Seele einer Stadt
Mehr Klischee geht nicht. Großgewachsen, gebräunt, jung und anmutig wandelt sie den Strand entlang. Nicht eine, nein, viele, viele „Girls From Ipanema“ lassen sich bewundern. Kein Traum, sondern Alltag in der Stadt, die sich gar nicht verbiegen muss, um nur halbwegs ihrem Image zu entsprechen. Bikini, Bossa Nova & alle Meter vor sich hin dribbelnde Ballkünstler.
Rio de Janeiro ist so schon ein turbulentes Pflaster. Zur Fußball-Weltmeisterschaft geht es noch wesentlich heißer her. Allein fünf Spiele sowie – natürlich – das Finale finden im Herzen dieser Stadt statt, im legendären Maracanã-Stadion. Diesen Namen kennen selbst jene, die vom Kicken null Ahnung haben. Maracanã, das 1950 erbaute mit einem Fassungsvermögen von 200.000 Besuchern größte Fußballstadion der Welt.
Seit mehr als zwei Jahren wird Rio schon fit für die WM gemacht. Ein Riesenprogramm für eine Stadt, die für den flüchtigen Besucher nur aus drei Fixpunkten zu bestehen scheint: Strände im XL-Ausmaß, ein Berg, den sie Zuckerhut nennen – und Elendsviertel, die kein Ende finden.
Die Cariocas, die Bewohner von Rio de Janeiro, werden wohl auf den Rückbau ihres Tempels, der Maracanã-Arena, auf nur noch 70.000 Besucher am heftigsten reagieren. Das rührt an das Nervenzentrum einer ballverliebten Metropole mindestens so sehr wie die Preiserhöhung der Öffis, die in den vergangenen Monaten wiederholt zu heftigen Unruhen geführt hat. Sicher, eine Metropole, deren gar nicht so üppig ausgefallene Fläche von 1.100 Quadratkilometern sich mehr als sechs Millionen Einwohner teilen müssen, gleicht sowieso ständig einem Pulverfass. Man spürt das nicht nur im Karneval, wenn mehr Tote als sonst zu beklagen sind.
Auch für Paulo Coelho („Der Alchimist“), einen der meistgelesenen Autoren der Welt und neben Pelé prominentester Sohn der Stadt, ist Rio ein ungestümer Moloch: „Eine Stadt, wo die Männer und Frauen in allen Farben und mit allen möglichen Überzeugungen herumlaufen und sich nie darüber streiten würden – aber, wo sich die Menschen immer wegen völlig nichtiger Dinge umbringen, wegen der Frage, welches das beste Samba-Lied oder welche die beste Fußballmannschaft ist. Eine Stadt, wo die Lebensqualität darin liegt, dass alles schwierig ist, angespannt, brutal, lustig, verrückt, unerträglich und unvergesslich.“
Coelho verbringt den Großteil des Jahres in seinem Haus in Frankreich in der Nähe von Lourdes sowie auf Reisen. Wenn er aber seine Heimat besucht, dann wohnt er in Rio an der Avenida Atlântica mit freiem Blick auf den feinen Sand der Copacabana. Auf der Flucht vor den Nazis strandete vor 74 Jahren hier auch Stefan Zweig. Ein Exil, das ihm mehr als nur gefiel: „Hier sitzt man im Freien in Restaurants und Cafés. Es gibt keine Geschäfte, keine Lastwagen, denn dieser Strand will allein dem Luxus, dem Vergnügen, dem Sport, der Promenade, den Farben, der Körperlust und Augenlust gehören.“
Copacabana. Co-pa-ca-ba-na. Das ist Versprechen pur, das klingt nach schillernden Farben, wohliger Wärme und erotischem Rhythmus. Aber man braucht sich über diese Stadt im Schatten des Zuckerhuts keine Illusionen zu machen. Man muss sich abseits des kilometerlangen Wellenmusters im Pflaster beim Strand von Copacabana nur für ein paar Meter verlaufen, schon findet man sich im dichten und auch beängstigenden Gestrüpp der Favelas wieder. Dann erst wird einem richtig heiß.
„Rio soll wie München werden“, verkündete vor zwei Jahren die Stadtregierung angesichts der Fußball-WM hoffnungsvoll. Davon ist man noch weit entfernt, jetzt hat auch noch die Polizei gestreikt, aber die Basis für geordnet ablaufende Spiele ist gelegt. Ist auch gut so, denn die Brasilianer sind echt hungrig darauf, dass ihre Fußballnationalmannschaft, die Seleção, den wahrscheinlich prestigeträchtigsten Pokal einer Sportart wieder heimholt. Zwölf Jahre ist es her, dass der Titelgewinn in Rio gefeiert wurde. Damals wie heute mit Luiz Felipe Scolari als Trainer. Und der sicherte im Vorjahr Brasilien auch den FIFA-Konföderationen-Pokal. Warten wir es ab, Anpfiff ist in 26 Tagen, am 12. Juni, in São Paulo. Nur drei Tage später, am 15. Juni, findet das erste Match auf dem heiligen Rasen des Maracanã statt – Argentinien gegen Bosnien-Herzegowina. Das letzte Spiel ist am 13. Juli ebendort. Gut möglich, dass der Gastgeber als Favorit dabei ist.
HINKOMMEN
Flug Wien-Rio-Wien mit KLM oder Iberia ab ca. € 600,-
AUSSCHLAFEN
An den berühmtesten Stränden der Welt zu wohnen, geht natürlich ins Geld, für Schnäppchenjäger ist das nix.
Atlantis Copacabana Vier-Sterne-Haus mit Pool am Dach und allen Annehmlichkeiten; ab € 220 für die Nacht.
Best Western Augusto’s Rio Copa Solides Stadthotel an der Avenida Princesa Isabel in der Nähe der Strände und der schönen Menschen; ab € 200.
ANSCHAUEN
Zuckerhut Dieses Wahrzeichen der Stadt ist 394 Meter hoch. Der riesige Granitfelsen markiert den Eingang der Bucht von Guanabara. Die Seilbahn O Bondinho führt auf den Gipfel; kostet ca. € 20.
Corcovado Jeder kennt das Bild: Segnend breitet die riesige Christusstatue ihre Arme über Rio de Janeiro aus. Von hier aus hat man den vielleicht besten Blick über die Stadt. Mit einer Zahnradbahn gelangt man auf den Gipfel; einfache Fahrt: 10 Euro.
Botanischer Garten Diese Oase der Ruhe zählt mit ihren etwa 6.500 Arten zu den weltweit zehn wichtigsten Gärten dieser Art. Auf dem Areal sind auch ein Treibhaus mit Fleisch fressenden Pflanzen, ein Zoo mit mehr als 2.500 verschiedenen Tierarten und ein prachtvolles Nationalmuseum aus der Kaiserzeit.
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