Schwerelos: Die neue Lust am Segelfliegen
Ein letztes Rumpeln, dann ist man frei. Die Schleppleine wird gelöst, flattert ein wenig im Wind, sinkt ab und wird schließlich eingeholt. Der Motorflieger, der beim Aufstieg mit seinem Propeller für die lustigen Bocksprünge des Segelflugzeugs gesorgt hat, dreht ab, das Fahrwerk wird eingezogen. Stille. Nur das leise Zischen des Windes, aber das stört hier kein bisschen.
Wir sind 1.200 Meter über der Erde. Vor uns liegt Wien, man sieht die Silhouette der Stadt, die sich schön langsam wirklich das Attribut „groß“ verdienen will. Die Landschaft unter uns sieht aus wie die perfekt gebaute Kulisse einer Modelleisenbahn. Muckendorf, Zeiselmauer, Königstetten – so weit weg und auch so schön, mit den sauber aufgereihten Häusern, Gärten, den hübschen Wegen, Scheunen und Feldern.
Alles Guuuute zum Geburtstag!
Noch immer kein störendes Geräusch, auch keine Turbulenzen mehr. Wir scheinen in der Luft zu stehen. Moment! Bewegen wir uns überhaupt? Oder stehen wir tatsächlich still und werden gleicht runterfallen wie ein Stein?! Pilot Horst grinst beruhigend und deutet auf den Tacho vor ihm. 130 km/h, wir sind praktisch eh so schnell, wie die Polizei erlaubt. Er kann auch langsamer, wie er mir demonstriert, indem er die Nase des Flugzeugs nach oben zieht.
Oder schneller, viel schneller, indem er magenkitzelnd stärker absinkt. Horst wird in zwei Tagen 80. Ich halte mich an den beiden Griffen links und rechts fest und hoffe, dass er diesen schönen Geburtstag auch wirklich feiern kann. Ich wünsch es ihm inbrünstig. Und mir auch. Horst fängt die „Schempp-Hirth Duo Discus“ elegant ab und mein Magen kehrt in einer ebenso runden Bewegung wieder dahin zurück, wo er hingehört.
Die „Duo Discus“ ist ein Hochleistungsflugzeug, 20 Meter Spannweite, Geschwindigkeit bis 275 km/h, sie wird auch von der United States Air Force Academy eingesetzt – wir sind echt sicher. Ganz echt! Horst lächelt. Ich auch. Es ist bei all meiner Flugangst doch unbeschreiblich schön. Wir fliegen eine beeindruckende Rechtskurve. Kann man sich als Mensch wie ein Adler fühlen? Ja, definitiv! Vor uns liegen beeindruckende Berge und Gebirgsketten. Ötscher, dann Göller, Gippel und Schneealpe, Rax und Schneeberg, dahinter schon die Riesen aus der zweiten Reihe ...
Ein Traum wird wahr
Ich beginne mich zu entspannen, kann gar nicht anders, bei diesem Ausblick. Nach einer weiteren Rechtskurve fliegen wir jetzt auf eine Sonne zu, die unter einer aufgerissenen, dunklen Wolkendecke ein goldenes Licht verströmt als würde sie sich für einen Fantasy-Film bewerben. Es ist einfach magisch. Man versteht, nein, spürt, dass genau DAS der älteste Traum der Menschen ist. Und dass er in Momenten wie diesem tatsächlich erfüllt wird.
Leider ist ein Ende unseres Abenteuers absehbar. Hangwind, Thermik und Welle, die stillen Motoren des Segelflugzeugs, sind heute nicht auf unserer Seite. Für eine gute Thermik sei jetzt ohnehin nicht die richtige Jahreszeit, erklärt mit Horst. Bei der sogenannten Thermik steigen nämlich Blasen warmer Luft vom Boden auf und tragen Segelflugzeuge ebenso wie die großen Greifvögel, die stundenlang ohne Flügelschlag in der Luft bleiben können, mit sich nach oben. Dazu kreist man, eben wie ein Adler, im Radius dieser Blase. Am ehesten passiert dieses Phänomen, wenn der Boden durch mehrtägigen Sonnenschein aufgewärmt ist, und dann kalte Luft in das Gebiet einfließt. Wir haben im November zwar kalte Luft genug, aber kaum aufgewärmten Boden.
Applaus!
Hangwinde, also diese gleichmäßigen, beständigen Winde, die von einer Hügelkette nach oben abgelenkt werden und im Segelsport schon für unglaubliche Flugdauer-Rekorde von über 50 Stunden gesorgt haben, gibt’s heute leider keine. Und die Welle, auf die alle Segelflieger am Flughafen Langenlebarn insgeheim gehofft hatten, lässt leider auch aus. Dabei haben wir ausgeprägten Föhn – „Da schau, die Linsenwolken!“ sagt Horst –, und der sollte uns locker hoch hinaustragen, ganz wurscht, über welchen mickrigen Hügel er auch pfeift. Tut er aber nicht.
Wir segeln also gemütlich zurück Richtung Erde, zuerst im Viereck, dann zeigt Horst, der Schlawiner, mir ein paar engere Kreise, und mittlerweile machen auch die mir richtig Spaß. Den Landeanflug legt er schulbuchmäßig im Viereck an. Butterweich setzt der beinahe 80-jährige ehemalige Juwelier unseren eleganten Vogel auf der Wiese auf. Ich klatsche zum ersten Mal seit meinem ersten Charterflug dem Piloten Beifall.
Unten warten einige weitere Mitglieder des Segelfliegerclubs Tulln. Andreas ist als einer der ersten bei uns, hilft mir aus dem Gurt und dem Fallschirm.
„Wie war’s? Gibt’s a Welle?“, fragt Karl, ein Matheprofessor aus Tulln, außerdem einer der erfahrensten Fluglehrer Österreichs. Er will unbedingt noch einmal hinauf. „Nix“, sagt Horst, „ein unglaublich schönes Licht - aber nix womit man steigen könnt ...“
Eva, eine Biologin und eine der – auch im Hobby-Bereich – noch immer überraschend wenigen Pilotinnen, würde es auch noch reizen, aber nach einem prüfenden Blick hinauf in die grandiose Wolkenstimmung, in der sich die Sonne immer rascher dem Horizont nähert, zuckt sie die Achseln. „Wird wohl nichts mehr heute. Nächstes Wochenende wieder.“ – „Pack ma z’sam?“, sagt Alfred, der Linien-Pilot, den alle Snoopy nennen.
Himmel und Erde genießen
Die Altersspannweite der knapp 50 Aktiven im Segelflieger-Verein reicht von 16 bis, ja, 80, es sind überraschend viele junge Menschen interessiert, vielleicht ja auch, weil man schon mit 16 einen Pilotenschein machen und die Freiheit zwischen Himmel und Erde genießen kann.
Alle helfen zusammen, die Vereinsflieger werden zurück zum Hangar geschoben, der „Tower“ ein alter Steyr Personenbus, der nur zwischen Startpiste und Hangar unterwegs ist, setzt sich tuckernd in Gang. Innerhalb kürzester Zeit werden die filigranen Konstrukte mit ihren so zerbrechlich wirkenden Höhen- und Seitenrudern in einer Halle auf dem Gelände verstaut.
Im Vereinsraum trifft man sich noch auf ein Bier und einen Plausch, auf einem rustikalen Ofen wird bei größeren Anlässen gekocht. Es ist sagenhaft gemütlich hier unten. Vor allem, wenn man zuvor die Welt von ganz oben gesehen hat.
Faszination Fliegen
Ikarus? Nicht wirklich, aber der Traum vom Fliegen existiert seit Menschengedenken. Tatsächlich gelang Otto Lilienthal 1895 sogar der erste echte Segelflug, da er den den Hangaufwind an seinem Übungshügel in Berlin nutzte, um Höhe zu gewinnen, nicht nur abwärts zu gleiten. Heute halten sich moderne Segelflieger bei stabilen Winden fast unbegrenzt in der Luft (Dauer-Rekorde wurden deshalb offiziell abgeschafft), und die Distanzen gehen gut über tausend Kilometer. Alpenüberquerung? Kein Problem.
In Österreich gibt es derzeit mehr als 100 Vereine, die meisten bieten Ausbildungen an, mit 16 kann man den Pilotenschein machen. Seit 1957 hat der Segelfliegerclub Tulln seine Basis auf dem Militärgelände Langenlebarn. Es gibt sieben vereinseigene Segelflieger, man muss sich also kein eigenes Fluggerät kaufen. Flugtage sind Freitagnachmittag, Samstag und Sonntag, das ganze Jahr.
www.sfctulln.at, sis.streckenflug.at
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