Tobias Moretti über Biss

Tobias Moretti über Biss
Höchst amüsant: Tobias Moretti, 55, gibt den Vampir. Nur eine Facette mehr im Leben des vielseitigen Schauspielers. Im freizeit-Interview erzählt er, warum es ihn gereizt hat, einen Untoten zu spielen, welches Verhältnis er zu Hollywood hat und warum ihn seine Familie daheim mit Herr Ökonomierat anreden muss.

Pressetermin in einem Hotel im ersten Wiener Gemeindebezirk: Tobias Moretti gibt den ganzen Tag Interviews, um seinen neuen Film „Der Vampir auf der Couch“ zu promoten. Jeder Journalist hat seinen Slot, die den letzten. Pech, denn am Ende des Tages ist irgendwo zwischen all den Gesprächen die Zeit liegen geblieben. Mehr als ein Schnappschuss geht sich für uns nicht aus. Fröhliches Geplauder? Fehlanzeige. Herr Moretti muss weg, um im siebenten Bezirk Schauspiel-Kollegin Birgit Minichmayr für einen 3-Sat-Dreh zu treffen. Und was ist mit mir? Herr Moretti sieht mich nachdenklich an: „Dann fahrn S’ halt mit und wir machen das Interview im Auto.“ Aber zehn Minuten sind eindeutig zu kurz. Ich gebe rasch w. o. und steige wieder aus. Im letzten Moment hat Herr Moretti aber die zündende Idee: „Dann kommen S’ einfach in einer Stunde nach und wir machen das Interview dann.“ Er hält Wort, alles ist gut.

freizeit: Herr Moretti, Sie sind derzeit so im Stress, dass wir das Interview beinahe im Auto hätten machen müssen. Sie schütteln ja die Filme nur so aus dem Ärmel ...

Tobias Moretti: Es mag so wirken, in Wahrheit kommen derzeit nur einige Filme gleichzeitig heraus. Das sind „Hirngespinste“, „Der Vampir auf der Couch“, „Das Zeugenhaus“, „Der Schrei des Adlers“ mit Jean Reno – und den „Luis Trenker“ haben wir auch gedreht. Dass „Das finstere Tal“ als Österreichs Kandidat für den Auslands-Oscar 2015 noch einmal verspätet ins Gespräch gekommen ist, kommt halt auch noch dazu.

Sie müssen ein gutes Zeitmanagement haben, um das alles unterzubringen.

Man muss sehen, dass da nicht nur Hauptrollen dabei waren. Für „Das Zeugenhaus“, wo ich Gestapo-Gründer Rudolf Diels gespielt habe, hatte ich neun Drehtage, beim Adler-Film mit Jean Reno waren es zehn. Es geht sich dann doch irgendwie alles aus.

Kommen Sie bei so vielen Rollen nicht manchmal durcheinander?

Die Rollen sind es nicht. Es ist viel mehr die Gleichzeitigkeit der Filmveröffentlichungen in dieser geballten Form, die verwirrt. Das habe ich so auch noch nie erlebt. Als ich kürzlich im „Ö3“-Wecker zu Gast war, dachte ich, es geht um „Alles Fleisch ist Gras“, ein anderes Projekt. Aber der Moderator meinte: „Moment, wir sprechen über den Vampir-Film...“ Ich sagte: „Ach so, dann habe ich über den falschen Film geredet. So ein Blödsinn.“

In „Vampir auf der Couch“ spielen Sie einen Vampir, der seiner Frau nach 500 Jahren Ehe überdrüssig ist. Denkt man sich bei so einem Film-Angebot: „Hurra, einen Untoten wollte ich immer spielen?

Hurra schreie ich eigentlich nie. Am Anfang schon gar nicht. Ich bin eher misstrauisch und freue mich, wenn ich in der allmählichen Verfertigung der Materie immer mehr Vertrauen bekomme. Ein Film hängt auch von vielen Komponenten ab, zu denen ich als Schauspieler nichts beitragen kann. Deshalb wird ein Film manchmal anders als man selber es glaubt. Bei Regisseur David Ruehm hatte ich aber bald Vertrauen, weil ich gemerkt habe, dass er gut hinschaut.

Vampir-Filme gibt es wie Sand am Meer. Was hat Sie an dieser Version gereizt?

Ich bin sofort auf die skurrile Geschichte angesprungen. Ein des ewigen Lebens und seiner Frau überdrüssiger Vampir sucht Sigmund Freud auf und gesteht: „Ich habe keinen Biss mehr.“ Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass er ohne sichtbares Ende impotent vor sich „hinaltert“. Von seiner Vampir-Alten, die er vor 500 Jahren gebissen hat, wird er auch getriezt. Das Dilemma ist nachvollziehbar. Das sind herrliche Parallelen, da die übermenschlichen Vampire menschliche Schwächen haben.

Hatten Sie auch schon einmal das Gefühl, keinen Biss zu haben – beruflich gesehen?

Unser Graf Geza von Közsnöm hatte ja wie gesagt ein anders gelagertes Problem. Aber wenn Sie mich so fragen, glaube ich, dass die Stagnation eine Urangst ist, die jeder in sich trägt. Ich war bisher nie gezwungen, darüber nachzudenken. Aber für mich ist klar, dass man auf sich alleine gestellt ist, wenn man einen Stillstand hat.

Bei Ihnen ist eher das Gegenteil der Fall. Sie haben bisher in mehr als 60 Filmen mitgespielt. Zählen Sie selbst noch mit?

Da habe ich ehrlich gesagt den Überblick verloren. Das mache ich dann, wenn ich in der Pension bin, sollte es jemals dazu kommen. Die wichtigen Arbeiten vergisst man eh nie.

Woher nehmen Sie all die Energie für so viele Projekte her?

Ich weiß es nicht. Manchmal bin ich auch müde. Es ist ein Glück unseres Berufes, dass man in die nächste Arbeit reingeworfen wird. Man hat Druck – Überlebensdruck, Erfüllungsdruck, künstlerischen Druck – man muss einfach machen. Wir Schauspieler sind zum Glück eingebettet in einen Zusammenhang. Bei Künstlern im Allgemeinen gibt es eine Identitätsverschmelzung ja nicht nur mit dem künstlerischen Dasein, sondern automatisch auch mit sich selbst. Das ist immer rückkoppelnd. Wenn der Künstler eine Krise hat, hat der Mensch sie auch. Und wenn es dem Künstler gut geht, ist es andersrum auch so. Ein ewiges Auf und Ab. Deswegen definiert man sich eigentlich über seine Arbeit. Der Mensch muss arbeiten. Daraus ergeben sich immer wieder neue Perspektiven.

Stimmt es, dass Sie einmal mit dem Rad von Tirol nach Monaco gefahren sind, um sich nach dem Film „Speer und Er“, in dem Sie Adolf Hitler gespielt haben, freizustrampeln?

Ja, das stimmt. Normalerweise kann ich Rollen ziemlich gut abschütteln. Wenn ein Drehtag vorbei ist, ist es die Rolle auch. Aber in diesem Fall ging das nicht. Die Vorbereitung fing im Herbst an, gedreht haben wir dann im Jänner und es ging bis Mai. Das war eine dementsprechend lange Zeit – mit so einer Figur.

Sie hätten Hitler auch im Film „Operation Walküre“ mit Tom Cruise spielen sollen, haben aber abgelehnt. Hätte Sie ein Schritt in Richtung Hollywood nicht gereizt?

Ich hatte schon für ein anderes Projekt zugesagt, das mich mehr interessiert hat. Das ist eine tolle Arbeit mit Christoph Waltz geworden. Wie heißt der Film gleich noch? Der Arbeitstitel ist ja meist ein anderer. Ich habe einen Wikipedia-Ausdruck ... Das war 2007. Hier ist es. „Das jüngste Gericht“ – ein toller Film. Oje, wie viele Filme das sind, aber manche haben einen derart blöden Titel: „Geliebter Johann“, wie das klingt. Oder „Gefährliche Nähe und du ahnst nichts“. Wer soll sich das bitte anschauen? Mit so etwas haben wir zu kämpfen. Das sind die wahren Schmerzmomente beim Film. Dabei war das ein lässiger Film, der 2002 zur Zeit der Anthrax-Anschläge mit den Briefkuverts herausgekommen ist. Der Film behandelt ein ähnliches Thema.

Schmerzt es Sie nicht mehr, dass die Drehzeiten beim Film immer kürzer werden, oder ist das ein falscher Eindruck?

Das Problem ist eher, dass eine Filmfirma überleben muss. Aber die Fernsehanstalten und die Kinobetreiber drücken die Produzenten derart, dass es fast nichts mehr zu verdienen gibt. Ist das doch der Fall, kommt wie in Deutschland der Staat und will die Subventionen zurück. Das ist ein falscher Umkehrschluss. Die Produzenten stehen so unter Druck, dass es sehr schwierig ist, die aufrichtige Ambition, die viele diesem Beruf gegenüber haben, durchzuziehen.

Können Sie als Schauspieler eingreifen?

Beim Luis-Trenker-Film ist es so, dass wir zwei Tage nachdrehen müssen – eine finanzielle Herausforderung für die Produzenten. Ich versuche das meine zu tun und ein loyaler Arbeitnehmer zu sein. Ich bin zwar teuer, aber am Schluss doch billiger.

Haben Sie eigentlich schon ausgesorgt?

Nein, gar nicht. Wenn ich den Status, den ich hier in Europa habe, in Amerika hätte, dann vielleicht. Das sind andere Dimensionen. Ich würde sagen, vielleicht verdiene ich wie ein besserer Zahnarzt. Auf keinen Fall aber so viel, wie die meisten Menschen sich das vorstellen.

Hollywood reizt Sie also doch?

Man weiß nie, ob das funktioniert oder nicht. Es ist auch nicht meine Ambition, obwohl es erfreulich wäre, wenn es sich ergäbe. Vor allem in Hinblick auf Koproduktionen, die sich hinkünftig immer mehr mit Amerika ergeben können.

Sie sind 55 und gefragter denn je. Leiden Sie manchmal mit den Kolleginnen mit, die es in diesem Alter in der Branche schwerer haben?

Wir Männer haben es leichter. Die meisten Frauen haben mit 35 einen anderen Druck, obwohl ich das persönlich nicht nachvollziehen kann. Die meisten Weiberleut' machen sich zu viele Gedanken über das Alter.

Sie schauen so skeptisch?

Ihr werdet mit den Jahren doch auch immer besser, in jeder Hinsicht – wie wir auch, zumindest in unserer Branche. Frauen vertrauen sich da zu wenig. Man darf sich nicht verwirren lassen. Ich kenne kaum Männer, die sich von einer auf jung getrimmten Frau angezogen fühlen. Frauen behaupten das zwar oft, aber es stimmt nicht.

Eine Alterserscheinung gab es bei Ihnen kürzlich aber auch. Ihnen wurde der Titel Ökonomierat verliehen, den man erst ab 50 verliehen bekommt. Sind Sie stolz?

Ich erhebe mich jeden Morgen vor mir selber und gratuliere mir. Das sind höchste Staatsehren. Es gibt verschiedene Räte. Geheimräte, Kommerzialräte, Medizinalräte, Hofräte. Aber der Ökonomierat ist schon die Krönung. Schade, dass damit keine Staats-Latifundien verbunden sind.

Sie sind also stolz?

Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich täglich vor mir erhebe. Ich zwinge auch meine Familie, mich mit dem Titel anzureden. Auch in den intimsten Momenten ist das Äußerste des lockeren Umgangs, dass man statt Ökonomierat Rat zu mir sagt.

Was hat ein Ökonomierat geleistet?

Etwas für den Status der Zunft gemacht.

Sie sind ja Bio-Bauer ...

Darüber habe ich jetzt wirklich schon oft geredet. Nächstes Thema.

Wann haben Sie eigentlich beschlossen, Schauspieler zu werden?

Vielleicht beschließt man das gar nicht, sondern ist es einfach. Mann kann das schon bei den Kindern beobachten. Wenn ich mir unsere Jüngste, die Dreijährige, die Rosa anschaue, dann weiß ich eigentlich, wie schnell Dichtung und Wahrheit miteinander verschwimmen. Vielleicht liegt’s auch daran, dass das Rollenspiel wahnsinnig reizvoll ist. Später war’s dann doch so, dass ich das beschlossen habe, und zwar, als mir bewusst wurde, dass die Musik nicht meine Ausdrucksform ist. Aus.

Warum haben Sie einst überhaupt begonnen, Komposition zu studieren?

Ich habe es aus einer Naivität heraus studiert. Die Musik hat immer mein Leben bestimmt, aber die Leidenschaft sollte man nie mit dem Beruf verwechseln. Es war interessant, aber es hat sich gezeigt, dass ich da perspektivenlos bin. Es ist mehr ein mathematischer Vorgang als der Urzugang zur Musik an sich. Mein Urzugang ist ein dramatischer. Orchesterleitung wäre für mich sicher richtiger gewesen als Komposition.

Sie waren auch schon als Opernregisseur erfolgreich. Wäre Komponist in diesem Leben noch ein Ziel für Sie?

Im Moment gar nicht. Ich bin so ausgefüllt, dass ich keine Notwendigkeit sehe, über so etwas nachzudenken. Meine Ausdrucksform ist das, was ich tue.

Tobias Moretti, 55, wurde 1959 in Gries am Brenner geboren und hat vier Brüder. Nach der Matura begann er ein Kompositionsstudium in Wien, wechselte aber bald an eine Schauspielschule nach München. Einem breiteren Publikum wurde er durch seine Rolle als Joe im TV-Hit „Piefke-Saga“ bekannt, in dem auch sein Bruder Gregor Bloéb mitwirkte. Der Durchbruch gelang ihm aber mit der Serie „Kommissar Rex“.

Im freizeit-Interview befragt, warum er über diese Rolle nicht mehr so gerne spricht, meint Moretti nur: „Man kann mich auf alles anreden. Nur muss ich jetzt wirklich weg ...“ Der Tiroler hat in über 60 Filmen gespielt. Derzeit promotet er den Streifen „Der Vampir auf der Couch“, in dem er, no na, den Vampir spielt. Der Tausendsassa hat sich auch als Theaterschauspieler, Bio-Bauer und Motocross-Fahrer profiliert. Er ist mit der Oboistin Julia, 43, verheiratet und Vater von drei Kindern.

„Der Vampir auf der Couch“ läuft ab 19.12. im Kino. www.moretti.at

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