Schauspieler Dietrich Siegl: "Existenzängste sind mir nicht fremd"
Beim Interview mit Schauspieler Dietrich Siegl vor wenigen Wochen war Corona in unseren Köpfen noch ein Bier, wir gaben uns zur Begrüßung die Hand und dachten nicht über Sicherheitsabstände nach. Wir redeten über Banales, machten Späße und fühlten uns gut dabei. Nur einen Spaß verstand Siegl nicht: „Ich mach sicher kein Foto mit eurem Lindenstraße-Schild. Was hab ich denn damit noch zu tun?“
Lesen Sie im Interview, was Dietrich Siegl gegen die Lindenstraße hat, sehen Sie sein unglaubliches Serien-Ende von 1985 und erfahren Sie, welche Auswirkungen der Corona-Virus auf die Schauspielzunft hat.
Unserer Meinung nach hat Siegl mit der "Lindenstraße" viel am Hut. Schließlich hat er in der Serie, die morgen nach 35 Jahren zum letzten Mal ausgestrahlt wird, zweieinhalb Jahre mitgespielt. Er soll sich an die Stunde Null erinnern. „Nicht gern“, wie er sagt, aber er tut es doch. Wir sprechen außerdem über Gott und die Welt, aber über eines reden wir zum damaligen Zeitpunkt nicht: den Coronavirus. Der ist „Made in China“ und somit deren Problem. Doch plötzlich ist alles anders. SMS an Dietrich Siegl: „Wir müssen über Corona sprechen. Zeit für ein Telefonat?“ Er hat.
Langsame Annäherung: Dietrich Siegl will das Lindenstraßen-Schild nicht halten
Zum Glück hat er hinten keine Augen
Und wird schlussendlich von Redakteurin Barbara Reiter überlistet
Herr Siegl, wie hat die Corona-Krise Ihr Leben bisher beeinflusst?
Ich hätte eine Episoden-Hauptrolle in „Schnell ermittelt“ gehabt, aber der Dreh wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber derzeit stehen ja alle. Es gibt niemanden mehr, den das Thema nicht irgendwie berührt.
Ist das für Sie ein finanzielles Problem?
Natürlich merkt man das wirtschaftlich. Ich muss schon zwei-, dreimal im Jahr Geld verdienen, sonst könnte ich meinen Lebensstandard mit der bissel Pension, die ich krieg, nicht ansatzweise halten. Aber das ist jammern auf hohem Niveau. Da trifft es andere, die Angestellte bezahlen müssen oder Kinder durchzufüttern haben, mehr.
Was wird diese Krise Ihrer Meinung nach mit uns machen?
Ich bin sicher nicht der einzige Mensch, der seit Jahren die Befürchtung hegt, dass irgendein Ereignis von außen für einschneidende Veränderungen sorgt, die Menschen alleine nicht schaffen. Wenn ich nun höre, dass in Europa die CO2-Werte schon viel besser sind, weil weniger Flugzeuge fliegen, stinkende chinesische Industriegebiete zum Luftkurort avancieren und man in Venedig die Fische wieder sieht, muss ich sagen: Es ist schon für was gut, wenn der Mensch aus seiner Tretmühle herausgerissen wird. Von den kranken Menschen brauchen wir nicht reden. Die haben wir alle in unseren Herzen.
Tun Ihnen Wirtschaftstreibende nicht leid?
Jetzt kommt jeder mit der Wirtschaft! Wenn sich die ganze Welt der Wirtschaft unterordnet, ist klar, dass es im Gebälk einmal kracht. Das gilt es zu überdenken. Die Wirtschaft sollte nicht der Gott der Menschen sein, sondern maximal ihr Götze. Ich hoffe, dass die Krise das System nivelliert. Nicht im Sinne des Kommunismus, sondern dass sich auch Shareholder in die Hose machen, nicht immer nur Ein-Personen-Unternehmen. Vielleicht verbindet das die Menschen.
Die Gier ist ein Hund.
Es mag ein frommer Wunsch sein, aber ich glaube, dass es die Nachwirkungen der Krise nicht zulassen werden, das Erlebte schnell zu vergessen.
Wie verbringen Sie derzeit Ihre Tage?
Da bin ich in einer privilegierten Lage, weil ich seit meinem Ausstieg bei „Soko Donau“ nicht mehr so in der Tretmühle bin. Das war ich aber eigentlich nie. Es gab nur einmal in meinem Leben eine Phase, in der ich mich gerne mit anderen Leuten zusammengerottet habe. Damals war ich jung und mein Hormonstatus ganz oben. Ich bin aber schon als Dreijähriger am Balkon gestanden und habe den anderen Kindern beim Spielen zugeschaut. Meine Mutter hat immer gefragt: „Dietzl, willst nicht runtergehen?“ Aber ich war ja nicht unglücklich, ich mochte das.
Als Schauspieler sind Sie Unsicherheit wahrscheinlich auch gewohnt, oder?
Stimmt, es ist nicht so, dass mir Existenzängste fremd sind. Mein Berufsleben dauert mittlerweile 45 Jahre und ich war zwei Drittel davon freischaffend. Es war immer schon ein bissel Normalität, dass ich nicht wusste, wovon ich in vier Monaten leben werde. Man kann sich den Planungswahn als Freischaffender nicht leisten. Man ist im Dschungel, auf der freien Wildbahn. Es ist aber klar, dass es nicht schön ist, wenn man kein Geld hat. Derzeit betrifft die Unsicherheit alle, was ein gewisser Trost ist. Schlimm ist es nur, wenn alles prosperiert und man als Einziger in der Grube sitzt.
Kennen Sie das Gefühl?
Vor langer Zeit hatte ich vier Jahre, wo ich dachte, das gibt’s nicht! Rundherum verdienen sich alle deppert, nur ich weiß nicht, wie ich meine Rechnungen zahlen soll. Dann muss es ja eine Erleichterung gewesen sein, als man Sie für die Lindenstraße engagiert hat.Die Existenzkrise kam zehn bis 15 Jahre nach der „Lindenstraße“. Und da habe ich dem Regisseur, Produzenten und Erfinder der Serie (Anm.: Hans W. Geißendörfer) nach dem ersten Drehtag gesagt, dass ich da rausmöchte. Ich hatte mir die Drehbedingungen anders vorgestellt.
Es ist immer dasselbe. Viele Schauspieler wollen mit einer Serie, die Ihnen Bekanntheit beschert, nix mehr zu tun haben.
Das mit dem Bekanntheitsgrad stimmt insofern nicht, als ich zehn Jahre gebraucht habe, um den Fluch der „Lindenstraße“ in der Branche loszuwerden. Ich habe deswegen lange keinen Fuß auf die Erde gekriegt. Es war kein Turbo, sondern eine Hemmschwelle. Ich habe kaum noch gedreht, nur noch Theater gespielt wegen der Existenz. Im Film ging’s erst wieder bergauf, als das aus den Köpfen der Menschen draußen war.
Wer sagt, dass das nicht nur ein Problem in Ihrem Kopf war?
Ich sag das, ich war ja dabei! Die Serie war einfach ein Riesenmissverständnis. Ich kann mich auch an keinen einzigen Drehtag erinnern. Aber ich habe heute auch kein Problem mehr mit diesem Zeitabschnitt.
Also ist es Ihnen auch wurscht, wenn morgen die letzte Folge läuft?
Ja, vollkommen! Wie lange läuft das jetzt? Ich müsste es am besten wissen, weil ich ja ab der ersten Folge dabei war.
Seit 1985, also 35 Jahre. Was hat Sie überhaupt 2,5 Jahre dort gehalten? Das Geld?
Ein Zweijahresvertrag, aus dem man mich nicht rausließ. Als der abgelaufen war, hat mich Produzent Geißendörfer gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, einen ausgedehnten Abschied zu drehen. Er hatte Argumente, die sich auf meinem Bankkonto niedergeschlagen haben. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt und über meinen Ausstieg nachgedacht. Es kam dann das Lindenstraßen-typische Ende auf mich zu. Zuerst blindgeschossen, dann totgefahren.
Sehen Sie das kultige Ende im Video!
Sie haben danach oft in Serien gespielt. Wo ist der Unterschied zur „Lindenstraße“?
Der Humor, der Drehort, die Kollegenschaft, die Bücher, alles eigentlich. Ich war einige Zeit auch bei „Um Himmels Willen“ oder „Die Verbrechen des Professor Capellari“ mit dem Friedl von Thun dabei. Im Gegensatz zur „Lindenstraße“ waren das keine Studioproduktionen. Wenn ich was nie wollte, dann das. Am Drehen mag ich, dass man neue Orte kennenlernt und nicht in ein „Büro“ geht.
Warum haben Sie eigentlich 2017 bei der „Soko Donau“ aufgehört?
Es war so, dass ich mir schon zwei Jahre vorher überlegt hatte, wie lange ich die Frage nach dem DNA-Abstrich noch stellen will. Das geht gut, solange man einen Schlenker findet, der einem das Gefühl vermittelt, noch etwas Neues zu kreieren. Aber das Reservoir war irgendwann erschöpft. Dann hätte ich auch 35 Jahre bei der „Lindenstraße“ bleiben können.
Können Sie sich an den Moment erinnern, wann „Soko Donau“ Geschichte für Sie war?
Nach zwei Jahren hin und her war das eine Sekundenentscheidung. Ich bekam die Rohschnitte der ersten Folgen von Staffel 13 zugeschickt. Als ich sie in den DVD-Player getan und mich selbst auftauchen gesehen habe, dachte ich: Okay, das geht nicht mehr. Es war eine Frage der Berufsehre und Würde.
Die Toten von Salzburg
Im 6. Teil der Krimireihe "Die Toten von Salzburg" ist Dietrich Siegl mit dabei. "Schwanengesang" wird noch 2020 ausgestrahlt
Soko Donau ade
Als Oberst Otto Dirnberger hörte Siegl 2018 bei der "Soko Donau" auf
Was ist seither passiert?
Ich habe einige Filme gedreht wie "Die toten von Salzburg" oder einen Zweiteiler in der Schweiz, wo ich einen Großteil meiner schulischen Laufbahn verbracht habe. Der erste Drehtag auf Schweizerdeutsch war eine Herausforderung. Das muss ich sagen.
Sehr gut, endlich jemand, der weiß, was Gottfried Stutz bedeutet.
Natürlich, Gopfried Schtutz! (Anm.: mildes Fluchwort) Wir könnten von mir aus das ganze Interview auf Schweizerdeutsch führen.
Ich kann nur Tirolerisch anbieten. Wollten Sie nicht auch mal ein Buch schreiben?
Es gibt 50 Seiten, aber wenn ich mir die durchschaue, kommt mir vor: Ich möchte das nicht lesen.
Was ist es denn?
Eigentlich Lebenserinnerungen, die aber nur als roter Faden für irgendwelche Gscheitweidlereien dienen. Aber ich genüge meinen Ansprüchen einfach nicht. Es läge viel näher, ein Drehbuch zu schreiben.
Zum Beispiel eines mit dem Titel: „Die Lindenstraße kehrt zurück“.
(lacht) Ja super, ganz toll, danke. Das muss ich mir aufschreiben.
Dietrich Siegl, 66, wurde 1954 in Wien geboren. Als Sohn der Schauspieler Hannes Siegl und Ingrid Burkhard, bekannt als Mundls Ehefrau aus „Ein echter Wiener geht nicht unter“, wuchs er in Bonn und Zürich auf. Erste Bühnenerfahrungen sammelte er in Graz und spielte von 1974 bis 1980 am Landestheater Linz. Ab Anfang der 1980er-Jahre war er Mitglied der Rockband „Tsiegen Foot Music“. Später spielte er auch Theater an der Freien Volksbühne Berlin und dem Wiener Burgtheater. Ab 1985 wurde er der breiten Öffentlichkeit durch die Serie „Lindenstraße“ bekannt. Im selben Jahr war er in seinem, wie er sagt, wichtigsten Film „Erdsegen“ unter Regie von Karin Brandauer zu sehen. Von 2005 bis 2018 spielte Siegl in „SOKO Donau“ Oberst Otto Dirnberger. Seit dem Ausstieg drehte er mehrere Filme in seiner Ex-Heimat Schweiz und wird in Teil sechs der Krimi-Reihe „Die Toten von Salzburg“ zu sehen sein. Siegl lebt in Wien und Niederösterreich und hat eine 28-jährige Tochter.
Dietrich Siegl im TV: Der Zweiteiler „Private Banking“ wird am 16. April ab 21:10 Uhr hintereinander auf ARTE gezeigt.
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