb auf den Straßen. Wie ein ornamentales Kunstwerk wirken die bis zur Decke nebeneinander aufgehängten, längst aus der Mode gekommenen Farbrollen – wie eine zeitgeistige Installation, die auf Paletten verschnürten historischen Bauteile im Krankenzimmer einer aufgelassenen Lungenklinik.

Ein Zauber, der allen Objekten innewohnt, den sie sich teilen, egal ob sie künstlerisch wertvoll oder alltäglich, nützlich oder tödlich sind: Sie wirken, als würden sie hier bloß warten. Gelassen, ruhig, im Bewusstsein, dass sie schon mehr erlebt haben, als ein Menschenleben ausmacht – und dass da noch viel mehr kommen wird. Etwa 90 Prozent der Bestände unserer Museen lagern derzeit in Depots. Manche, die wenigsten, kommen bei Sonderausstellungen ans Licht der Öffentlichkeit oder werden verliehen. Die meisten werden, zumindest in diesem Menschenalter, ihren Wohnort nicht verlassen. Dennoch sind sie wichtig, für die Forschung zum Beispiel. Oder können es zumindest einmal werden, denn in jedem Depot befinden sich sogenannte UDOs, Unidentifizierte Depot-Objekte, Dinge, von denen heute noch niemand genau weiß, was ihre Funktion war. Vergessene Dinge, die der Menschheit dennoch einmal wichtig waren. Die „Lust“ und die „Last“. Artefakte, Scherben und Fragmente, unzählige Objekte werden gezählt, kategorisiert, beschrieben, beschriftet, in Kisten verpackt, geschlichtet, in Regalen sortiert, an die Wand gehängt oder in ein passendes, freies Eck gestellt.

Die Menschen, die in den Depots arbeiten, Museologen, Restauratoren, Registrare, Techniker, kämpfen einen lebenslangen Kampf gegen das Verschwinden. Im Bewusstsein, dass kaum jemand von außerhalb dieses Zirkels der Eingeweihten jemals mitbekommen wird, was sie tun. Dass das, was sie tun, wichtig und wertvoll ist. „Brauchma den ganzen Krempel denn überhaupt? Des kost' doch nur“, sagen polemisch einige von denen, die doch schon mal davon gehört haben. Ja. Brauchen wir. Die Depots sind unser kollektives Gedächtnis. Aber warum sind Depots dann tabu? Beziehungsweise: Sind sie das überhaupt? „Prinzipiell ja“, sagt Bernhard Hebert, Leiter der Abteilung für Archäologie am Bundesdenkmalamt. „Außer für Kollegen und Studenten, die bestimmte Objekte für wissenschaftliche Arbeiten brauchen.“ Während viele Museen aus Sicherheitsgründen sogar den Standort ihrer Depots nur ungern verraten oder ihn zumindest nicht an die große Glocke hängen, bieten andere, wie das „Essl“ allerdings doch Einblicke in ihre Lager. Wenn auch nur aus der Distanz. Das Gips-Depot in der Wiener Hofburg, in dem die Vorlagen zu den Statuen der Wiener Ringstraße lagern, hat die Besuchsmöglichkeiten für Gruppen wieder eingeschränkt. „Es ist auch eine Frage der Empfindlichkeit der gelagerten Gegenstände. In vielen Fällen hätte zu naher Kontakt mit einer größeren Zahl von Besuchern verheerende Folgen“, erklärt Bernhard Hebert. „Trotzdem sollte die Frage einer teilweisen Öffnung diskutiert werden. Denn bei manchen Objekten blutet mir das Herz, wenn ich daran denke, dass sie niemand je zu sehen bekommt“, so Hebert. Findet sich also doch ein Weg, um mehr Menschen am verborgenen Erbe der Menschheit teilnehmen zu lassen? Bis dahin bleiben Stefan Olahs Bilder, die uns Einblick in eine Welt gewähren, die uns noch verschlossen ist. Und nicht mehr dieselbe sein wird, sollte sie tatsächlich ihre „Sesam“-Pforte öffnen ...

Die abgebildeten Objekte befinden sich in folgenden Depots: Wien Museum, Österreichisches Museum für Volkskunde, Landesmuseum Niederösterreich, Salzburger Freilichtmuseum, Museum Liaunig, Burghauptmannschaft Österreich (Hofburg), Kunsthistorisches Museum Wien (Antikensammlung), Krahuletz- Museum.

Ausstellung:

Museumsdepots“ von Stefan Olah, von 7.11.2014 bis 31.1. 2015 im Cabinett Lia Wolf, Sonnenfelsgasse 3, Wien 1 Eröffnung: 6.11., 18.30 Uhr. Ausgewählte Fotografien aus den Museumsdepots im Großformat.

www.olah.at

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