Sänger Tim Bendzko: "Streamen ist der Untergang für jeden Newcomer"
Einen Mann, der die Welt rettet, muss man kennenlernen. Vor allem, wenn er Tim Bendzko heißt, regelmäßiger Chartstürmer ist und mit seinem gleichnamigen Song „Nur noch kurz die Welt retten“ 2011 einen Mega-Hit landete. Etwas früher, genau vor zehn Jahren, wurde der blonde Berliner Lockenkopf bei einem Talentwettbewerb der „Söhne Mannheims“ entdeckt und ist seither aus der Musikszene nicht mehr wegzudenken. Allerdings: Sein neues Album „Filter“ lässt einen Imagewandel des 34-Jährigen vermuten. Weniger Faserschmeichler-Sound, mehr Uptempo-Nummern – und kein „Blonder-Engel-Look“ am Album-Cover. Schade irgendwie.
Tim, warum hast du auf dem Cover deines neuen Albums Farbe im Gesicht und Schleim auf der Schulter?
Das klingt erst mal so, als hätten wir uns da vertan, es ist aber Absicht. Das Album heißt „Filter“ und wir wollten unbedingt, dass Filter auch ’ne Rolle spielt. Ein Filter holt entweder das Beste aus ’ner Sache raus oder er übertüncht was. Bei uns sollte er für beides stehen. Unabhängig von der Musik wollte ich auch, dass das Bild wirkt wie Kunst, die auch ohne mich funktioniert und gleichzeitig ein bisschen verstörend ist. Ich glaube, das ist uns gelungen.
Ist da ein Wandel im Gange, der 2016 von Leuten wie Kabarettistin Caroline Kebekus und ihrer Kritik an deinem Song „Keine Maschine“ ausgelöst wurde?
Die hat mich ja nicht kritisiert, sondern humorvoll auf den Arm genommen.
Ihr Wortlaut war: „Was sind die Jungs alle am Rumheulen? Nur dünne, blonde, heulende Jungs in den Charts. „Ich bin keine Maschine“, so was will man nicht von ’nem Typen hören!“
Leider, leider hatte sie ja auch recht. Am Ende ist es so, dass man sich immer wieder neue Ziele setzen muss. Ich glaube nicht, dass ich jemand bin, der sich nach außen hin beklagt. Aber ich übertreib’s manchmal ein bisschen. Eigentlich wollte ich mit meinem Song ausdrücken, dass ich es selbst bin, der sich ständig unter Druck setzt, nicht die anderen.
Der Druck kam, als du 2011 gleich mit deinem ersten Song „Nur noch kurz die Welt retten“ einen Mega-Hit gelandet hast. Wie denkst du heute darüber?
Wie du sagst: Damit hat alles angefangen. Überall, wo ich hinkomme und Deutsch gesprochen wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr groß, auf Menschen zu treffen, die diesen Song kennen. Mehr kann man nicht erreichen. Ein unglaubliches Glück, was mir da passiert ist.
Und jeder verwendet heute die Phrase „Ich geh’ mal kurz die Welt retten ...“
Ich habe mich tatsächlich unlängst gefragt, ob das so ist, weil es diesen Song gab oder weil einem die Phrase durch den Song nur mehr auffällt.
Und? Was glaubst du?
Ich habe den Satz halt oft gehört, als ich noch jünger war. Wenn mein Stiefvater Computerspielen gegangen ist, hat er immer gesagt, dass er noch kurz die Welt retten geht. Ich glaub’ auch, der Satz ist in allen James-Bond-Filmen gefallen. Jetzt hat man eben die Verbindung dazu.
Weißt du, dass es auf jedem deiner vier Alben mindestens vier Lieder gibt, die mir gefallen?
Vier Lieder gleich! Wirklich? Danke!
Warum schreibst du eigentlich Songs?
Ich könnte wahrscheinlich auch Tagebuch schreiben, das hätte vielleicht denselben Effekt. Ich möchte Dinge ordnen, die mir bewusst auffallen, ich will wissen, was ich darüber denke. Es können auch unterschwellige Gefühle sein, die ich ewig mit mir rumtrage, ehe ich den Drang verspüre, dass sie rausmüssen. Das ist dann das klassische Von-der-Seele-Schreiben.
Dazu kommt das Tiefgründige, Hinterfragende, nicht wahr?
Ich bin in erster Linie eigentlich ein Bauchmensch, habe aber relativ schnell festgestellt, dass sich mit Nachdenken beeinflussen lässt, wie es einem so geht. Schon als Kind habe ich intensiv darüber nachgedacht, warum Dinge sind, wie sie sind.
Wolltest du deshalb Pfarrer werden?
Ich habe evangelische Theologie und nichtchristliche Religionen studiert, aber ich wollte nie Pfarrer werden. Bei mir kommt alles aus demselben Antrieb: Zu wissen, warum Dinge sind, wie sie sind. Warum glauben Menschen und was macht das mit ihnen? Wenn jemand von klein auf Anhänger einer Religion ist, geht er davon aus, dass diese eine Wahrheit die Wahrheit ist. Deshalb haben wir auf der Welt immer wieder dieselben Probleme.
Du kommst aus Berlin, wo Multikulti gelebt wird. Hast du dort etwas von diesen Problemen mitbekommen?
Meine Antwort ist ein klares Nein! Das Erstaunliche an der ganzen Sache ist eigentlich, dass ich mit Religion gar nichts am Hut habe. Meine Familie ist keiner Religion angehörig, ich bin als Kind auch nie in der Kirche gewesen und kannte das alles nur vom Hörensagen. Deshalb fand ich das Studium so spannend.
Erst kürzlich wurde 30 Jahre Mauerfall gefeiert. Du bist in Ostberlin geboren. Hast du Erinnerungen?
Die Wende war 1989 und ich bin 1985 geboren. Mit vier Jahren bekommt man von der DDR nicht viel mit. Was ich durch meine Eltern aber schon erfahren habe, ist, dass sie durch die Sozialisierung ein bisschen anders gedacht haben. Meine Generation hatte Glück, in einer Welt aufzuwachsen, in der freies Denken und Reisen selbstverständlich ist. Ich bin ganz froh, dass ich die DDR verpasst habe.
Stattdessen hast du dir selbst Beschränkung en auferlegt – Zucker zum Beispiel.
Das sind Gerüchte, ich esse alles!
Ein Geschenk für dich: Mozartkugeln!
Stark, vielen Dank! Lustigerweise fand ich Mozartkugeln als Kind ganz schlimm, mittlerweile finde ich sie echt lecker!
Angeblich bin du auch aus deiner Villa ausgezogen, Stichwort Minimalismus.
Wer das schreibt, hat sicher schon ’ne Klage von mir im Postkasten.
Was ist denn so schlimm daran?
Es geht niemanden etwas an, wo ich wohne und in besagter Zeitung wurden damals auch Fotos abgedruckt. Ich habe in ’nem Häuschen gewohnt, wo auch mein Studio drinnen war – bis mir von heute auf morgen der Gedanke kam, dass mir das alles zu viel ist. Ich mache zuhause gerne Dinge selbst, ähnlich wie beim Songsschreiben. Wenn ich in einen leeren Raum komme, habe ich ein Bild vor mir, was man damit machen kann. Irgendwann hatte ich dann aber das Gefühl, dass ein Haus eher Ballast ist, als dass es mir Freude macht.
Und jetzt lebst du angeblich in einer Mini-Wohnung.
Das habe ich auch gelesen. Das muss sehr amüsant für meine Nachbarn sein, weil die ungefähr ein Gefühl dafür haben, wie groß meine Wohnung ist. Ich wohne zwar in ’ner Mietwohnung, dass die jetzt aber so klein ist, kommt nicht von mir. Das zeigt wieder: Nicht alles, was irgendwo geschrieben steht, stimmt. Nicht mal, wenn Anführungszeichen davorstehen.
Worum ging es dir, wenn nicht um Minimalismus?
Man muss nicht aus minimalistischen Gründen auf 20 m² wohnen, wenn man auch auf 100 m² wohnen kann. Für mich war erst mal wichtig, alles zu reduzieren und nichts doppelt zu haben. Um leichter zu sein. Wenn man so ein Häuschen mit Garten hat, muss man sich ständig um Dinge kümmern und hat keine Lust, zu verreisen, weil man denkt: Ich kann ja auch den Garten nutzen. Ich hatte aber einen Reisedrang.
Tim, unsere 35 Minuten sind um. So schade oder um es mit einem deiner Texte zu sagen: „Mir fehlen die Worte, ich hab’ die Worte nicht ...“
Du spielst auf meinen Song „Wenn Worte meine Sprache wären“ an. Mit diesem Lied ist mir klar geworden, dass es mir vor allem im Privatleben oft nicht so leicht fällt, den Mund aufzumachen und dass die Musik ein sehr guter Weg für mich ist, zu kommunizieren.
Zum Glück! Alles Gute für dein Album. Mögen es viele kaufen oder besser gesagt streamen, wie man es heute macht.
Nein, nicht streamen, kaufen bitte! Wenn die Leute nur noch streamen, gibt es uns bald nicht mehr.
Ach, warum das?
Das ganze Geld vom Streamen kommt in einen Topf, der am Ende an denjenigen mit den meisten Streams ausgeschüttet wird. Wenn zum Beispiel von zehn Leuten neun Max Giesinger hören und nur einer Deutsch-Rap, dieser Eine aber viel Zeit hat und den ganzen Tag Deutsch-Rap hört, fließt das Geld von zehn Leuten an den Rapper und nicht an Max Giesinger – obwohl neun Giesinger gehört haben.
Ein finanzieller Überlebenskampf also?
Ich habe mir letztens die Streamingzahlen in Österreich angesehen. An diesem Tag hatte die Nummer eins der Streaming-Charts 35.000 Streams. Das ist nichts, das sind ein paar Cent, die derjenige damit einnimmt! Nicht zu vergleichen damit, wenn zehn Leute diesen Song gekauft hätten. In kleinen Märkten ist das der Untergang für jeden Newcomer.
Sonntag, 24.05.2020, 19:30 Uhr
Planet.tt Bank Austria Halle Gasometer
Guglgasse 8, 1110 Wien
Karten: www.oeticket.com
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