Sonnenuhr und Schattenzeiger
Vielfalt liegt in der Natur dieser Uhr. Eine vertikale Sonnenuhr auf der Südseite einer Wand zeigt weder die frühen Morgen- noch die Abendstunden an, da sie zu diesen Ex-tremzeiten gar nicht beschienen ist. Im Sommer benötigt man zum Ablesen dieser Zeiten eine Nordwand. Deshalb haben manche Gebäude gleich mehrere Sonnenuhren.
In der Kartause Aggsbach und im Stift Zwettl sind es acht an der Zahl. Horizontale Sonnenuhren, deren Ziffernblatt parallel zum Boden steht, können die Zeit von frühmorgens bis spätabends anzeigen. Als Objekte in Gärten und Parkanlagen und als künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum erfreuen sie sich großer Beliebtheit.
Vor Stift Heiligenkreuz im Wienerwald steht seit dem Jahr 2012 eine überdimensionale Sonnenuhr, die gleich einen ganzen Platz einnimmt. Sie soll ein Denkmal für Religionsfreiheit sein und ist als Sonnen-Reflexions-Uhr konzipiert. Das Gnomon, das ist der Schattenzeiger, überragt die davor stehenden Besucher. Es ist ein etwa sechs Meter hoher Pyramidenpfeil aus Inoxstahl, der oben einen Spiegel eingebaut hat. Dieser wirft als Reflektor die Sonne auf das ovale Bethlehem-Mosaik-Ziffernblatt.
Komplex und genial
Die komplexe Berechnung des Zeitmessers stammt von Professor Hellmuth Stachel von der TU Wien. Sie ist nicht nur genial und weltweit einzigartig, sondern funktioniert tatsächlich.
Seit es Menschen gibt, haben sie sich mit Zeit beschäftigt. Der heilige Augustinus fragte sich: „Was ist Zeit? Wenn man mich fragt, weiß ich es – will ich es dem Fragenden erklären, so weiß ich es nicht.
Am Anfang waren es wohl Naturbeobachtungen, die halfen, die Tageszeit abzuschätzen: etwa anhand der sich verändernden Schatten der Bäume, Steine oder Berge. Manche Gebirgsnamen zeugen davon: Morgennock, Mittagsfluh, Sonnwendstein oder Zwölferkogel.
Sonne kommt und geht
Die erste Sonnenuhr dürfte ein Holzstab gewesen sein, der in den Boden neben einem eingeritzten oder bemalten Stein gerammt wurde. Die Autorin Mella Waldstein schreibt über ihre Zeitrechnung im Waldviertel: „Wenn im Juli die Sonne hinter dem Holzstoß untergeht, ist es neun Uhr. Im August findet mein persönlicher Sonnenuntergang um halb neun statt. Im November gar nicht, denn da scheint hier meist nur der Nebel. Und im Jänner verschwindet die Sonne um vier Uhr nachmittags hinter einer Erle.“
Die ersten Sonnenuhren entstanden im Altertum. Eratosthenes sah die Erde schon um 240 v. Chr. als Kugel an. Seine beiden Mittagsweiser standen in Assuan und in Alexandria. Aus den unterschiedlichen Längen der zwei Mittagsschatten konnte er bei bekannter Entfernung der Orte den Erdradius ziemlich genau errechnen.
Erste gut belegte archäologische Funde von Sonnenuhren stammen aus dem Ägypten des 13. Jh. vor Chr., Griechen und Römer entwickelten sie weiter. In unseren Breiten hatten die Menschen bis ins Mittelalter keine großen Ambitionen, die Zeit in Stunden und Sekunden einzuteilen; die ersten Sonnenuhren entstanden in Klöstern.
Der Schattenstab hatte jedoch eine andere Funktion als jener ausgefeilte vor dem tift Heiligenkreuz: Der Schattenwurf auf die in die Klostermauer eingemeißelten Linien zeigte nämlich nicht Stunden an, sondern die Zeiten des Gebetes.
Lucem demonstrat umbra – Der Schatten zeigt das Licht, ist ein Spruch, der oft auf Sonnenuhren steht. Wenn man an einem sonnigen Tag neugierig nach oben blickt zu einer Sonnenuhr und ein schön gestaltetes Ziffernblatt vorfindet, aber keinen Schattenwurf, oder eine vollkommen falsche Zeitanzeige, kann es am fehlenden Polstab liegen.
Oder daran, dass dieser im Laufe der Zeiten verbogen wurde. Es könnte aber auch sein, dass das Gnomon bei einer Demontage nach einer Restaurierung falsch eingesetzt wurde.
Eine Anfrage an die Arbeitsgruppe Sonnenuhren des Österreichischen Astronomischen Vereins kann hier schon mit Rat und Tat weiterhelfen.
Künstlerin und Sonnenuhrbauerin Lisi Breuss beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren künstlerisch mit Sonnenuhren. „Wenn ich mit meinen Söhnen im Gebirge bin und wandere, machen wir immer wieder das Spiel, die Zeit am Sonnenstand zu schätzen. Wir sind schon so fit, dass wir auf eine halbe Stunde genau hinkommen“, sagt sie.
Lisi Breuss’ Ansatz ist nicht, eine möglichst genaue Sonnenuhr zu bauen, es geht ihr um die Interaktion zwischen Mensch, Kosmos, Körperschatten. Und so hat sie vor 20 Jahren eine begehbare Sonnenuhr auf einem sanften Hügel im Weinviertel gebaut. Mit Fernblick: Auf einer Bodenplatte aus Stein stehend sieht man die Kirche von Kettlasbrunn.
Das Muster auf dem Stein erinnert an das Kinderspiel Tempelhüpfen. Wo man steht, ist wichtig für die Zeitanzeige, je nach Monat wird der Standpunkt gewählt. Anhand des eigenen Schattens auf dem halbrunden Ziffernblatt, das sich in der Wiese aufspannt, kann so die Uhrzeit bestimmt werden. Es ist ungefähr Mittag, ein Falke steht in der Luft in der Sichtachse und rüttelt mit seinen Flügeln im Zehntel-Sekundentakt.
Ihre Leidenschaft für Sonnenuhren hat Breuss übrigens als Studentin der Kunstakademie in der Toskana entdeckt. Bei einem ihrer Streifzüge durch die Landschaft traf sie einen alten Bauern, der auf einer sehr einfach gebauten Sonnenuhr ablesen konnte, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen.
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